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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Die Entwicklung der Kulisse, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0574

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von der Mittelbühne und nur durch je ein Tor von der Hinterwand
geschieden. Durch diese beiden Tore blickte man in die Straßen von
Jerusalem.

Von der Florentiner Oper aus ging endlich ein frischer eigener
Wind durch die Kulissenwelt. Der Ulmer Architekt Furtcnbach er-
zählt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Wunderdinge von
dem „fürstlichen Theater" dcr Mcdizäerstadt: sechs bis sieben Ver-
wandlungen an einem Abend, perspektivisch gemalte Straßen und
Gärten, Wald und Meer im Hintergrund, verstellbare Seitenkulissen,
kunstvolle Flugmaschinen, Oellampenbeleuchtung, Versenkrlngen und
gar ein Hauptvorhang! Für die Seitenwände griff man die alt-
griechischen Periakten wieder auf, nur stellte u:au nicht bloß zwei
solcher dreiseitigen Prismen hin, sondern zehn, rechts und links je
fünf. Alle fünf waren durch eine Kurbel gleichzeitig drehbar; sie
bildeten drei Kulissenbilder und drei Kulissengassen, weil sich zum
hinteren und mittleren Bilde immer zwei Prismen vereinigten; nur
das vordere, fünfte Prisma stand für sich. Durch die drei Gassen
traten die Darsteller auf, wenn sie von der Seite kommen mußten,
hier auch standen die Wagen, die auf die Szene fahren sollten.

Der Dresdener Hof errichtete 1667 das erste große deutsche
„Komödienhaus", das 2000 Zuschauer faßte nnd glänzend ausge-
stattct war. Ein alter Stich erzählt beredt davon. Die Bühne macht
einen durchaus modernen Eindruck; vor ihr, dort wo unsre ersten
Parkettreihen siud, ist ein freier Raum gelassen, der die rechte und
die linke Hälfte des Zuschauerraums verbindet. Bon hier führen
Stufen zu den Seitenlogen empor. Die Eroberungen der Florcn-
tiner szenischen Kunst, die auch nach Frankreich und Spanien ver-
pflanzt worden waren, wurden natürlich in Dresden verwertet und
wcitergeführt. Ju einem Bericht aus dem Jahre 1671 heißt es hicr-
übcr: „was vor fürtreffliche künstliche perspektivische Werke, Beweg-
ungcn, Veränderungcn und machinen im Theatro seien, könne besser
des Nachts, wcnn bei angezündeten Lichtern agiert wird, als am
Tage gesehen werden."

Andre Städte folgten langsam Dresdens Beispiel, und so konnte
sich endlich, mehr als 2000 Jahre nach Griechenlands Theaterblüte,
die Kulisse bei uns in Ruhe auf festem Grunde entwickeln. Der
Schnürboden wurde immer umfangreicher und höher. Rollte man
anfangs Prospekte und Gardinen auf Walzen auf, wobei die
Bemalung erheblich litt, so wurden sie später ungerollt und unge-
knickt in ihrer ganzen Ausdehnung glatt hochgezogen. Die Soffitten,
wclche das Bühnenbild nach oben hin abschlicßen oder verlaufen
machen, vervollkommneten sich. Ragten sie früher als unveränder-
lichc rote Shawls in Zimmer und Wälder hinein, so verwandelten
auch sie sich bald mit jeder Verwandlung. Ein Rest ihrer ehemaligen
Eintönigkeit ist noch bis auf den heutigen Tag am vordersten Mantel
haften geblieben: der gemalte ausgesteifte Shawl, der in zwei Hälften
von dem Giebel des Bühnenausschnittes bis zur Rampe herabhängt.
Die prismatischen Kulissengerüste bewährten sich auf die Dauer auch
nicht, da sie nur drei Dekorationen flankierten und bei der Drehung
auch nicht immer gehorchten. Zudem zeigten sie stets nur die un-

2. Augustheft tdvZ
 
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