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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 19 (1. Juliheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0418

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ein Handrverk nicht nur Sachstil, son-
dern auch persönlichen und Zeitstil
oder, um Rses Terminologie zu ge-
brauchen, .Stimmung", .Charakter
der Lebenssphäre", Ausdruck „idealer
Bestimmung" haben und so der „Sphäre
der blotzen Dienstbarkeit entrissen" wer-
denkann. Die Bedeutung des Ornaments
überschützt Rse sicherlich auch in folgen-
dem Satz und, wie ich glaube, recht be-
deuklich: ,Die Erhöhung des Material-
Reizes ist aber nicht das letzte und
höchste Mittel, um die ideale Bestim-
mung eines Gegenstandes zur Er-
scheinung zu bringen, Das geschieht
erst durch das Ornament," Und weiter
schreibt er der neugesundenen Orna-
mentik unserer Modernen zu, datz „ihr
Schaffen wieder Stil" habe. Nicht
nur mir persönlich erscheint gerade die
Ornamentik unserer modernen Hand-
werkskünstler, 'auch der besten unter
ihnen, als ihr am allermeisten sterb-
licher Teil, der es kaum über die
Lebensdauereinerbraven Mode bringen
wird. Stil hat auch für uns ihr
Schaffen wieder, aber es bekommt ihn
im Wesentlichen dadurch, datz sie in
Erfüllung des Zwecks, Ausnützung
der Materialschönheit und Berücksichti-
gung materialgemäßer Technik nach
eigenen Gesühlen die Massen gliederu
und die Form gestalten,

Larl Uleißner.

P Wilhelm Steinhausen
über Segantini,

Wir machen die Beobachtung, datz
der Tod der grotzen Künstler, die noch
unter uns aufragten, ihre Kunst für
das Volksbewutztsein erst lebendig
macht, Wir dürfen unsre Zeit darob
nicht anklagen, Es hat in der ganzen
Kunstgeschichte keine Zeit gegeben, die so-
viel wirkliche Meister auf einer Bühne
vereinigt hätte, wie die Wende unsrer
beiden Jahrhunderte, Das Volk kann
unmöglich diesen stark geprägten Künst-
lern und Menschen so schnell nach-
sühlen. Es geschieht aber doch sehr viel
in der Sorge, datz unsre Großen nicht

mit dem Tode vergessen werden, Und
allgemeinste Teilnahme mutz es erregen,
wenn ein wahlverwandter lebeuder
Künstler über seine toten Gesellen redet
— wie Steinhausen in der Frankfurter
Küustlergesellschast über Segantini ge-
redet hat. Der Vortrag ist jetzt bei
Heinrich Keller in Frankfurt im Druck er-
schienen. Datz Steinhausen mehr als
nur über Segantini reden wollte, zeigt
sein Motto: „Jn die heutige Zeit ruft
die Kunst ihre Klage und Anklage —
mehr noch, sie ist eine Prophetin sür
das Zukünstige,"

Nachdem Steinhausen sein Recht
als Künstler zu reden, mit den Worten
erweist: „Es ist der menschliche Stolz,
oder sage ich: die meuschliche Schwäche,
im Bewutztsein als Künstler die Partei
des Künstlers zu nehmen. Seine Leiden
glaube ich mitzuleiden, seine Aufgaben
werden meine Aufgaben, seine Siege
meine Siege^ — bietet er cinen Blick
in Segantinis Leben, und er zieht
dessen Summa: „Vielleicht werden wir
irre bei Betrachtung dieses Lebeus-
ganges an der so üblichen Erklärung
der Werke eines Genius aus seinem
Milieu. Und wir sollen es auch —
denn auch hier ist der Urspruug gött-
lich, d, h. geheimnisvoll. Aber das
ist erhebend zu erfahren, wie das Gute
und Edle im Menschen so unvertilg-
bar ist." Dann führt Steinhausen die
Härer in Len Ausstellungssaal, vor
Segantinis Werke. Jch will nur da
zitieren, wo er vom Besonderen zum
Allgemeinen aussteigt. »Das ist wirk-
lich ein Kennzeichen großer Kunst: sie
offenbart ihre große Gewalt vom ersten
Augenblick an. Ein Geheimnis sesselt
uns gleich an sie. Das ist ihre Macht.
Ohne dieses Geheimnisvolle ist das
Kunstwerk wertlos. Ohne das Uner-
gründliche würde das Kunstwerk nicht
bestehen. — Jn einer Zeit, die dem
Verstande, den sogenannten exakten
Wtssenschaften, dem Rechenexempel,
dem Experiment sovielMacht einräumt,
ist, wie es scheint, das Begehren unsrer

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