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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0656

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Trotz seiner pessimistischen Tendenz
halte ich das Werk sür dichterisch sehr
bedeutend. Obwohl an geistigem Ge-
sichtskreis beschränkterals etwaTolstois
»Auferstehung^, ist es sachlicher in
seiner Verketlung von Ursache uud
Wirkung, ist es als Kunstwerk reiner.
Ts ist künstlerisch stärker als Gorkis
eigene Erzählungen, die sich etwa wie
Vorstudien zu dieser ergreifenden Ab-
wicklung eines typischen Schicksals
ausnehmen. Denn Jlja ist freilich
ein Typus, und zwar mit unoerkennbar
slavischem Einschlag. Die Welt ist
schlccht, ein ehrlicher Kerl mutz schlecht
werden in ihr, wenn er bestehen will
— eine heroische, eine lichte Weisheit
ist das nicht, und auch Gorki hat sie
bisher nicht als führende Jdee aus-
gegeben, hat im Gegenteil immer
wieder den Menschen über die Ver-
hältnisse, die guten oder die schlechten
hinweg seinem angeborenenZugefolgen
heitzen. Hier zum ersten Mal gibt er
das individualistische Bekenntnis auf,
spricht er dem Milicu die bestimmende
Macht zu. Darüber läht sich streiten,
wie man mit Taine streiten wird, so
lange der Mensch, kurz ausgedrückt,
nicht nachweisbar das ist, was er itzt.
Aber auch in dieser Wendung Gorkis
liegt, wenn sie üauernd ist, ein typi-
sches Merkmal slavischen Wesens,
vielleicht des Wesens unserer Zeit
überhaupt. Jm übrigen ist sein Ro-
man wunderwürdig ausdrucksvoll im
psychologischen Filigran.

Emil Zolas drittes Eoangelium
.Wahrheit" (Stuttgart, Verlagsanstalt,

2 Bde. geb. 8 Mk) mag als nachge-
lassenes Werk des grohen Franzosen
hier wenigstens erwähnt sein. Eine
Besprechung dieser kaum verhüllten
Dreifuh-Asfaire erübrigt sich nach dem,
was Bartels in seinem Nekrolog an
dieser Stelle (Kw. XVI, 2) gesagt hat,
denn Zola hat sein Talent vor seinem
Hinscheiden nicht verändert. Merk-
würdig ist nur, wie schnell dieses
Talent nicht nur in der engeren

literarischen Schätzung, sondern auch
in seiner weiteren Wirkung bei uns
! ,historisch"geworden,als lebende künst-
lerische Kraft ausgeschaltet ist. Frei-
! lich, er war uns im innersten Wesen
stets fremd, trotz der hohen Achtung,
die wir ihm bezeigten, und zu
bezeigen schuldig waren. Aber seltsam
ist dieses sein plötzliches Zurücktreten
in das Gewesene doch, doppelt seltsam
nun, da in der Malerei der Zolaismus,
durch den Jmpressionismus Manets
repräsentiert, bei uns gerade heute
erst in die höchste Blüte der Bewun-
derung kommt. L. Kalkschmidt.

jAukik.

G Jahrbuch der Musikbiblio-
thek Peters.

Der Jahrgang ty02 dieser Ver-
öfsentlichung des bekannten Verlags-
hauses C. F. Peters enthält wieder so
wertvolle Aufsätze, daß unser früher
ausgesprochenes Urteil, diese Jahrbücher
gehörten zu den allerbestenregelmäßigen
Erscheinungen auf dem Gebiete der
Musikschriftstellerei, in der erfreulichsten
Weise bestätigt wird. Den Anfang
bildet wieder eine interessante Statistik
des Bibliothekars I)r. Rudolf Schwartz,
das Ende seine sehr wertvolle Zu-
sammenstellung aller im laufenden
Jahre erschienenenSchriftenüberMusik.
Jnteressieren diese beiden Teile mehr
den Fachmann, so sind bereits allge-
meineren Jnteresses sicher zwei Aufsätze
von Max Friedländer, dem Berliner
Musikforscher, der sich als besonderes
Arbeitsfeld die Geschichte des deutschen
Liedes gewählt hat. Die interessanten
Aufschlüsse über die Quellen der Me-
lodieen, dieBrahms in seinen bekannten
Volkslieder-Heften benutzt hat, werden
manche Frage, die den vielen Freunden
dieser Kunstwerke oft auf den Lippen
geschwebt hat, beantworten.

An allgemeiner Bedeutung noch
über dem Allem stehen aber zwei Auf-
sätze von Hermann Kretzschmar, die
wieder zeigen, daß dieser als vorurteils-

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