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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1903)
DOI Artikel:
Kalkschmidt, Eugen: Vom künstlerischen Lichtbilde, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0438

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Aufnahme, Entwicklung und Kopierung — die farbige Gegenständlich-
keit der Natur ins Einfarbige übersetzt wird, daß also schon aus
diesem Grunde keine getreue Wiedergabe des Natureindrucks durch die
Photographie möglich ist.

Die angedeuteten Fehler und Abweichungen der Photographie
vom Wirklichkeitseindruck dagegen sind sehr zahlreich. Die künstlerisch
arbeitenden Photographen verdankcn seltsamerweise das Aufsehen, das
sie in den letzten Jahren gemacht haben, in der Hauptsache dem
Umstande, daß es ihnen gelungen ist, treuere Wiedergaben der
Natur als die schlechtweg photographischen herzustellen. Sie gingen
nicht mehr von den optischen Eigenschaften der Glaslinse im Apparate,
sondern von den Eigenschaften und Bedürfnissen des menschlichen Auges
aus. Sie richteten den Apparat nach ihrer jeweiligen Vorstellung
auf das darzustellende Objekt, und von der jeweiligen Richtung und
Stärke ihrer Vorstellung blieb vor allem andern der Grad der An-
schaulichkeit abhängig, den das Dargestellte gewann. Daß Material
und Technik ihnen geläufig sein mußten, war allerdings Voraus-
setzung.

Eine Vorstellung, die auf reinere Wahrheit in der bildlich an-
schaulichen Wiedergabe der Dinge gerichtet ist, ist noch keine künst-
lerische Vorstellung. Sie wird das erst, wenn sie gewisse Wesens-
merkmale als die für die gewollte Anschauung nötigsten und wahr-
scheinlichsten aussondert, damit betont und einheitlich in sich ver-
bindet. Jn diesem Sinne spricht Kant von der Kunst als von der
Vermittlerin, die nicht eine Vorstellung von einem schönen Dinge,
sondern eine schöne Vorstellung von einem Dinge gebe. Die Photo-
graphie, soweit sie Kunst ist, erfüllt diesen Grundsatz mit ihren Mit-
teln durchaus. Nicht nur in der Auswahl der Motive, in der Be-
grenzung des festzuhaltenden Naturausschnittes zum Bilde kann der
Photograph sich von seiner künstlerischen Vorstellung leiten lassen, son-
dern auch weiterhin bieten sich ihm genug Mittel, das relativ naturwahre
Abbild durch Weglassung, Abschwächung oder Verstärkung von Einzel-
heiten am Vorbilde, an seiner Vorstellung zu korrigieren. Er kann
aus ciner Morgenstimmung eine Mittags- oder eine nächtliche Stim-
mung machen, er kann, wenn ihm der Himmel zum Stimmungs-
charakter der irdischcn Landschaft nicht paßt, einen andern passen-
deren Himmel photographieren und über diese Landschaft bauen. Wir
sprechen hier nicht davon, ob dies „zu empfehlen" ist, wir sprechen
nur an sich von den Möglichkeiten, die er hat, um zu verändern.
Und cr ist namentlich in geschlossenen Räumen und beweglichen Ob-
jekten gegenüber so sehr Herr des Lichts odcr vielmehr seiner Wir-
kungen, daß er, wenn er seine Sache, d. h. sein Material und seine
Technik versteht und aus ihnen heraus seine Vorstellungen in An-
schauung umzusetzen bestrebt ist, Jndividuelles sicherlich leisten kann.

Dagegen kann der Photograph, der „Lichtbildner" die engeren
Grenzen der Kunst, innerhalb deren die Phantasie ein unbeschränktes
Regiment führt, nicht überschreiten. Er kann keinen Heiligenschein
festhalten, weil unser sterbliches Auge so wenig wie die Linse des Appa-
rates einen solchen aus der Wirklichkeit wahrnehmen kann. Wenn einer
einen hübschen Mädchenkopf photographiert hat, meinetwegen sogar

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