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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
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Rundschau
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Heft 24 (2. Septemberheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0698

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Wie lebendig wurde es dann im Lädchen; die Klingel bimmelte
ohne Aufhören, denn „Müller's hatten ein Schwein geschlachtet", und
so kamen die Kinder in Schaaren mit Töpfchen und Krügen, und
immer wiederholte sich die Bine: „Schenken Sie mir ein bischen
Wurstbrühe, Herr Müller!" Der cholerische, sonst gute Herr Müller
konnte sich der Schaaren gar nicht mehr erwehren, die Klingel bim-
melte völlig Sturm, mit immer größeren Schritten lief er hinter der
Ladentafel scheltend und polternd einher und glich so wegen der Kürze
des Ranms einem im Käfig herumtrabenden gereizten Tiger. Endlich
stand die Zipfelmütze bolzengerade in die Höhe, und das Wetter brach
los: „Jhr Racker, jetzt packt euch alle, sonst kommt die Hetzpeitsche!"
und im Nu stürzte und purzelte die ganze kleine Bande zur Laden-
thür hinaus, und der gute alte Müller stand mit der drohenden
Hetzpeitsche, wie der Donnergott Zeus, unter der offengebliebenen Thür
und schloß diese dann eigenhändig, wenn die Schaar sich verlaufen
hatte.

Dies kleine Müllerlädchcn mit seiner Kundschaft, die in einem
armen Stadtviertel eine recht bunt-charakteristische ist, hat gewitz auf
mein künstlerisches Gestalten in späteren Jahren viel Einflutz gehabt;
unbewutzt tauchten diese Geister alle auf und standen mir Modell.

Dies waren nun die Eindrücke aus der Menschenwelt; der Garten
bot Anderes. Noch bis heute berührt mich der Anblick der Blumen,
aber nur der bekannten, welche ich in der Jugend sah, ganz eigen-
thümlich und tief. Jn der Farbe und Gestalt, im Geruch und Ge-
schmack mancher Blumen und Früchte liegt für mich eine Art Poesie,
und ich habe die Früchte mindestens ebenso gern nur gesehen, als
gegessen, Der Garten hatte Rosenbüsche in Unzahl. Wie oft guckte
ich lange, lange in das kühle, von der Sonne durchleuchtete Roth
eines solchen Roscnkelches, und der herausströmende Duft mitsammt
der himmlischen Nosengluth zauberte mich in ein fernes, fernes Para-
dies, wo Alles so rein, so schön und selig war! Jch wutzte freilich
nichts von Dante; jetzt aber meine ich, er habe wohl auch in solche
Rosengluth geschaut und kein besser irdisch Bild für seine Paradies-
vision sich erdenken können, und in den Kelch setzt er die Reinste der
Reinen.

Es stand am Ende des Gartens ein uralter Birnbaum, zwischen
dessen mächtigen Aesten ich mir einen Sitz zurecht gemacht hatte.
Manche Stunde verbrachte ich träumerisch in dem grünen Gezweig,
um mich die zwitschernden Finken und Spatzen, mit welch' letzteren
ich zur Zeit der Reife die Birnen theilte, die der alte Baum in Un-
zahl trug. Von diesem verborgenen Aufenthalt überblickte man dcn
ganzen Garten mit seinen Johannis- und Stachelbeersträuchern, den
Reihen wild durcheinander wachsender Nosen, Feuerlilien, brennender
Liebe, Lack und Levkoien, Hortensien und Eisenhut, Nelken und Fuchs-
schwanz — wer nennt alle ihre Namen! Dann zur Seite die Ge-
müsebeete, und über die Gartenmauer hinüber die gelben Kornfelder
und die fernen Höhen von Rotzthal und Plauen! Das war nun
mein Bereich, wo ich mich einsam oder in Gesellschaft von Spiel-
genossen oder thätig beim Begietzen der Gurken, des Kopfsalats, dcr
Zwiebeln und Bohnen beschüftigte.

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Aunstwart
 
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