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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Die Urtheile über das Jüngste Gericht

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Jugement dernier. Paris 1820. Annales Frangaises des Arts, Bd. VI).
In Italien macht Antonio Mezzanottes Cantica sul finale Giudizio
dipinto da M. (Perugia 1804) von sich reden und ruft Besprechungen
hervor: Pietro Bagnolis Articolo critico sulla cantica di M. (Nuovo
Giornale dei Letterati. Pisa 1825. X, 3—13), Vincenzo Salvagnolis
Articolo bibliografico sopra la cantica del prof. M. (in Giornale
Arcadico di scienze, lettere ed arti. Roma 1825. XXV, 331 —338).
Aber zu unbedingter Anerkennung kamen doch auch jetzt nur
Wenige, unter denen Eugene Delacroix, der es ,,1'ouvrage le plus
colossal que les arts aient produit chez les modernes" nennt, an
erster Stelle anzuführen ist (1837. Rev. d. d. m. IV. ser, tom. XI,
S. 337ff), und unter den neuesten Berthold Haendcke (Kunst-
chronik 1903 N. F. XIV. S. 57^)- Was zu wohl allgemeiner Würdi-
gung gelangt, ist die hohe Kunst der Anordnung, auf welche Be-
trachter, wie Montegut, Manz, Springer und Carl Justi mit be-
sonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit lenkten. Burckhardt und
Springer werden vorzugsweise durch die unvergleichliche Kraft der
in den einzelnen Gruppen ausgedrückten poetischen Gedanken ge-
fesselt. Auch die vollendete Technik, welche Heath Wilson zu
näheren Untersuchungen veranlasst, wird erkannt. Aber die alten Be-
denken werden, wenn auch in gemässigterer Form, wieder laut. So
weit wie Ruskin, der jene früheren Behauptungen, es sei Michelangelo
nur um Schaustellung seiner Fertigkeit und anatomischen Kennt-
nisse zu thun gewesen, erneut, geht freilich nur ein Anderer: Heath
Wilson, der das Gemälde eine für die Marterkammer der Inqui-
sition passende Dekoration nennt, darin Verstösse gegen allen Ge-
schmaclc und alles religiöse Gefühl, ja „Irreverence" findet. Aber
immer wieder kehrt der Vorwurf der grausamen Einseitigkeit der
Schreckensschilderung, des Unterdrückens aller seelischen Züge von
Liebe, Dankbarkeit, Sympathie, der Tilgung aller Stimmung von
Heiligkeit und Seligkeit in den himmlischen Heerschaaren, der Ver-
nachlässigung des richtigen Ausdrucks zu Gunsten der Anbringung
von Verkürzungen — letzteres wird besonders in Platners Be-
schreibung von Rom (II, S. 275 ff.) bezüglich der Engel mit den
Marterwerkzeugen geltend gemacht. Sehr scharf hat Burckhardt
im Cicerone das Urtheil formulirt:
„Der grosse Hauptfehler dieser gewaltigen Schöpfung, die schon
durch die schlechte Erhaltung ungünstig wirkt, kam tief aus Michel-
angelos Wesen hervor. Da er längst gebrochen hatte mit Allem, was
kirchlicher Typus, was religiöser Gemüthsanklang heisst, da er den
Menschen — gleichviel welchen — immer und durchgängig mit er-
höhter physischer Macht bildete, zu deren Äusserung die Nacktheit
wesentlich gehört, so existirt gar kein kenntlicher Unterschied
zwischen Heiligen, Seligen und Verdammten. Die Bildungen der
 
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