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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 22 (2. Augustheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0587

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schwerlichen Wirtschaft und den sechs Kindern zurückblieb. Sie verlor
den Mut nicht, sondern führte die beiden ältesten Söhne an den
Sarg und ließ sich dort über der Leiche des Vaters von ihnen ge-
loben, daß sie für ihre kleinen Geschwister sorgen und ihr beistehen
wollten, so weit ihnen Gott Kräfte verleihe. Das gelobten sie, und
das taten sie, bis der jüngste Sohn konfirmiert worden war. Da
glaubten sie, daß sie ihres Gelübdes entbunden seien; der älteste
heiratete die Witwe eines Hofbesitzers, und der zweitälteste bald dar-
auf deren wohlhabende Schwester.

Die vier zurückgebliebenen Brüder sollten nun das Ganze leiten,
nachdem sie bisher unaufhörlich selber geleitet worden waren. Sie
hatten nicht sonderlich viel Mut^ sie waren von Kindheit an gewöhnt,
zusammenzuhalten, zu zweien oder zu vieren, und taten das nun
um so mehr, als sie Hilfe bei einander suchen mußten. Keiner sprach
eine Ansicht aus, ehe er sich der Meinung der übrigen versichert zu
haben glaubte, ja sie waren sich im Grunde über ihre eigne nicht
eher klar, als bis sie einander ins Angesicht gesehen hatten. Ohne
daß sie irgend welche Verabredung getrosfen hätten, herrschte doch
ein stillschweigendes Uebereinkommen zwischen ihnen, daß sie sich nicht
trennen wollten, so lange die Mutter lebte. Diese selber wünschte
es indessen ein wenig anders zu haben, und es gelang ihr, die
beiden verheirateten Söhne auf ihre Seite zu bringen. Der Hof
war jetzt gut imstande, er bedurfte größerer Hilfskräfte, weswegen
die Mutter vorschlug, die beiden Aeltesten abzufinden und den Hof
unter die Vier so zu teilen, daß je zwei und zwei ihr Teil zu-
sammen erhielten. Es sollten neue Gebäude neben den alten auf-
geführt werden; da hinein sollte das eine Paar ziehen, während
das andere bei ihr verblieb. Von dem Paar aber, das auszog,
sollte sich der eine verheiraten, denn sie bedurften der Hilfe für Haus
und Vieh — und die Mutter nannte das Mädchen, das sie sich zur
Schwiegertochter wünschte.

Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden; dagegen handelte
es sich nun darum, welche von den beiden ausziehen, und wer von
diesen beiden sich verheiraten sollte. Der Aelteste sagte, er wolle
wohl ausziehen, verheiraten würde er sich aber niemals, und ebenso
wies jeder der andern dies von sich ab.

Da einigten sie sich mit der Mutter dahin, daß das Mädchen
selbst es entscheiden sollte. Und oben auf der Alm fragte die Mutter
sie eines Tages, ob sie nicht als Fran in die Ebene hinabziehen
wolle, und das Mädchen wollte es gern. Ja, wen von den Burschen
sie dann haben wolle, denn sie könne bekommen, wen sie wolle.
Nein, daran hatte sie noch nicht gedacht. Dann müsse sie es jetzt
tun, denn es hinge von ihr ab. Nun, dann könnte es ja der Aelteste
werden; aber den konnte sie nicht bekommen, denn er wollte ja nicht.
Da nannte das Mädchen den Jüngsten. Dte Mutter aber meinte,
das sei so sonderbar, er wäre ja der jüngste. Dann den Zweit-
jüngsten. — Weswegen denn nicht den Zweitältesten? — Ja, wes-
wegen denn nicht den Zweitältesten? entgegnete das Mädchen, denn
an ihn hatte sie die ganze Zeit gedacht, deswegen hatte sie ihn nicht
genannt. Die Mutter aber hatte von dem Augenblick an, als der

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