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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Bacmeister, Ernst: Die Zone der Sympathie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0141

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ie Zone der Sympathie.
Von vr. Ernst Bacmeister.
Sympathie heiße uns der Ausland der vollkommenen
Beziehung zwischen Ich und Umwelt. Dieser Ausland
liegt zwischen anderen Anständen der Seele. Er ist also
nur eine Avne ihres labilen Wesens.
Sympathie ist freies Mitgefühl. — Mitleid, näm-
lich Mitschmerz, ist unfrei, ist Verlorengehen in fremdes
Leid, ist Sünde vor dem Geist, der nur durch den Gegen-
satz zwischen Ich und Umwelt überhaupt besteht. So
gibt es auch ein Hineingerissensein in fremde Freude,
ein verlorenes Mitlachen, das nichts für die innere Stufe
des Ich beweist. Einzig die Sympathie bezieht das Ich
durch ein so verhaltenes „Mit" auf die Umwelt, daß diese
dabei eine Gegenwelt bleibt.
Den sichersten Beweis der Sympathie, nämlich des
vom Geiste beherrschten freien Mitgefühls, erbringt jedes
Kunstwerk. Die schönste Möglichkeit aber zur Sympathie
findet sich vor einem aus Mitgefühl künstlerisch gestalteten
Leid; denn das Maß des Geistes, der die Gestaltung voll-
zog, wird von selber mit übernommen.
Von selber — unter der Voraussetzung, daß man
das Kunstwerk nicht nur besieht, sondern betrachtet; denn
dann werden dessen lebendige Kräfte wirksam und er-
wärmen und verdichten zugleich die Seele des Betrach-
ters. Das ist das Wunder der Form: dichte Wärme,
eingerahmte Glut, — „Rausch und Mathematik", sagt
Böcklin.
Betrachtet seine große „Piets", und erfahrt, was
es bedeutet, mit einem grenzenlosen Leid nicht grenzen-
los mitzuleiden, sondern in der Begrenzung durch den
Geist zu — sympathisieren.
Die Begrenzung durch den Geist liegt darin, daß
der Geist überhaupt nur tätig bleibt: vor dem Kunstwerk
nachgestaltend; vor Böcklins „Piets" vom bewußten
Beifall und Widerspruch gegenüber der Darstellung bis
zur Würdigung des Geleisteten und aufmerksamen Be-
urteilung, durch welche „mathematischen Mittel" der
Komposition, der Gebärde und Farbe der unter der
Nachgestaltung fort und fort gefühlte Ursprungsrausch
des Werkes, nämlich der miterlittene unendliche Schmerz
der Gottesmutter (miterlitten als ein Gleichnis eigener
Schmerzen des Künstlers) seinen endlichen Ausdruck
gefunden habe. Dieses zunehmende Bewußtwerden
und ausdrückliche Verstehen der Form hält die schmerz-
liche Wahrheit des Bildes in Abstand von der formlosen
Wirklichkeit und vermittelt es der Seele als das, was es
ist, nämlich als ergreifenden Schein.
Der ergreifende Schein des Kunstwerkes ist die
sicherste Überführung der Seele in die Aone der Sym-
pathie. Solange ich die „Piets." betrachte und mich
unter dem Einfluß des Werkes halte, bin ich mit der
ihren Sohn beweinenden Mutter in vollkommener Be-
ziehung. Meine Seele verwebt sich, erwärmt und ge-
lockert und interessiert, von dem zwingenden Moment
ihres höchsten Schmerzes aus in ihr ganzes tragisches
Dasein, ohne doch, mit dem Bilde Böcklins vor Augen,
die geistige Distanz zu verlieren, die meine Teilnahme
meinem Willen überläßt. Dabei merke ich, daß die Er-

wärmung und Lockerung der Seele nicht nur meiner
Beziehung zu der gemalten Gottesmutter zugute kommt,
sondern daß ich aller Welt, dem Dasein überhaupt in
diesem sympathisierenden Ausland aufgetan bin. Das
dunkle Bild hat mich zum Dank für meine Andacht
mit lichter Liebe gesegnet. Es ist selber ja auch nur
scheinbar schwer, dicht und dunkel; denn alles, was der
Geist beherrscht, ist leicht und licht. Auch das dunkelste
Leid lichtet der Geist.
Der ergreifende Schein ist, eben als Schein, meinem
Willen anheimgestellt. Ich kann mich ohne Skrupel
davon abwenden, kann sogar aus eigenem Entschluß die
Aone der Sympathie, die er mir vermittelte, sogleich
wieder verlassen. Es war ja auch mein Wille, daß ich die
Vermittlung annahm, nämlich daß ich mich dem Bilde
und seiner Wirkung aussetzte. Ich habe mich durch
Andacht, oder Konzentration, um seinen Segen bemüht.
In dieser Bemühung kam mir allerdings sofort die kon-
zentrierende Form des Werkes entgegen und half mir
gnadenvoll in seine schwingende Mitte, oder was das-
selbe sagt, in meine Aone der Sympathie hinein. Aber
frei nahm ich die Einladung an und bleibe als beschenkter
Gast immer ungebunden.
Woher kam ich denn? — Wahrscheinlich von da, wo
wir uns durchschnittlich innerlich befinden: das ist die
laue Weite, das Tändeln mit Vielerlei, das Offenstehen
für Jedes, die Nachbarschaft des Nichts, die Aone des
Überganges zu allem.
Es ist klar, daß ich auch diese Aone der lauen Weite
jederzeit willentlich verlassen kann: sei es, daß ich mich
auf irgendeine Art, durch oder an irgend etwas berausche,
wo dann die unfesten Grenzen dieser Übergangszone
vollends in breiter, blinder Glut verdunsten; — sei es,
daß ich mich auf einen begehrten Gegenstand strebend
oder auf ein wissenschaftliches Aiel denkend verenge; —
sei es endlich, daß ich — am leichtesten durch die Hilfe
eines Kunstwerkes — in die warme, schwingend be-
grenzte Aone der Sympathie hinübertrete, die das
fruchtbare Klima der Seele darstellt, weil alle ihre
Kräfte: Kopf, Herz und Sinn, harmonisch wie die kos-
mischen Kräfte, und gesteigert zusammenwirken.
Willentlich gelange ich aus einer Austandszone in die
andere hinüber. Das ist die erstaunliche Freiheit des
vollbewußten Menschen, daß er seine Seele — um zeit-
gemäß zu vergleichen — nicht als einen winduntertänigen
Ballon, sondern als ein lenkbares Luftschiff erst wahrhaft
„besitzt". Er kann das Klima ihres besten Gedeihens
jederzeit aufsuchen; die Fahrtrichtung steht ihm frei.
Ich kann auch die erreichte Aone der Sympathie
willentlich wieder verlassen, in beliebiger Richtung. Ich
kann von Böcklins „Pieta", meiner beispielsweisen
Sympathiequelle, entweder soweit zurücktreten (ohne
deshalb einen Schritt des Leibes zu tun, versteht sich!),
daß sie als ein Bild unter Bildern, goldgerahmt, mehr
oder weniger effektvoll, vor mir an der Wand hängt, und
kann in lauem Abstand allerlei darüber, laut und hitzig,
diskutieren; während jenes anschauende Bewußtwerden
der Form sich aus der Quelle des gefühlten Bildinhalts
still und warm fortspeist und am besten in einsamer
Unterhaltung mit dem Werke gelingt. Oder ich kann
übernah herantreten (statt hinein; es ist ja nicht der Schritt
 
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