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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 22 (2. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Wollen und Können, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0571

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nur dürfen wir nicht vergessen, daß, was in den Gesängen »vor-
geschichtlicher" Poeten als charakteristische Naivität erfreuen kann, bei
einem Dichter als gesucht einfältig, als Koketterie wirken muß, der die
innere Modernität seiner Helden trotz aller historischen Masken deutlich
hervortreten läßt.

Nun ist es natürlich nicht die Reinheit des Tons, die über die
Größe des Kunstwerks entscheidet, aber ich führe ja auch alle diese Ent-
gleisungen, wie schon betont, nicht als Einzelverfehlungen an, wie man
sie gewiß selbst bei bedeutenden Dichtern zuweilen in ziemlich starker
Anzahl findet, sondern als Beispiele, die mir für Ausdruck und Ge-
halt des Ganzen sprechen. Deswegen gebe ich selbstverständlich zu, daß das
allgemein poetische Empsinden Lienhards auch hier stellenweise trotz
allen Phrasenwesens spürbar wird, ja in viel stärkerem Maße spürbar
wird als bei den Schildbürgern und dem .Till"; ich denke da namentlich
an manche Reden Merlins. Dennoch muß ich zu meinem Bedauern erklären,
daß auch Lienhards „Arthur"' mich durch diese Vorzüge und durch seinen
ethisch geistigen Gehalt für die künstlerischen Müngel und den Ueber-
schuß an Absichtlichkeit nicht entschädigt. Wohl packt Lienhard da ein
Problem, das selbst der Tragik in tieferem Sinne nicht zu entbehren
brauchte. König Arthur geht daran zugrunde, daß er durch künstliche
Mittel, edeln Trug und diplomatisches Entgegenkommen gegcnübcr den
wesensstärkeren Fremden den Verfall seines Volkes aufhaltcn will; da-
durch aber stößt er die Besten unter den eignen Leuten zurück und führt
so erst recht seinen und des Volks Untergang herbei. Doch ist Lienhard
zu gemütsweich, um ein solchcs Verhältnis in wirklich tragischer Weise
zum Austrag zu bringen. Zu wenig kennt er dafür meinem Em-
pfinden nach trotz all seiner begeisterten Worte für Gesundheit und
Größe die herbe Lust am Zerbrechen des Morschen auch im Edeln, zu
sehr läßt er mir dafür gegenüber den Mängeln seiner Helden ihre
guten Absichten in verherrlichender Weise erschcinen, als daß ich ihre
tragische Schuld in voller Schwere zu empfinden, als daß ich jene
stählende Luft der Unbarmherzigkeit zu kosten bekäme, die auf der höchstcn
Liebe zum Starken und Steigenden gcgenüber dem Mitleid mit dem
Schwachen beruht, das Platz machen wuß.

Wie steht es aber nun mit dem „nationalen Gehalt" des
„König Arthur" im Besondern? Gewiß, ich verstehe, daß Lienhard
hier mit begeisterter Teilnahme geschildert hat, wie der Versuch aus-
gehn muß, einem Volke mit lebensentfremdeter, abstrakt rechnender Klug-
heit eine Kultur aufzuzwingen, die dem innersten Wesen dieses Volks
widerspricht: ein „Kampf zwischen internationaler Kultur und Natio-
nalität", der, wie zutreffend bemerkt worden ist, an Verhältnisse der
Gegenwart erinnert. Aber irgendwelche Größe kann ich aus dem
herzenswarmen und klaren Erfassen eines solchen Verhältnisses allein
doch noch nicht folgern. Jn der konkreten Darstellung aber begegne
ich ihr, wie gesagt, kaum je, und auch die aufrichtig begeisterte Rhetorik
Lienhards ist mir aus genugsam erörterten Gründen ethischer und ästhe-
tischer Art nur ausnahmsweise genießbar.

Wird aber nicht überhaupt neuerdings die Bcdeutung nationaler
Gefühle — nicht überschätzt, das kann sie nicht wohl werden — aber
allzu absichtlich betont? Man muß das unserm Volk mangelnde

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Auiistwart
 
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