Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Henrici, Karl: Stadt- und Straßenbild im Mittelalter und in der Neuzeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0556

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Borsten- und Federvieh noch mit in der Stadt wohnte, und daß auch
für diese Art von Mitbürgern gesorgt werden mußte mit Tränken,
Dungstätten und Schwemmen.

So gewanncn die alten Städte dadurch ihren Zauber, daß sie
auf die Bedürfnisse ihrer Zeit zugeschnitten waren, daß in ihnen
eines zum andern paßte, das Rathaus zum Marktplatz, der Rats-
brunnen zum Rathaus, der Erker zur gekrümmten Straße — denn
da war's noch der Mühe wert, hinauszuschauen — die Giebel mit
seinen Luken und Winden zu den Speicherböden, die dahinter lagen,
die trutzigen Torburgen zur Wehrhaftigkeit der Bürgerschaft.

Man studiere die alten Straßennamen, die leider immer mehr
ausgelöscht werden, und man wird finden, daß jedem Gewerbe und
jedem Zweig des Gemeindelebens ein passender Ort zugewiesen war.
An nichts fehlte es dort, um die Menschen, mit ihren noch bescheidenen
Ansprüchen an Verkehr und Bequemlichkeit, zu befriedigen und glück-
lich zu machen.

Die Zeiten haben sich geändert, Spinnrocken und Webstuhl sind
aus den Häusern, das Vieh ist aus der Straße verschwunden, der
Zapfhahn im Hause ersetzt den Laufbrunnen der Straße, die Feuer-
meldestelle mit elektrischer Schelle dcn Tutwächtcr auf hohem Turnu
Die Nacht ist zum Tage gewandelt, denn anstelle der schwalchenden
Unschlittkcrze und Rüböllampe strahlcn sonnenhelle Bogenlampen und
Glühlichtcr, und das lautc Leben erlischt noch lange nicht, nachdem
die Abcndglockcn ausgcläutet haben.

Ganz natürlich muß deshalb eine neuc Stadt einen andren
Körperbau, ein andres Gesicht und ein andres Gewand bekommen,
und alles dieses muß zusammeupassen, wenn sie ebenbürtig der alten
an die Seite treten soll.

Das ist aber leider noch nicht erreicht, weil die Wandlung zu
rasch vor sich gegangen ist. Hastig mußten die Straßenschläuche mit
langen graden Nähten maschinenmäßig hergestellt werden, um all
das Verkehrsgerät zu fassen und laufen zu lassen, nnd zur Einklei-
dung des Wohnwesens mußte vorhandenes Zeug dienen, das man
hernahm, wo man es fand.

Aber ein Ereignis trat dazwischen, das diesem Treiben eine
andre Richtung zu gcbcn begann. Es wurden neue Stoffe in die
Bauschneiderei eingeführt, unter dcnen das Eisen einen geradezu ge-
waltigen Umschwung verursachte. Mit ihm wurden der Technik die
Mittel zur Lösung ganz neuer großartigcr Probleme zugeführt. Die
Raum- und Körperbildungen blieben nicht mehr an dic altcn Regeln
der Bauknnst gebunden, und mit dem neuen technischen Vermögen
bereicherte sich auch die Phantasie und schuf Neues, was aus der
Zeit erwachsen und noch nicht dagewesen war.

Doch soll es nicht die Aufgabe dieser Abhandlung sein, auf
Baustoff und Stilfragen näher einzugehen. Das Eisen als Baustoff
verdiente nur Erwähnung, weil es zu einem mächtigen Anreger zum
Sichbesinnen auf dic Aufgaben, welche dic Neuzeit an die Baukunst
stcllt, gcwordcn ist.

Viel wichtiger für das neustädtische Straßcnbild und sür dic
Fassadenausbildung der Stadthäuscr ist das, was die Ncuzeit an

2. Augustheft ^goz
 
Annotationen