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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Das Jüngste Gericht

gewahren, werden wir auf die Ansicht, hier handle es sich um
die Patriarchen (nobilis patriarcharum coetus), geführt. Es bleiben
die Propheten, Confessores (und Mönche) und Jungfrauen zu suchen.
Wenden wir zunächst den Blick auf die Schaar von Gestalten ganz
rechts, so sehen wir bei näherer Betrachtung, dass ein Unter-
schied zwischen den hinteren Figuren und der vorderen Gruppe zu
machen ist. Nicht allein der Greis, der am meisten von den hinteren
vortritt, ist als Blinder geschildert, sondern die Blindheit fällt bei
noch mehreren anderen, ebenso wie öfters ein gewisses wildes
Wesen, auf. Mir scheint die Annahme, dass hier die noch im
Dunkel wandelnden Propheten gemeint seien, unzweifelhaft zu werden,
wenn wir ganz rechts, durch den mächtigen Bart deutlich gekenn-
zeichnet, Moses finden. Ungezwungen aber ergiebt sich dann für
die vorderen, freier sich Bewegenden und Schauenden der Name:
Confessores.
Und nun erklärt sich auch die Frauenschaar ganz links. Die
obere Gruppe von Gestalten, durch phantastische Trachten und
Typen ausgestattet, erschien mir nie zweifelhaft: es können nur
die Sibyllen dargestellt sein, die also den Propheten auf der anderen
Seite entsprechen. Vor ihnen aber haben wir dann die Versamm-
lung der christlichen „Virgines" zu erkennen.
Eine höchst geistreiche neue Gestaltung des alten Gedankens
also ist es, die uns so vor Augen tritt, hervorgegangen aus der
Durchdringung von künstlerischen Nothwendigkeiten, die in sym-
metrischen Bezügen gegeben waren, mit sinnvollen Deutungen.
Christus unmittelbar umgeben von den Patriarchen links und den
Aposteln rechts. Links die Schaar der Virgines, in vorchristliche
(Sibyllen) und nachchristliche (Heilige), rechts die Confessores, in
Propheten und christliche geschieden. Dazu die Märtyrer! Man
begreift nun, wie Michelangelo, die Idee der Chöre dem himmlischen
Heer zu Grunde legend und genöthigt, auch die Märtyrer in eine
Gruppe zusammenzufassen, Diesen einen direkten Antheil an der
Handlung zuzuweisen sich gedrungen sah.
Gehen wir mit so gewonnener allgemeiner Anschauung zum
Einzelnen über, so dürfte manche Bestimmung für die Persönlich-
keiten gewonnen, zugleich aber durch diese wiederum unsere Auf-
fassung der Chöre vollauf gerechtfertigt werden.
2
Die einzelnen Gestalten
Die obere Z^^^.
Ich erinnere an das oben Gesagte, dass, nach der Bonnat'schen
Zeichnung in Bayonne zu schliessen, Michelangelo zuerst sich an
 
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