Deutung einzelner Figuren
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führt als Beispiele an: die Hochmüthigen an den Haaren, die
Lussuriosi an den Schamtheilen.
Nun ist zunächst zu betonen, dass diese Behauptung allgemein
nicht zutrifft: nur das eine letztgenannte Motiv (durch Daniele da
Volterra verändert) findet sich. Die Teufel greifen zu, wo sie eben
können. Wie aber verhält es sich mit Vasaris Aussage? Wir
sehen in der That sieben Hauptfiguren der Verdammten. Deren
eine ist durch den Schlüssel und den Beutel als Geizhals charak-
terisirt; eine andere mit widerlich thierischem Gesicht, den Finger
in den Mund steckend, als Schlemmer und durch das eben er-
wähnte Motiv des Zugreifen des Teufels zugleich als Wollüstiger.
Den Zorn könnte man in dem über diesem befindlichen, sich
Wehrenden erkennen. Vergeblich aber wäre es, in den anderen
vier Verdammten die Personifikation von Hochmuth, Neid, Träg-
heit und Wollust bestimmt nachweisen zu wollen. Liesse sich
allenfalls der auf Wolken Aufwärtssteigende als Repräsentant des
Hochmuthes ansehen, so wäre es immer die Frage, ob mit dem
Schlangenumwundenen der Neid gemeint sei. Entschiede man sich,
vielleicht in Rücksicht auf den Blick, der aber doch wohl nur Ent-
setzen, nicht Scheelsucht ausdrückt, hierfür, so bliebe kaum etwas
Anderes übrig, als den rechts mit dem Engel Ringenden „Trägheit"
zu nennen. Für die siebente Figur, die abwärts fliegende ver-
zweifelte Frauengestalt, gäbe es keine Erklärung. Wir bleiben also
willkürlich in der Interpretation.
Immerhin, da wenigstens zwei, respektive drei Laster deutlich
gekennzeichnet sind, dürfen wir an Vasaris Behauptung, Michel-
angelo habe bei der Gestaltung dieser Gruppe die Vorstellung der
Todsünden, wie sie ja auch bei Belcari uns scharf ausgeprägt be-
gegnet, vorgeschwebt, festhalten.
Was die Engel betrifft, so scheint die Zahl vier darauf hin-
zuweisen, dass äusser dem Kampfe Michaels und seiner Schaar mit
dem Teufel auch die apokalyptische Vision der vier Engel vom
Euphrat des Künstlers Phantasie beeinflusste. Michael in dem
siegreichen Bekämpfer des Geizigen zu erkennen, dürfte naheliegen.
C. Die untere Zone.
Über Charon und Minos ist dem früher Gesagten nichts Wesent-
liches hinzuzufügen. Zu bemerken wäre nur, dass Rouvier-Chapon
— wie mir scheint, ungerechtfertigter Weise — diese Deutung der
beiden Gestalten im Sinne Dantes ablehnen und behaupten, die
Barke werde nicht von Charon, sondern vom Satan geführt. Es
handle sich um den Gegensatz zu dem Gedanken der von Petrus
geleiteten Barke der Kirche. Zu bemerken ist allerdings, wie oben
schon erwähnt, dass Michelangelo Charon zu einem Teufel gemacht
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führt als Beispiele an: die Hochmüthigen an den Haaren, die
Lussuriosi an den Schamtheilen.
Nun ist zunächst zu betonen, dass diese Behauptung allgemein
nicht zutrifft: nur das eine letztgenannte Motiv (durch Daniele da
Volterra verändert) findet sich. Die Teufel greifen zu, wo sie eben
können. Wie aber verhält es sich mit Vasaris Aussage? Wir
sehen in der That sieben Hauptfiguren der Verdammten. Deren
eine ist durch den Schlüssel und den Beutel als Geizhals charak-
terisirt; eine andere mit widerlich thierischem Gesicht, den Finger
in den Mund steckend, als Schlemmer und durch das eben er-
wähnte Motiv des Zugreifen des Teufels zugleich als Wollüstiger.
Den Zorn könnte man in dem über diesem befindlichen, sich
Wehrenden erkennen. Vergeblich aber wäre es, in den anderen
vier Verdammten die Personifikation von Hochmuth, Neid, Träg-
heit und Wollust bestimmt nachweisen zu wollen. Liesse sich
allenfalls der auf Wolken Aufwärtssteigende als Repräsentant des
Hochmuthes ansehen, so wäre es immer die Frage, ob mit dem
Schlangenumwundenen der Neid gemeint sei. Entschiede man sich,
vielleicht in Rücksicht auf den Blick, der aber doch wohl nur Ent-
setzen, nicht Scheelsucht ausdrückt, hierfür, so bliebe kaum etwas
Anderes übrig, als den rechts mit dem Engel Ringenden „Trägheit"
zu nennen. Für die siebente Figur, die abwärts fliegende ver-
zweifelte Frauengestalt, gäbe es keine Erklärung. Wir bleiben also
willkürlich in der Interpretation.
Immerhin, da wenigstens zwei, respektive drei Laster deutlich
gekennzeichnet sind, dürfen wir an Vasaris Behauptung, Michel-
angelo habe bei der Gestaltung dieser Gruppe die Vorstellung der
Todsünden, wie sie ja auch bei Belcari uns scharf ausgeprägt be-
gegnet, vorgeschwebt, festhalten.
Was die Engel betrifft, so scheint die Zahl vier darauf hin-
zuweisen, dass äusser dem Kampfe Michaels und seiner Schaar mit
dem Teufel auch die apokalyptische Vision der vier Engel vom
Euphrat des Künstlers Phantasie beeinflusste. Michael in dem
siegreichen Bekämpfer des Geizigen zu erkennen, dürfte naheliegen.
C. Die untere Zone.
Über Charon und Minos ist dem früher Gesagten nichts Wesent-
liches hinzuzufügen. Zu bemerken wäre nur, dass Rouvier-Chapon
— wie mir scheint, ungerechtfertigter Weise — diese Deutung der
beiden Gestalten im Sinne Dantes ablehnen und behaupten, die
Barke werde nicht von Charon, sondern vom Satan geführt. Es
handle sich um den Gegensatz zu dem Gedanken der von Petrus
geleiteten Barke der Kirche. Zu bemerken ist allerdings, wie oben
schon erwähnt, dass Michelangelo Charon zu einem Teufel gemacht