Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Wollen und Können, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0622

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
selber, so schnell ols möglich aus den Augen zu verlieren trachtet,
sonst kann sie mit dieser Bilderspielerei nicht mit. Wie bezeichnend dann
wiedcr sür das Schreibstubenmäßige bei Lienhard, daß er an anderer
Stelle die Ewigkeit als ein Buch bezeichnet, das sich jede Nacht, ,hell
von goldenen Riesenlettern", „mit blauen Blättern (I)" ausbreite. Das
Literatentum bei ihm überhaupt, wie begrifflich klingt's, wie papieren
rauscht's da alle Augenblicke! Da ist Lienhards „Schutzgeist", den er
uns folgendermatzen vorstellt:

Lticht allzu schön, doch voll Adel und Seele.

Eine vorsichtige und gerecht abwägende Ausdrucksweise — in einem
Hymnus! Und wie bcrührt's, wenn er im .Liebesbrief" neben den
„Veilchen von besonnter Halde" und den ,Blüten aus dem Schlehen-
walde" die schlichten Worte der Geliebten als „Satz" zu cmpfinden
vermag:

Und ber dcn schlichten Berggeschcnkcn

der Satz: „Ich m»ß so an dich denken!"

Freilich, wir sind dies Papierrauschen im „deutschen Dichterwalde"
schon so gewöhnt, daß die meisten solch eine Ausdrucks- und Empfindungs-
weise ganz natürlich findcn und vielmehr dcn Kritiker, der sich darüber
aufhält, als cinen spitzfindigen Störenfried betrachten. Jst es besser,
wenn Lienhard von der „Seelensprache stiller Majestät, die durch
Millionen Meilen sich versteht" sagt, sie sei „Ein Rest der Sprache der
Unendlichkeit" ? Vom Holperrhrsthmus und Holperdeutsch mit den zwei
hintereinandergehängten Genitiven ganz abgeschen, ist da der Einfall
in ein dichterisches Wesen von Fleisch und Blut übergegangen, in einc
Anschauung umgeboren oder kommt er nicht vielmehr in ursprüng-
licher Begriffsnacktheit kümmerlich-prosaisch auf Reimkrücken daher?
„Klcinigkeiten! Ausdrucksmängel!" Nur daß sich in diesen „Kleinigkeiten"
am deutlichsten die besondere Art des Sehens, Empfindcns, Denkens
verrät, die einen gestaltenden Dichter von eincm nur nachcmpfinden-
den Menschen unterscheidet. Muß man es so nicht als undichtcrisch,
nicht als rein abstrakt bezeichnen, wenn Licnhard von „endlich er-
laubten Gottesspeeren' spricht? wird da nicht der greifbare, schleuder-
bare Gottesspeer förmlich zu einer bloßcn „Bedingung" verflüchtigt?
Jn diescm Weiterspielen mit der „juristischen" Wendung „erlaubte Waffen"
zeigt sich wohl „Geist", ja, aber eine gute Art von Geist ebensowenig,
wie dort, wo Lienhard Anschauungen durch Wortspiele verzerrt. So sagt
er von seinem geliebten Walde: „Jch hange daran — Wie der Pfirsich
an blühendem Hause!" Um das schlechthin Lächerliche dcr Anschauung
zu empfinden, braucht man sie sich nur vorzustellen.

Und dieser „literarische" Beigeschmack des Lienhardschen Wesens
überhaupt wird in seiner Lyrik noch bedeutend dadurch vcrstärkt, daß
er sein „Sängcrtum" gar so stark hervorkehrt. Die gute Waldfrau
streichelt ihm mit „Geküß" die „Dichterlocken". Er holt sein Mädchen
als „Dichterbraut" ins entsetzte Städtchen. „Nicht Sünger und
Seher bin ich mehr", ruft er: „mit rauschendem Harfenklange",
Niemals liebten sich zwei:

Iiu wilden tvald wie du und ich,

Lin Dichter seine tsochlandsinaid.

z. Septemberheft tdl>Z
 
Annotationen