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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0472

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Mägde und Weibervolk genug, aber „Dirn" gab's ihm nnr eine ein-
zige auf der Welt, seine Mündel; Dirn, das war ihm der zärtliche
Ausdruck für Schützling, Tochter, Kind.

Ehe das Mädchen noch ordentlich über die Schwelle kam, es
stolperte schier, rief es: „Von der Schwanenwirt-Christl bin ich ge-
schickt, den Brief da soll mir der Vatermann lesen und laut, daß ich's
ihr kann sagen, der Schwanenwirt-Christl."

Dreimal mußte es die Worte dem Alten ins Ohr schreien, ehe
dieser seine rußigen, mächtigen Glasaugen hervorholte.

„Was wird's denn sein? So einen Brief lesen, wird auch just
keine Hexerei sein!" Er machte sich aber doch wichtig.

„Von der Schwanenwirt-Christl ihrer Muhm' ist er!" rief das
Mädchen schnell.

Der Alte wendete sich gegen die ausschnaufende Esse, daß der
Brief, den er nun öffnete, rot beleuchtet war: „Kreuz und Eisenstern
übereinand, da ist ja gar ein Kaiserjäger oben!"

„Halt ja, ein Soldat, halt ja," zitterte die Gretl, „der Schwanen-
Wirt-Christl ihrer Muhme ihr Sohn." —

„Der Schwanenwirt-Christl ihrer —"

„Muhme ihr Sohn. Ja freilich, freilich wohl. Laut, nur gleich
laut lesen, weil — weil ich nicht recht Zeit hab'. Muß gleich wieder
heim, aber gleich wieder."

Der Alte verstand kein Wort. Er las bereits. Mit dem einen
Fuß trat er den Blasebalg, daß er an der Esse eine Leuchte hatte.
Mit dem andern stand er fest, recht fest. „Du verschwefelt's Volk!"
rief er plötzlich. „Also vorlesen soll ich dir die Schrift, vorlesen?
Recht gern. Jnnigstgeliebte Margaretha! — steht's geschrieben."

Da war's dem Mädchen wie zum Umfallen. — Taub ist er frei-
lich, aber so heraus hat er's geschrien, er kunnt's verstanden haben.
„Just gar so laut, dasselb' ist keine Notwendigkeit, Vatermann."

„Jch grüße Dich tausendmal und wünsche, daß Dich mein
Schreiben in bester Gesundheit antreffen möge. Jch bin Gott sei
Dank gesund und mache Dir zu wissen, und daß ich vor etlichen
Tagen zum Korporal avanciert bin und ich in ein' Jahr auf Urlaub
zu Haus kommen werde, was mich wegen Deiner so freut, vielge-
liebte Margaretha, und ich denk' bereits Tag und Nacht auf Dich,
und Dein Zellerpreverl trage ich auf der Brust, daß mich mit Gottes
Hilf' kein' Kugel trifft. So schau' ich aus wie das Gemal (Ge-
mälde) da oben, und ich bitte Dich, daß Du mir getreu bleibst, und
glaube der Leut' Reden nicht, weil sie einen Neid haben auf uns
Zwei. Und ich möcht' auch wissen, das von der letzten Kirchweih,
wie ich fortgangen bin, wird Dir nicht geschadet haben." Der Alte
hielt inne, starrte das Mädchen an. Dieses sagte mit einer packen-
den Keckheit: „Hör' schon, Vatermann, recht gut hör' ich, freilich!"
Und der Alte fuhr fort: „Und sei so gut, tu auf mein tuchenes Ge-
wand schauen, von wegen die Schaben, und schreib' mir paar Zeilen,
wie es Dir geht und was Neues ist, und für den Brief brauchst
nicht zahlen. Und auf Dich kann ich nicht vergessen bis in den
Tod, innigstgeliebte Margaretha, und so vielmal als Stern sein
am Himmelszelt und Tropfen im Meer und Blümlein auf der Welt,

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