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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0664

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Jn dem besuchtesten Reiseartikella-
den eines unsrer besuchtesten Badeorte
fand ich neulich in einem Schaufenster:

t. Einen Schwimmgürtel aus Stoff,
derals„Rahmen"einenKalenderumgab,

2. Blumenvasen aus Porzellan in
Form von Gießkannen, auf die je ein
Leuchtturm gemalt war,

3. KravattennadelnmitFahnen, auf
welchen sich je eine Ansicht befand,

einePerlmuttermuschelalsSchiff,
eine ebensolche als Segel dazu, auf ihr
darauf der ortsübliche Leuchtturm als
Ansicht,

5. einen plastisch nachgemachten
Seehundskopf, dem aus der Stirne ein
Uhrhalter entwuchs,

6—^oo. ohne Ausnahme gleichwer-
tiges.

Und solcher Läden gibt es an dem
einen Orte ein halbes Dutzend. Alle
die stein- und beinerweichenden Nou-
veautLs von ehedem sind da noch. Und
sie finden ausnahmslos ihr dankbares
Publikum. Die Sammlungen von
„Nippes'", die zumal in den Damen-
Boudoirs immer noch den unvorsich-
rigen Besucher erschrecken, ich glaube,
sie stammen allergrößtenteils von
„Reiseandenken".

DerWunsch,Reiseandenkensich selbst
mitzunehmen und seinen Lieben mitzu-
bringen, liegt so nah, daß es sich auch
geschäftlich verlohnen würde, auf seine
vernünftige Befriedigung mehr als bis-
her zu achten. Selbstverständlich wird
jeder nach Charakteristischem fahnden,
nach Sachen, die für das besuchte Stück-
chen Welt bezeichnend sind. Es ist
ordentlich tragikomisch, wie sich dieses
natürliche Verlangen in dem Klimbim
in Verzerrung zeigt, den die Geschäfte-
macherei vertreibt. Man ist an der
Ostsee und will also Muscheln mit-
nehmen, man kriegt auch haufenweise
Muscheln zu kaufen, — aber ausschließ-
lich exotische. Wer eine Sammlung
der Naturstücke mitbringen wollte, die
sich wirklich dort finden, wo er ist, etwa
eine wirklich unterrichtende Sammlung

t- Septemberheft tS»3

über die Fauna und Flora der See,
wo böte sich dem etwas? Man ist,
sagen wir, in den Alpen, und wünscht
also Erzeugnisse etwa der alten Alpen-
länderkultur, sie selbst ist aus den
Modeorten ja meistens zum Teufel ver-
jagt, aber eine sentimentaltuende Jn-
dustrie irgendwo anders verschleißt
hicrher allerhand Kindischkeiten, die
deshalb „gehen", weil sie mit dieser
alten Kultur kokettieren. Man sucht
Sachen, die von Sinn und Geschmack
der Einwohner zeugen, und was
man erhält, ist allerbilligster und aller-
unsolidester Allerweltströdel, dem ein
„Andenken an . .. ." mit den tau-
send verschiedenen Namen der „Absatz-
plätze" gleich in der Fabrik aufge-
druckt wird.

Wir haben im vorigen Jahre (Kw.
XV, 23) ausführlicher über den
Selbstbetrug jener Gesellschaft ge-
sprochen, die so, wie sie's zu treiben
pflegt, sich doch einbildet, in unsern
Bädern und Sommerfrischen „in der
Natur"' zu leben. Wir haben uns einen
tzinweis darauf erlaubt, daß dieselben
Leute, die unfähig gewordcn sind,
aus den Quellen zu trinken, selbst
wo sie zwischen ihnen herumlaufen, dann
doch in den Städten für unsre Kunst
das sogenannte maßgebende Publikum
stellen. Vielleicht darf man ein altes
Wort in gewissem Sinne auch so ab-
wandeln: zeige mir, was du von der
Reise mitbringst, und ich will dir sagen,
was in dir steckt. A.

G Als wir aus Magdeburg
kürzlich von einem bezeichnenden Stück-
chen „Drahtkultur" berichteten, wiesen
wir doch zugleich auf den guten Geist
hin, der sonst dort bei der Pflege alter
Baudenkmäler gewaltet habe. Ach,
er scheint müde geworden und nun
abgelöst zu sein, dieser gute Geist!
Von einem der anerkanntesten Sachver-
ständigen auf diesem Gebiet klingt zu
uns ein Schmerzens- und Weckruf:

„Jn das traute Kreuzgang-
gärtchen des Domes ist dort eine

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