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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Wollen und Können, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0617

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Auf uun, ihr Geister, die ibr mich umhaucht,

Die ihr in Frieden rneine Seele taucht,

Die ihr auf Lichtgewölk und Strahlen thront,

Die ihr zu kfaus seid, wo kein wandel wohnt:

webt eine Brücke mir zum vollmondlicht,

Das groß und ruhvoll aus dem Schwarzwald bricht!

Laßt auf dem Lichtpfad Sxhärenmelodie'n
Als kfimmelsgäfte in das lherz mir zieh'n!

Denn ach, mein Tag war unaussprechlich klein —

Im ew'gen Lichtreich will ich Bürger sein!

Gewiß ein menschlich erfreuliches Gefühl, das hier zum Ausdruck
kommt, die so oft betonte Sehnsucht Lienhards übers Kleinliche des All-
tags hinaus ins Ewige, das ihm die Natur symbolisch bietet. Nur kann
ich nicht finden, daß sich diese Sehnsucht geistig oder seelisch bedeutender
darstellte; denn das künstlerische Medium, dessen sie sich zu unsrer Ver-
ständigung bedient, das Bild von der Geisterbrücke zum Vollmondlicht,
mutet doch recht altvertraut an, wenn es auch hier durch das ^zum"
Vollmondlicht für mein Gefühl zunächst schief gerückt ist; auch wird
es durch die Einzelzüge, die ihm Lienhard verleiht, in keiner Weise
neubelebt: „Himmelsgäste" und „Sphärenmelodien" auf dem »Licht-
pfad" schätz ich in dieser Beziehung nicht sehr hoch ein — es sind nur
übernommene Vorstellungen, ohne daß es gelungen wäre, sie mit eigener
Gefühlskraft zu neuem eigenartigen Leben zu beseelen.

Mehr gibt ja wohl „Abendrot", das dieselbe Sehnsucht zum Aus-
druck bringt, ein Lied, auf das ich wieder durch Anhänger Lienhards
nachdrücklich hingewiesen wurde.

A b e n d r o t.

Mir ist nach einer tseimat weh, die keine Lrdcngrcnzen hat,

Ich sehne mich aus !Nenschcn-Bot nach einer ew'gen ksimmelsstadt.

Groß glänzt und klar das Abendrot, sanft rauscht der TZuell im lvasgenwald —
tVic bald verging niein Lrdentag, und all mein Tagewerk — wie bald!

G komm, du weltallweite Nacht, die keine Lrdenmaße kennt,

Aus deren Tiefen Stern an Stern auf unser winzig Sternlein brennt!

Nicht müd' bin ich vom Tagewerk und doch bin ich des Tages satt —

Nach deinen Weiten sehn' ich mich, du unbegrenzte tfimmelsstadt!

Hier gibt uns Lienhard ein dichterisch selbständiges Bild in höherem
Sinn: die weltallweite Nacht, aus deren Tiefen Stern an Stern auf
unser winzig Sternlein brennt — ja das ist mit der Phantasie „ge-
sehn". Sonst aber ist auch in diesem Gedicht herzlich wenig bedeutend
gestaltet. „Groß glänzt und klar das Abendrot, sanft rauscht der Quell
im Wasgenwald." Das ist noch allgemeine »Vorlage"' ohne individuelle
Stimmung. Und wenn wir unseren Blick auf den Brennpunkt des ganzen
Gedichtes lenken, so stehn wir abermals vor einer Enttäuschung. Wo-
nach ruft der heimatstolze Sänger der deutschen Landschaft in seiner
Ewigkeitssehnsucht? Nach einer Stadt und zwar nach einer unbegrenz-

qsq

Runstwart
 
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