Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
DOI Artikel:
Weber, Leopold: Wollen und Können, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0623

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Welcher echte Dichter hält sich denn so beständig das eigne Dichter-
turn vor Augen, rvenn er erst einmal das Jünglingsröcklein abgelegt
hat? Jch rneine, dem Volltalent müßte sein besondres Tun so natürlich
wie die eigne Haut sein, die man auch nicht immerwährend als einen
eigentümlichen Ueberzug empfindet und erwähnt. Wenn ich mich nicht
sehr täusche, ist's Hebbel, der als Kennzeichen des wahren Poeten sogar
eine gewisse Nichtachtung des Poetentums voraussctzt. Nicht ganz ohne
unfreiwillige Komik ist's, wenn sich dies Sängertum auf dem Papier
gar zum Sehertum steigert, wenn Lienhard sich selber als von Gott
zum „Künder des Lichts" ausersehn, „als Lichtgeist, als Seher, als
Sünger" hinab zu den Menschen steigen läßt, — während ein ähnlicher
„Seher" sich gelegentlich wieder mehr als ein wackrer Pädagoge ent-
puppt: er steht und ragt — „eine Säule von Licht", und ruft dem
Völklein der Kleinen: „Komm' her zu göttlichem Unterricht." Wohl-
gemerkt, eine Vorstellung, die nicht etwa humoristisch darstellen soll,
sondern im ganzen Ernst durchgeführt wird, bis sie, infolge der „Licht-
predigt",

.. . wächst und leuchtet, gesättigt von Rraft,

In Rosagewändern (I) die Geisterschaft (!).

Nun können freilich auch solche ,güttliche Unterrichtsstunden"' von
einer großen ursprünglichen Naivität in allem Ernste glaubhaft gemacht
werden — dem wortreichen und wortgewandten Lienhard fehlt's aber
meines Erachtens grade an dieser Einfalt, so wenig ich seine Sehnsucht
danach verkenne.

Kurz, wir kommen auch bei Lienhards Gedichten schließlich im
großen und ganzen, wenn nicht zu demselben, so doch zu einem ähn-
lichen Ergebnis wie bei seinen Dramen: einzelnes besser Gelungene zu-
gegeben, auch hier bringen wir so ziemlich eine Musterkarte von all den
Dingen zusammen, die der echten Dichtung fern bleiben sollten. Als
da sind: das papierne Literaturwesen, der Mangel an Anschaulichkeit,
das Schiessehn der Phantasie, das Verflüchtigen greifbarer Vorstellungen
zu ^Begriffen", das Prunken mit Vergleichen, die sich als Phantasie-
bilder geben, während sie nichts weniger als wirklich „geschaut" sind, der
rhetorische Schwulst u. s. f.

Fassen wir noch einmal kurz zusammen, wie sich uns diesen Aus-
drucksmängeln und Schwächen gegenüber der Grundgehalt des Lien-
hardschen Wesens darstellt: bei starker Heimats- und Vaterlandsliebe
äußert er sich, mein' ich, vor allem in dem freudigen Glauben an die
Güte der Welt und in dem daraus geborenen Streben nach einer groß-
zügigen warmherzigen Lebensauffassung. Doch zeigt sich dieser freudige
Optimismus bei näherem Zusehn von sentimentalen Elementen stark
durchsetzt, von Neigungen zu aufschönendem, also doch oberflächlicherem
Jdealismus beherrscht, von Phrasen überwuchert, seine Lebensauffassung
aber schließt sich, sobald sie aus dem vagen Gebiet allgemeiner An-
sichten ins schärfere Licht bestimmter Theorien und Urteile tritt, häufig
zu einer bedenklichen Enge zusammen, und das Gefühl, das diese Lebens-
auffassung durchpulst, ist zum großen Teil rettungslos im Herkömm-
lichen befangen.

Aber selbst wenn wir in Lienhards Ansichten viel mehr als in der

4S0

Aunstwart
 
Annotationen