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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0476

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anschlietzt mit seinem goldenen Spiegel,
gleich dem achten Könige im Macbeth,
der in seinem Spiegel noch viele Kö-
nige sehen lietz. Auch nicht ohne äuhere
Tat und Mühe ist das Sehen des ruhig
Leidenden, gleichwie der Zuschauer
eines Festzuges genug Mühe hat, einen
guten Platz zu erringen oder zu be-
haupten. DieS ist die Erhaltung der
Freiheit und Unbescholtenheit unsrer
Augen." (Gottfried Keller,
im »Grünen Heinrich".)

G Marie von Ebner-Eschen-
bachs neuester Roman „Agave"' (Ber-
lin, Gebr. Paetel) führt uns in die
Zeit der beginnenden Kunstblüte Jta-
liens. Das Problem ist ein ganz mo-
dernes— oder auch, ein zeitloses: ein
begabter junger Mensch wird durch einen
Meister, hier ist's Masaccio, zur Kunst
berufen, da er aber ein Halber ist,
bringt er es nur unter dem Zwange
leidenschaftlicher Eifersucht zu einem
einzigen Meisterwerke, das er hinten-
nach sclber im Zorn, es nie wieder
erreichen zu können, vernichtet. Er
bützt, in der kurzen intensioen Blüte-
zeit seines Talentes der Agave gleich,
den plötzlichen Ueberschwang mit harter
Selbstbescheidung, die ihm durch den
späten Besitz der verloren gegebenen
Geliebten um einiges erleichtert wird.
Diese Handlung ist ein bischen
abenteuerlich, aber im ganzen ziem-
lich glaubhaft durchgeführt. Mir will
scheinen, dah die Dichterin auf solchem
historischen Boden sich nicht so frei
gehen lassen und doch so stcher zum
Ziele kommen kann, wie auf den leben-
digen Fluren der Gegenwart. Die poeti-
sche Verbrämung, zu der das bunte Künst-
ler-Milieu des Quattrocento heraus-
fordert, ist ja nicht gerade beschönigend
ausgefallen nach Zuschnitt und Farbe,
aber doch allzusehr aus liebenswürdig
idealistischen Erinnerungsträumen ge-
webt, als dah vom Geiste der Zeiten
mehr als ein leicht romantischer Ab-
glanz unseren Geist berührte. Man
könnte fragen: läht stch denn über-

haupt mehr geben, sei's dichterisch, sei'S
wissenschaftlich? „Was ihr den Geist
der Zeiten heiht ..Aber der das
erwog, hat uns doch auch den „Götz^
geschenkt. Ein Mehr ist möglich, nur
glaube ich, Frau von Ebner wollte
garnicht so viel mit ihrer Arbeit, wie
wir habsüchtigen und nörgelnden Kri-
tiker wollen; sie hängte sich diesmal
den Kranz nur so, daß er auch aus
dem Schaukelstuhl mit gemächlichem
Schwunge zu ergreifen war und be-
gnügte sich demnach einmal mit unter-
haltsamem Spiele. L. R.

^keater.

G Münchner Theater.

Der Akademisch-dramatische Verein
führte in den Kaimsälen nach der
Wiedergabe eines doch noch gar zu
unzulänglichen Anfängerstücks von
Karl Goldmann einige von den
„Dialogen" aus Arthur Schnitz-
lers „Reigen" auf. Durch die öffent-
liche Denunziation an den Staats-
anwalt, die ein entrüsteter Hitzkopf be-
sorgt hatte, war, wie immer in solchen
Fällen, eine unfreiwillige Reklame für
das Werklein in Szene gesetzt worden:
so stellte sich deun auch ein zahlreiches
Publikum ein, dem es ein begreifliches
Vergnügen machen muhte, seine „Frei-
geistigkeit" durch lauten Beifall darzu-
tun. Es ist das bei der Massenverbreitung
dieses Freisinns gegenwärtig allerdings
ein ziemlich billiges Vergnügen; jeden-
falls gehört unter den Umständen, von
denen die Entrüstungsversammlungen
der Goethebunde noch vor ein paar
Jahren Zeugnis ablegten, mehr Mut
dazu, sich durch die Tat zu gegenteiligen
Ansichten zu bekennen. Jch wenigstens
glaube dem „Denunzianten" dieses Zu-
geständnis machen zu müssen, wenn
auch sein Mut zu grotzem Teil mit auf
einer gewissen geistig sittlichen Be-
schränktheit beruhn mag. Meines Er-
achtens ist die ganze Sache, um die
es sich dreht, des Aufhebens in dieser
Weise überhaupt nicht wert. Die Dia-

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Kunstwart
 
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