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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1903)
DOI Artikel:
Kalkschmidt, Eugen: Vom künstlerischen Lichtbilde, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0439

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künstlerisch einwandfrei, und unter den Abzug schreibt: „Das Mär-
chen", wenn er eine andere Jungfrau pomphaft „die Gebicterin" be-
nennt und eine alte Bäuerin für „das Alter" ausgibt, so beweist
er damit, daß er trotz seiner sonstigen Vorzüge und trotz seines
Könnens seine Kunst mißversteht, aber nicht, daß photographische Kunst
ein Unding sei. Die ist und bleibt an die Gegenständlichkeit der
Dinge gebunden; die Aufgaben der im engeren Sinne freischöpfc-
rischen, der gestaltenden Kunst sind ihr zu lösen versagt. Aber wie
viele Maler haben wir denn, die spezifische Phantasiekünstler sind?
Es denkt wohl keiner im Ernste daran, alle anderen glattweg als
Nichtkünstler hinzustellen, weil ihrc Phantasie bei der Arbeit des
Verdichtens von Wahrnehmungen zu bildlichen Vorstellungen tiefer
innerhalb der Wirklichkeitsgrenzen befangen blieb.

Jst des Malers vornehmstes Ausdrucksmittel die Farbe, so ist
dasjenige des Lichtbildners eben das Licht. Es beschränkt ihn sehr,
gewiß, aber es gibt ihm eine unanfechtbare Selbständigkeit, wenn
er es zu „bilden" weiß. Die Lokalfarben kommen für ihn nur als
„Valeurs", als Tonwertc, in ihrer Abänderung durch Licht und
Schatten in Betracht. Daraus folgt, daß ein Maler hundert Motive
in der Natur sehen kann, wo der Lichtbildner noch nicht ein einziges
brauchbar findet. Und umgekehrt wird dieser seine fruchtbarsten Mo-
tive vielleicht da auffangen, wo der Maler mit großer Anstrcngung
nur mittelmäßiges und sogar unmalcrisches festhalten könnte. Genau
abzugrenzcn werdcn diese beidcn künstlerischen Jnteressenkreise ja nicht
sein. Der größere ist natürlich der des Malers, cr schließt vielleicht
den größeren Teil des lichtbildnerischen Kreises ein, aber die beider-
seitigen Mittelpunkte künstlerischer Betätigung liegen an verschiedenen
Stellen, die Kreise sind nicht konzentrisch.

Ein Beispiel: Den Maler entzückt die klare Bläue cines Sommer-
himmcls. Wie plastisch stehen die Bäume mit silberglänzendem Laube
in dcr durchsichtigen Luft! Die grüne Wiese, das gelbe Kornfeld,
alles zusammen erweckt in ihm die Vorstellung der fruchtbaren Reife,
und diese Vorstellung setzt sich ihm, wie sie durch starke,-reine Farben
errcgt wurde, bildlich entsprechend um. Er wird ein farbenprächtiges
Bild malen, und jedermann wird, ohne viel zu raten, sehen und
empfinden können, warum er das gemalt hat, wird auf dcm rück-
läufigcn Wege seine Vorstellung an derjenigen des Malers erquicken,
wird sie nacherleben. Wenn der Lichtbildner dasselbe Motiv behan-
delt hättc, würde man dcn Grund dafür nicht finden, denn die ein-
fachen starken Farbkontraste würden, ins Monochrome übersetzt, nicht
mehr mit ihrcm ursprünglichen Reize wirken, sie wären wie tot und
leer, sic cnthielten des Lichtes zu viel und doch zu wenig, denn grade
die feineren Abstufungen nach unten, zur tiefsten Dunkelheit hin, die
Halbtöne fehlten. Jn ihnen aber erst bildet der Photograph seinen
künstlerischcn Ausdruck, sie vorzüglich charakterisieren ihm die Dinge
so, wie e r sie fassen und wiedergeben kann. Das Beispiel ist grob,
wie alle Beispiele mehr oder minder es sind, um dcutlich zu sein,
aber es wird dartun, was gemeint ist.

Man mache die Probe an den Lichtbildern, die dem heutigen
Hefte in Reproduktionen beiliegen. Das heranziehende Wetter (Abb. 1)

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2. Iuliheft 1-02
 
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