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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 2
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Sternberg, Leo: Der Venusberg
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Sutter, Otto Ernst: Das Jungferngärtlein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0076

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Der Venusberg.

ivie eine Warnung anmutete und, wie der Doge von
dem Bord des Bucintoro seinen Ring ins Meer warf,
ikmr die Vermäblung der Abtissin mit diesem Teile des
Flusses zu besiegeln schien, so daß er einen Augenblick
zögerte, den Befehl zur Abfahrt zu geben. Als er aber
die schönen Gefangenen in ihrer weißen Ordenstracht
schon erwartungsvoll die rotausgeschlagenen Goldstühle
rings um seinen noch leer stehenden Baldachinsessel ein-
nehmen sah, da lachte sein altes Diplomatenherz, und
moselabwärts ging die Fahrt: an den fachwerkbunten
Winzerdörfern vorüber, die sich so dicht an die Felsen
lehnen, daß sie ihre Toten auf der anderen Seite des
Flusses zur Ruhe betten müssen; vorüber an den Bettler-
gestalten grotesker Kropfweidensande; an leuchtend-
grünen Jnselgründen, darauf die Schafe grasen; an rot-
besonnten Burgen und durchschlungenen Bergen, da-
zwischen die Pfade der Taler gehn. Während nun die
großgeöffneten, weltfremden Frauenaugen beim Rauschen
der Strömung und Flitzen der Schwalben noch in frommer
Zärtlichkeit an den vorübergleitenden Bildern hingen,
lag das bewimpelte Schiff auf einmal vor Anker, und
die Schwestern erwachten erst aus ihrem Traume, als
sie von den Mauern des Gartens sich umschlossen sahen,
über dessen wellenbespülte Treppe sie unversehens in
die geöffnete Gittertür eingetreten waren. Sie befanden
sich für immer — im Kloster Stubben.
Freilich sollte sich der Erzbischof des gelungenen An-
schlags nicht lange freuen. Schon als er die Gartenpforte
zu Stubben schloß, und die edelgestalteten Geschöpfe
sich im ersten Schrecken wie ein Schwalbengedränge um
seine Brust warfen, da wurde ihm trotz des Harnischs,
den er unter dem Priestergewand zu tragen pflegte, vor
den vielen nahen Augen und duftigen Händen so bange,
daß er eilends durch den Türspalt entwich. Als er sich
nun aber anschickte, auf der Marienburg die Feste an-
zulegen, um derentwillen er das Kloster ausgehoben hatte,
da mußte er zu seinem Zorn die uneingestandene Ahnung
bestätigt finden, daß allein die Klosterfrauen auf dem
Gipfel den Marsch der Kriegsscharen hergelenkt hatten,
und jetzo kein Heereszug mehr um die entzauberte Höhe
sich kümmerte. Selbst die Andacht zog sich von dem
Berge zurück, und anstatt dem kurfürstlichen Kriegsturm
die erhofften Ernten klingender Wallfahrtsopfer zuzu-
führen, nahm die Hochburg der Schönheit auf der himm-
lischen Höhe ein so klägliches Ende, daß der Eremiten-
bruder, der noch droben weilte, zuletzt einen Schinken
bei dem Heiligenbild aufhängte, um die Pilger zu einen:
gleichen, bescheidenen Opfer anzulocken. Doch führte
der Weg keinen Pilger mehr herauf ....
Drunten in dem Uferwalde aber, wo der silberne
Abtissinnenstab auf den: Wellengrunde lag, erwachte
unterdessen ein seltsames Leben. Die frommen Töchter
des Berges waren auf Nimmerwiedersehen davon-
gefahren, eingeschlosscn in das Kloster, wohin der hl. Bern-
hard einst die Nachtigallen nut ihren betörenden Lock-
rufen verbannt hatte. Es dauerte aber nicht lange,
da zeigte es sich eines Tages, daß fremde Nachtigallen
sich in den buschigen Verstecken um den Fuß der ver-
fallenden Marienburg angesiedelt hatten; und wenn ihr
schluchzender Gesang den dunklen Uferwald erfüllte und
der Mond seine goldene Brücke über das flüsternde Wasser

spannte, da lenkte die Erinnerung an den unvergessenen
Bergeszauber heimliche Nachen drüben in die schilf-
verwachsenen Buchten, nur von einer einzelnen Gestalt
geführt, deren suchende Schritte bald durch das Wald-
laub rauschten und den steinigen Abhang umklommen,
daß man das Rieseln des Gerölls bei der mitternächtigen
Stille an: jenseitigen Ufer vernahm. Ja der Türmer,
der von der schmälsten Stelle des Bergesgrates hinab-
blickt, wollte eines Nachts, als der Mond plötzlich durch
die Wolken brach, gesehen haben, wie ein Nachen, in dem
nur ein abgelegtes Gewand zurückgelassen war, auf der
einen Seite der Bergesinsel flußabwärts trieb, während
auf der anderen Seite ein ritterlicher Jüngling und eine
behende Mädchengestalt eilig in die Weite ruderten.
Und immer wieder ging die Kunde von Mund zu Mund,
wie bald hier, bald dort ein beglückter Sohn des Landes
mit einem feenfeinen Weibe heimgekehrt sei, über dessen
Herkunft der Schleier tiefen Geheimnisses schwebte ....
llnd die Nachen fuhren und fuhren ....
Als aber der Erzbischof nach einer Weile das Kloster
Stubben visitieren wollte, da fand er die Abtei, auf
deren berühmten: Reliquiar die Worte standen: „Keine
Schönheit hatte der, der am Kreuze gehangen", zu seinem
Schrecken leer und verwaist ....
Er suchte zwar aus der Not eine Tugend zu machen,
um sich vor der Christenheit noch den Ruf zu retten, daß
er der Welt ihre sündhaften Abgötter genommen habe,
und ließ sich auf einer lauten Bildertafel als einen
heiligen Eiferer malen, der die Götzin Venus an eiserner
Kette hinabschleppt von ihren: Berge ....
Aber die Nachen fahren und fahren ....
as Jungferngärtlein.
Von Otto Ernst Sutter.
In der Bubenzeit war ich alljährlich während der
Hochsommerwochen, in denen daheim keine Schule ge-
halten wurde, bei den Großeltern, die in einer Hellen
lichten Stadt der Rheinebene wohnten, zu Gast. In die
schöne Umgebung des Ortes unternahm man mit mir
kleine Ausflüge, Wanderungen und Wagenfahrten. Und
jedesmal erschloß sich mir auch für ein paar Nachmittage
der wunderliche, ein wenig zimperliche Garten des Fräu-
lein Regina Döderlein, einer Jugendfreundin von Groß-
vater und Großmutter. Das kleine Besitztum lag außer-
halb der Stadt und ward von allen, die es kannten, und
auch von der Eigentümerin selbst das „Jungferngärtlein"
genannt.
Wer es vom Lerchenweg aus betrat, auf dem man
von der Stadt her zu ihm gelangte, sah, wenn das hohe,
weißgestrichene Gartentor mit dem blinkenden Messing-
beschlag sich hinter ihm geschlossen, vor sich eine kleine
Brücke, die über einen weder übermäßig breiten, noch,
tiefen, in den warmen Monaten meist ganz ausgetrock-
neten Feldgraben führte: ein richtiges Brücklein, nicht
etwa einen Steg. Ein richtiges, niedliches, steinernes
Brücklein mit einen: Geländer aus schwarzlackierten Eisen-
stäben zu beiden Seiten.
„Büble," sagte der Großvater, so oft wir Fräulein
Döderleins Sommerreich am Lerchenweg aufsuchten und


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