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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Braun, Felix: In Goethes Dramen und Werken
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0184

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u Goethes Dramen in Versen.
Von Felir Braun.
Versprich und schwöre mir! Ich führe dich
an den Altar der Götter dieses Hauses.

Cie rahn gebeugt an dem verwaisten Herde
und hören uns. („Elpenor").
„Iphigenie auf Tauris", Torquato Tasso", die „Na-
türliche Tochter", „Elpenor", „Nausikaa": fünf selige
Inseln, „ferne leuchtend", immerzu erklingend, von
Tauris und Schema silbern wie von arkadischen Doppel-
flöten, golden wie aus Geigen von Belriguardo, dunkler
von dem namenlosen Reiche Eugeniens und vorn Griechen-
land Elpenors her. Gern mag der Leser sich ein fremder
Schiffer dünken, der ein wundervolles Land betritt.
Wenig von all dem, was sonst auf Erden gilt und wirkt,
erscheint ihm hier. Wenn auch nicht Götter aus dem
Meere steigen oder aus Gebüschen der Haine und Garten
hervortreten, so sind die Menschen, die hier handeln,
so ganz nach anderen als irdischen Maßen beschaffen
und gewillt, daß wir sienrwhl als hohe Fremdlinge be-
staunen müssen. Einsamer und machtvoller, größer und
tiefer, vor allem aber reiner sind sie als wir sind, als wir
sein können. Die Leidenschaftlichen sind es nicht minder
als die Edlen und selbst die Bösen, wofern es solche gibt,
sind reiner in ihrer Art als irgendwo sonst: denn was sie
begehen, tun sie im Dienste. Der Böseste, der Sohn des
Herzogs in der „Natürlichen Tochter", bleibt unsichtbar.
In dieser ganzen Traumwelt steht nur der einzige Welt-
geistliche dunkel vor dem Grunde; aber auch er ist dunkel
erst geworden, verleitet, von friedlicher Lebcnssphäre
abgelöst, und etwa noch der Sekretär desselben Trauer-
spieles, der jedoch als Dienender, als Mitträger eines
allgemeinen Gedankens, von Eigennutz frei und somit
schon gerechtfertigt ist.
Diese Reinheit der Gestalt, wie sie Iphigenie vor
allem verkörpert, erhöht durch die namenlose Reinheit
der Sprache, des goldenen Grundes und Glorienlichts
über ihr, ist gleichwohl nicht des Lebens entbehrend.
Nicht elysische Schatten, immer Lebendige, Höher-
Lebcndige, göttlichen Blutes und Atems teilhaft, be-
wegen sich hier. Der einzige Zwiespältige unter lauter
Eindeutigen, Tasso, wie ist er mit Goetheschem Lebens-
hauch erfüllt! Wie leuchtet Leonore Sanvitale in der
Sonne des ferrarcsischen Morgens, doch auch die Prin-
zessin in all ihrer Holdseligkeit ist leibhaft, ein wenig blaß
vom langen Kranksein, mit durchsichtigen schmalen Hän-
den, geneigter Nackenlinie, leiser, verschleierter Stimme
und einem Lächeln, das ihr einzig eigen ist. Mit starken
Schritten schreitet Thoas an und Orest glüht nicht allein
vom Feuer der Erinnyen. Das Kind Elpenor greift mit
beiden ausgestreckten Armen in das neue königliche Leben,
gewaltig wächst Antiope im Nacheschwur, und wie stürmt
das Herz des Herzogs im Schmerz um die totgeglaubte
Tochter! Aber keine all dieser Gestalten gleicht Eugenie
an Fülle des Lebens. Niemals hat Goethe ein leben-
digeres Geschöpf vollbracht. Aus göttlicher Sinnenkraft
ging sic hervor. Er muß sie wie Pygmalion geliebt haben,
wann immer sie ihm erschien, sei es als Reiterin, „als

