Ob sich bei solchem Treiben auf eincm für das Kindesalter ge-
eigneten reichen Schauplatze Phantasie und Gemüth nicht noch besser
ausbilden sollten, als in den jetzt beliebten Kleinkindergärten, wo
systematisch gespielt wird, stets mit bildender Belehrung und von
liebevoller Aufsicht umgcben?
An einem schwülcn Sommerabcnd des Jahres 1811, es dunkelte
schon, sahen wir einzelne Gruppen Leutc auf der Straße stehen nnd
in einer Richtung nach dem Himmel schauen. „Sie werden den
Kometen sehen," sagte mein Vater, nahm mich bei der Hand und
führte mich mit hinunter. Da sahen wir auch auf und erblickten das
Himmelszeichen. Ein großer Stern, einen langen Feuerstreif hinter
sich herziehend, schimmerte unheimlich geisterhaft über den dunkelen
Häusern und drohte von den fernen Wohnstätten des Friedens herab
auf die unruhigen, bewcgten Länder und Völker.
Das Prophezeien von Kriegs- und Heereszügen mochte in jenen
Tagen nicht schwer sein; denn seit Anfang des Jahrhunderts hatte
ja der gefürchtete, dämonische Maun in Europa Alles durcheinander
gerüttelt, und Deutschland seufzte unter seiner despotischen Faust.
Ein armer, hectischer Schuhflicker, der im Hinterhause wohnte,
trat auch zu der Menschengruppe und erklärte einigeu alten Frauen,
wie von diesem schrccklichen Kriegsherrn schon die Offenbarung Jo-
hannis ganz genau berichte uud selbst den Namen des französischen
Kaisers, der uns all das Elend bringe, deutlich- nenne; auf Hebräisch
heiße er Abaddon, auf griechisch Apollyon und bei den Franzosen
„Napolion!" cr habe das gestern selbst gelesen.
Der Krieg gegen Rußland brach los. Am 16. Mai, dem Vor-
abend des Psingstfestes, wurde der Kaiser Napoleon erwartet. Schon
Nachmittags ging ich mit meinein Vater aus, um das Eintreffen der
Franzosen zu sehen. Wir postirten uns an dem heutigen Postplatz;
denn sie wurden von Freiberg her erwartet. Die Straßen waren
von Menschen erfüllt, die Bürgergarde hatte bis in die Stadt hinein
Spalier gebildet. Endlich kamen Leute und riefen, auf den Höhen
von Roßthal sei Alles schwarz, da kämen sie herunter.
Nach einer Stunde endlich hörte man das Rasseln der Trommeln
und die Feldmusik, und uun erschien mit Staub bedeckt die Vorhut,
der ein Regiment um das andere folgte. Erst Nachts 11 Uhr kamcn
die prachtvollen Garden, die polnischen Ulanen, die Nobelgarde in
Silber glänzend bei dem Schein der Kienkörbe und Fackeln, die längs
der Straßen aufgestellt waren. Besonders wunderbar kam mir eine
2. Sextemberheft tdor
S5t
eigneten reichen Schauplatze Phantasie und Gemüth nicht noch besser
ausbilden sollten, als in den jetzt beliebten Kleinkindergärten, wo
systematisch gespielt wird, stets mit bildender Belehrung und von
liebevoller Aufsicht umgcben?
An einem schwülcn Sommerabcnd des Jahres 1811, es dunkelte
schon, sahen wir einzelne Gruppen Leutc auf der Straße stehen nnd
in einer Richtung nach dem Himmel schauen. „Sie werden den
Kometen sehen," sagte mein Vater, nahm mich bei der Hand und
führte mich mit hinunter. Da sahen wir auch auf und erblickten das
Himmelszeichen. Ein großer Stern, einen langen Feuerstreif hinter
sich herziehend, schimmerte unheimlich geisterhaft über den dunkelen
Häusern und drohte von den fernen Wohnstätten des Friedens herab
auf die unruhigen, bewcgten Länder und Völker.
Das Prophezeien von Kriegs- und Heereszügen mochte in jenen
Tagen nicht schwer sein; denn seit Anfang des Jahrhunderts hatte
ja der gefürchtete, dämonische Maun in Europa Alles durcheinander
gerüttelt, und Deutschland seufzte unter seiner despotischen Faust.
Ein armer, hectischer Schuhflicker, der im Hinterhause wohnte,
trat auch zu der Menschengruppe und erklärte einigeu alten Frauen,
wie von diesem schrccklichen Kriegsherrn schon die Offenbarung Jo-
hannis ganz genau berichte uud selbst den Namen des französischen
Kaisers, der uns all das Elend bringe, deutlich- nenne; auf Hebräisch
heiße er Abaddon, auf griechisch Apollyon und bei den Franzosen
„Napolion!" cr habe das gestern selbst gelesen.
Der Krieg gegen Rußland brach los. Am 16. Mai, dem Vor-
abend des Psingstfestes, wurde der Kaiser Napoleon erwartet. Schon
Nachmittags ging ich mit meinein Vater aus, um das Eintreffen der
Franzosen zu sehen. Wir postirten uns an dem heutigen Postplatz;
denn sie wurden von Freiberg her erwartet. Die Straßen waren
von Menschen erfüllt, die Bürgergarde hatte bis in die Stadt hinein
Spalier gebildet. Endlich kamen Leute und riefen, auf den Höhen
von Roßthal sei Alles schwarz, da kämen sie herunter.
Nach einer Stunde endlich hörte man das Rasseln der Trommeln
und die Feldmusik, und uun erschien mit Staub bedeckt die Vorhut,
der ein Regiment um das andere folgte. Erst Nachts 11 Uhr kamcn
die prachtvollen Garden, die polnischen Ulanen, die Nobelgarde in
Silber glänzend bei dem Schein der Kienkörbe und Fackeln, die längs
der Straßen aufgestellt waren. Besonders wunderbar kam mir eine
2. Sextemberheft tdor
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