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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Die Entwicklung der Kulisse, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0573

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Hamlet leer stehen, hat Julia nach Romeo ausgeschaut, Brabantio
mit Jago uud Rodrigo gesprochen. Zu beiden Seiten dieser mimornm
Lsäes, wie der gebildete Zeichner des Schwantheaters dies Bühncn-
zubehör nennt, sitzen in beiden Stockwerken und zu ebener Erde die
Zuschauer. Sprang der Dichter mit den Oertlichkeiten gar zu frei um,
so hielt er es wohl für angebracht, den Länderwechsel durch nüch-
terne Tafeln mit Aufschriften bekannt zu geben. Die Bühne selbst
änderte ihr Aussehen nicht: gleich friedlich sah die Portisre drein,
ob sie nun Falstaffs Kneipe oder das Schlachtfeld von Shrewsbury
umgrenzte. Es ist eine Jnventaraufstellung aus dem Jahre 1598
erhalten, die uns von dem Fundus eines Thcaters Drolliges er-
zählt: „Jtem: ein Felsen, ein Gefängnis, ein Höllenrachen, ein Grab
Didos. Jtem: acht Lanzen, eine Treppe für Phaöton, um in den
Himmel Zu steigen. Jtem: zwei Biskuitkuchen und die Stadt Nom.
Jtem: ein goldenes Vließ, zwei Galgen, ein Lorbeerbaum. Jtem:
ein hölzerner Himmel, dem alten Mohammed sein Kopf. Jtem: des
Cerberus drei Köpfe, ein Drache in Faustns, ein Löwe, zwei Löwen-
köpse, ein großes Pferd mit seinen Beinen. Jtem: ein paar rote
Handschuhe, eine päpstliche Mitra, drei Kaiserkronen, ein Gestell, um
im »Schwarzen Johann« zu köpfen. Jtem: ein Kessel für den Juden.
Jtem: vier Röcke für Herodes, ein grüner Mantel für Mariannc,
ein Leibchen für Eva, ein Anzug für den Geist und drei Hüte für
die spanischen Dons." Poch in den ersten Dezennien des 17. Jahr-
hunderts wurden nur bei höfischen Aufführungen ausnahmsweise ge-
malte Prospekte verwendet.

Zu festen Schauspielhäusern in der Art der englischen brachte
es Deutschland lange nicht. Aber Anregungen kainen doch zu uns
von jenseits des Kanals. Vor allem bildete sich nun ein Stand der
Berufsschauspieler. Herzog Julius von Braunschweig richtete ein
eigenes Theater ein und dichtete fleißig dafür; er sowohl wie Hans
Sachs und Jakob Ayrer, der seine Stücke eingestandenermaßen in
der „neuen englischen Manier" schrieb, haben sich auch hinsichtlich
der Kulisse sklavisch an das Vorbild angelehnt. Der Vorhang fehlte
noch immer, an den Aktschlüssen hieß es: „Gehen wir" oder „Tragt
diese Leiche fort", um die Bühne frei zu machen. Die Komödianten
schlugen ihr wackeliges Gerüst im „steinernen Saale" des Dresdener
Schlosses auf, in den Fecht- und Ballhäusern, wo sich sonst Kunst
reiter produzierten oder wo mit dem Balle gespielt wurde. Noch
Magister Velthen und die Neubers traten in Nürnberg in einem
solchen Hause auf, das „dem Mars und der Kunst" geweiht war,
Für die Entwicklung der Kulisse konnte hier nicht viel geschehen, wv
man nnr flüchtiger Gast und vom Tageslicht nnd Wetter abhängig
war; denn der viereckige Raum war ungedeckt. Als man 16.92 nach
langer Pause in Oberammergau die Passionsspiele wieder aufnahm,
ahmte man auch da das englische Muster nach. Die Vorderbühne,
sehr breit, um Volksmassen aufzunehmen, blieb wie bei Shakespere
unverändert; die Hinterwand, durch einen Vorhang den Augen des
Publikums entziehbar, wechselte man aber aus. Von der alten My-
sterienbühne übernahm man die Häuser des Kaiphas und des Pilatus,
die während der ganzen Vorstellung sichtbar waren: rechts und links

qs2

Aunstwart
 
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