Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
DOI Artikel:
Schultze-Naumburg, Paul: Kulturarbeiten: unsere Dörfer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0628

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es ist das schlichte deutsche Haus. Es hat auch noch einen
kleinen Bruder. Das ist das Bauernhaus. Und auch dem ist es
bishcr nicht besser gegangen. Er ist überhaupt nur dann gesehen
worden, wenn er sein bescheidenes Dasein mit irgend einem Orna-
ment, einer Holzschnitzerei oder was dergleichen mehr ist, als „be-
rechtigt" erweisen konnte. Dann ist ihm hie und da sogar die Ehre
angetan worden, „imitiert" zu werden.

Jch will von diesem Typns nun nicht behaupten, daß er alle
Phasen einer Entwicklung durchlaufen habe und keiner Erweiterung,
Bereicherung fähig sei. Jm Gegenteil. Jch wüßte nicht, wozu all
der technische und wissenschaftliche Vorstoß des 19. Jahrhunderts ge-
schehen sein sollte, wenn wir ihn nicht anwendeten. Es wäre also
durchaus nur zu erwarten, daß wir all das, was wir auf dem Ge-
biet der Gesundheitslehre, der Tcchnik usw. gelernt haben, dem
alten Besitze einverleibten. Aber ein Weiterentwickeln ist doch nur
dann möglich, wenn man versteht, den erworbenen Schatz auch zu
erhalten. Und mit welcher Ahnungslosigkeit ist man mit diesem
Erbe umgegangen! Ja, es haben sich immer wieder Phrasenhelden
gefunden, die diesen Treubruch an den Traditionen und die dafür
eingetauschte Hilflosigkeit und Haltlosigkeit guthießen und zu Gunsten
der beliebten „Zukunftsformen" ausbeuten möchten!

Nun gibt es bekanntlich wenig konservativere Dinge, als gerade
das Lebcn des Bauern. Man mag sagen, was man will; da wo
der Bauer noch Landmann ist, haben sich seine Lebensformen nicht
so geändert, daß die überlieferten Formen der Dörfer für ihn eine
formale Lüge bedeuteten. Und da die dörflichen Bauten doch auch
heute noch eine ganz gewaltige Rolle spiclen, wäre es unsere Pflicht,
zu den einfachen, schlichten, aber doch eben schon so hoch entwickelten
Grundformen zurückzukehren.

Ja, selbst wenn der Bauer verschwunden wäre, hätte man allen
Grund, sein Erbe, die Form des Bauernhauses, nicht verkommen zu
lassen. Der Schatz, der im Bauernhause als Kunstsorm uiedergelegt
ist, birgt ja die höchsten Werte für die Formeu der menschlichen Bc-
hausung überhaupt. Denn es ist die Keimform des fein organi-
sierten kleinen nordischen Wohnhauses.

Die Sehnsucht unscrer neuen Generation, soweit sie unsere
Wohnstätten angeht, zielt auf die Wiedcrgründung einer feinen, stillen,
bürgerlichen Kultur, in der sie die Ruhc uud das Behagen wenigstens
zwischen ihren vier Wäuden findct, zu dem sic der Daseinskampf
draußen sonst nicht kommen läßt.

Aber je nach Stand, Herkunft, Besitz oder auch Neigung teilt
sich diese Generation doch deutlich merkbar in zwei Klassen. Dic
eine, die mehr die wohlhabende, behäbige bürgerliche Kultur ihr eigen
nennt; die andere, die eine bcscheidenerc, ländlichere Form für sich
erringen will. Jch denke an den sich überall mit Macht verbreiten-
den Trieb, weit draußen vor der Stadt, in der Nuhe des Waldcs,
der Wiese und der Felder, Wohnhauskolonieen zu gründen, die auch
den bescheidensten Ansprüchen befriedigend dienen sollen. Ja, gerade
von diesen scheint die Hauptbewegung auszugehen.

Diese Kolonieformen sind zwar in dieser Ausdehnung und Ver-

4SS

Sextemberheft tdos
 
Annotationen