wie ans Pferd gewachsen, voll Gefühl der doppelten
zentaurischen Gewalt", sei es „in Wasser tauchend,
schwimmend", den „Elementen göttlich gebietend", sei
es freundlicher, in ihrer Entzückung vor den fürstlichen
Kleidern, sei es, wenn sie verschleiert am Hafen sitzt, aufs
Meer hinaus schauend. Immer: „Lebendig siehst du sie
vor deinen Augen und fühlst lebendig sie an deiner Brust".
Der Herzog ersättigt sich nicht an ihrer Vollgestalt:
O bleib und steh an deinem Platz
lebendig aufrecht noch einmal, wie du
ins Leben wieder aufsprangst, wo mit Wonne
du mein zerrissen Herz erfüllend heiltest.
Wenn sich Eugenie ihm an die Brust wirft, wenn sie
der König sanft an sich drückt, der einsame Leser fühlt's
mit, er glüht und erschaudert.
Gleichwohl gehorchen diese Gestalten, ausgenommen
Eugenie, den Gesetzen des Dramas nur bedingt. Ihre
Illusion ist keine plastische, sondern eher eine bildhafte
und auch da mehr in Umrissen erscheinend, als in die
Fülle gemalt. Das Bildhafte ist es denn wieder, was
nicht nur die Menschen dieser Welt, sondern auch sie selbst
bezeichnet. Immer verliert sich Goethe ans Schauen.
Das Drama jedoch, das der Zeit vor allem untersteht,
leidet dies Nuhn und Dahinentbreiten nicht. Er aber
weilt und blickt und greift zum Stifte, diesen Linienzug
und jene edle Geste festzuhalten. Alles wird so zürn Bilde.
Tasso wird beschrieben, wie er den Gartengang daher-
kommt, Eugenie, wie sie den Abhang herniederreitet,
Elpenor sieht Antiope vom Nacheschwur sich reinigen:
In sich gekehrt, bleibt sie vorm Hellen Strahl
des Wassers stehn und scheint zu sinnen.
Sorgfältig wascht sie nun die Hande, dann die Arme,
besprengt die Stirn, den Busen;
sie schaut gen Himmel,
empfangt mit hohler Hand das frische Naß
und gießt es feierlich zur Erde dreimal.
Welch eine Weihung mag sie da begehn?
Ebenso Iphigenie, sich selbst im Anfangsmonolog be-
schreibend, und Ulysses in der „Nausikaa", aus dem
Strauchwerk hervorgetreten: beide sind Bild, Gestalt
von einer Landschaft, die sie selbst mit schauen und
schildern, hier der Götterhain am Strande, dort die
Inselküstc voller Rohr und Busch.
Dieses Bildmäßige der Erscheinung erstreckt sich
aufs Gesamte all dieser dramatischen Kompositionen,
ja, es scheint überhaupt ein Grundzug des Goetheschen
dramatischen Wesens, wie es sich denn mit besonderer
Deutlichkeit gerade in den Hauptschöpfungen, dem
„Faust" und dem „Götz", anzeigt. Aus dieser Art, die
ohne Zweifel einen Mangel vorstellt, trotz all der hohen
Schönheit, erläutert sich die geringe dramatische Kraft
und geringe theatralische Wirkung fast aller, jedenfalls
aber dieser Stücke Goethes.
Sie entspannen sich, bis auf den unvollendeten
„Elpenor", über dessen Fortführung wir im dunkeln
sind, aus dem ersten Akt, nicht aus einem lange vor dem
Beginne waltenden Schicksal. Der erste Akt ist stets
Bild, Vision, Jdnlle; er ruht. Allmählich wird Bewegung
aus ihm, Entfaltung, dann schließt sich der Traum still
wieder. Wohl bestehen Vorbedingungen und Vor-
ereignisse, aber sie leben seltsam außerhalb des Bildes,
das sie erst in sich einbezieht, cinverleibt und reifen

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