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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1903)
DOI Artikel:
Münzer, G.: Uebungen im Musikhören, [1]: das Volkslied
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0390

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der Anfangsform schon mchr ab. Trotzdem gehört alles zusammen,
ja, diese Melodie macht sogar noch eincn besonders geschlossenen, ab-
gerundeten Eindruck. Wodurch? Man beachte die einheitliche Steige--
rung der ersten Hälfte und das Herabsinken in der zweiten — und
den Schwung, den die Melodie dadurch erhält. Wir werdcn später
sogar Melodieen kennen lernen, welche überhaupt ein Entstehen aus
einem motivischen Keim nicht nachweisen lassen, und die nur einen
ähnlichen „inneren" Zusammenhang zeigen wie zum Teil schon diese
Melodie Methfessels. Die Verlängcrung oder auch die Verkürzung
einer Periode, sowie ihre Ausgestaltung kann auf die mannigfaltigste
Weise zugehen. So einfach das Grundprinzip ist, so mannigfach ist
seine Ausführung. Jn dem Liede: „Es hatten drei Gesellen" von
Briesewitz




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haben wir eine zwölftaktige Periode. Der ganze Nachsatz wird hier (e)
in etwas veränderter Form als Abschluß (Coda) wiederholt. Die
Melodie ist in der Weise entwickelt, daß das zweite Metrum (b) aus
dem ersten (a) abgeleitet wurde. Ein Motivchen aus dem zweiten
Metrum, der Auftakt (bei o) geht durch däs Fvlgende hindurch. Es
findet sich allenthalben. Auch dieses Lied zeigt uns jenes Prinzip,
das in der Mnsik eine so große Rolle spielt: Das Ohr liebt die
Vergleichung des Verwandten, Aehnlichen, aber es vergleicht diese
Aehnlichkeit gern am Gegensätzlichen. Vorder-- und Nachsatz dieses
Liedes sind zusammcngehörig, nicht zufüllig aneinander gestückelte
Melodieteile, aber sie besitzen doch so viel Verschiedenes, daß jedes
für sich auch eigene Jndividualität hat. Auch diese Melodie wird uns
im Vergleich zu den ersten, als die reichere und schönere erscheinen.

Oft wird es nun einem Komponisten nicht möglich sein, den
Jnhalt eines Textes in einer musikalischen Periode zu erschöpfen.
Es ergiebt sich alsdann von selbst eine Erweiterung der Form durch
Aneinanderfügung von zwei oder mehr Perioden, die nun die Lied-
melodie bilden. Jede Periode behält dabei für sich ihre Form. Natür-
lich müssen sie aber zu einander in Beziehung stehcn. Als Beispiel
mag uns ein aus zwei Perioden bestehendes Lied dienen: „Jch weiß
nicht was soll es bedeuten", die Lorelei,

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