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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Wollen und Können, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0570

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anlangt, so ist's mit solchen »Jdeen" eine eigene Sache. Ohne weiteres
sind sie nur von Wert, wenn sie etwas stofflich Neues der Menschheit
zuführen — das getan zu haben, wird Lienhard wohl selber nicht glauben.
Bringt aber eine Jdee an Gehalt nichts Neues, so kann das Verdienst
dessen, der sie behandelt, ausschließlich nach ihrer individuellen Gestaltung
gemessen werden, und über diese bei Lienhard habe ich schon gesprochen.

Kaum anders geht es nun auch in Lienhards jüngstem Trauer-
spiel ,König Arthur" zu (Berlin, G. H. Meycr). Lienhards Ab-
sicht, hier eine Art neuen Stils unter Anschluß an Ossian und die
altschottische Ballade zu schaffen, verkenne ja auch ich nicht. Aber, ganz
abgesehen von dem gefährlichen Unternehmen, die Sprache eincs Dramas
auf dem Grund lyrisch-epischer Bestandteile erbauen zu wollen: ist Lien-
hard cine organische Verschmelzung des fremdartigen Alten mit dem
neuen Eignen gelungen? Jch kann mir nicht helfen, ich meine statt dessen
nur zu oft ein heilloses stilistisches Durcheinander zu erblicken.
Wie altschottisch pathetisch z. B. und gewiß nicht unschön beginnt Ossian:
»Mein Herz ist wie ein Wald im Regen so voll Tränen und Mitleid
mit diesem König' — um seine weiteren Bemerkungen mit der nicht
unbeliebten Feuilletoncrwägung: „Es mag Verhängnisse geben . .
einzuleiten. Oder Merlin, der Seher, der nach dunklen Sängersprüchen
zu folgender, in recht modern schriftstellerische Form gekleideten Ueber-
legung schreitet: „Wenn König Arthur aus stärkster Besonnenheit"
(man achte auf den doch ganz unangeschauten, ganz abstrakten Super-
lativ des Eigenschaftsworts bei diesem Waldmenschen), wenn also König
Arthur „aus. heldenhafter Geduld, die meine Einfalt nicht zu fassen
vermag, wenn dieser königliche Held wissend schwiege, aus Stolz
duldend, mit Lächeln zu bezwingen suchend tausend Martern!"'
Welche beinahe gelehrte Hüufung von Partizipien seitens dieses Wald-
menschen! Oft erscheint auch hier das Literatenpathos Lienhards als
abgebrauchtes und zugleich überladenes Romanpathos. »Diese Jung-
frau, meines Wesens Herzschlag, meiner Jugend Wonne, der Traum
meiner Nächte und meiner Sommertage fröhliches Lied, ich opfere sie
dem, der dieses Landes Stern und Stolz ist." «Dich, meinen Freund,
den Waldsohn voll Hoheit im Haupte und Melodie im Herzen, an der
Linken — dich, Ginevra, süß wie das Abendrot, an der Rechten!'
Jch wenigstens kann hier die innere Glut vor Rauch nicht mehr sehn,
mir verschlingt der Wortschwall hier jede Plastik des Gefühls. Und ich
zweifle denn doch auch daran, ob alle diese Vergleiche selbst für alte Schotten
von gar so ergreifendem Gefühlsgehalt sein könnten. Wir lescn weiter.
Papierraserei: „Brech ich aber aus, mein König, brech ich aus — (wild)
eine Welt stürz ich in Flammen!" Gouvernantenpoesie: „Nein, stürmi-
scher Mann, ich bitte dich, ich befehle dir", so ruft die liebebedrängte
Ginevra — wie wohl auch Marlitts „Goldelse" in solchem Fall rufen
würde. Desgleichcn Lieblichkeitspoesie und noch dazu in Selbstbe-
spiegelung badend. ,Wie kann eine Blume im Windhauch stolz seinl",
sagt Ginevra sinnig von sich selber, »Jch Reh der freien Wälder!"
,O, wie bin ich schmal geworden . . . ein gefangner Hänfling . . .
das braune Reh von ehedcm." „Jch dieser Blumen Schwester", be-
grüßt und verklärt sie ihr eignes Wesen. Allerdings finden sich ja im
Prinzip ähnliche Sachen, wie die zuletzt angeführten, auch bei Ossian,

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