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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Die Prudentia oder Veritas

347

Dass für die Entstehung dieser Idealbildnisse antike Münzen
und Gemmen mitbestimmend gewesen sind, wie solche ja in grosser
Zahl in Renaissanceplaketten nachgebildet wurden, ist äusser Zweifel.
Schon Donatello hatte sich in diesem Sinne von der Antike beein-
flussen lassen, und es ist nicht undenkbar, dass eine Plakette von
seiner Hand, wie die in Berlin befindliche, welche die Brustbilder
von Mars und Diana einander gegenüberstellt, Michelangelo bekannt
gewesen ist (Abb. in Beschreibung der Bildw., Bd. II; Die ital. Bronzen,
Taf. XLI1I, 633). Man vergleiche auch eine andere Plakette mit
dem Bildniss des Mars (ebenda Nr. 493), an dessen Brust sich ein
Medaillon mit Herkules und Antäus befindet — letzteres gleichsam
ein Seitenstück zu der Ringergruppe am Ärmel des Grafen von
Canossa. Dürfen wir nicht daraufhin den Krieger Michelangelos
mit dem Namen „Mars" taufen? Mir scheint dem Nichts im Wege
zu stehen. Die Frau Diana zu benennen, dürfte hingegen doch wohl
zu gewagt sein.
VI
Die Prudentia oder Veritas
In mehreren Exemplaren erhalten ist eine Zeichnung des
Meisters, welche die Prudentia vorstellte und ihrem Stile nach, an
die Sibyllen und Lunettenkompositionen erinnernd, wohl in der Zeit
der Beschäftigung mit den Sixtinischen Deckengemälden entstanden
sein muss. Die bestimmteste Vorstellung des Vorwurfes giebt uns
eine Federzeichnung in den Uffizien (142, 614; Thode 210; Ber. 1637;
Phot. Br. 186; Brogi 1793; Abb. Ricci, S. 127; Müntz, Histoire de
l'art pendant la Renaissance III, p. 488), die von Morelli fälschlich
dem Bandinelli, von Berenson wohl mit Recht dem Battista Franco
zugeschrieben wird (I, p. 264).
Eine mächtige Frau sitzt, den rechten Arm im Schooss, in ruhiger
Haltung nach rechts gewandt und blickt in einen Spiegel, den die
Hand ihres linken, auf das linke Bein aufgestützten Armes hält. Sie
trägt ein am Halse ausgeschnittenes Gewand mit am Ellenbogen
(über Unterärmeln) aufgekrämpelten Ärmeln; ihr Unterkörper ist
mit einem grossen Mantel umkleidet. Ihr Kopfputz mit einem Wulst
über der Stirne und kunstreich geflochtenem, das Haar umfassen-
dem Tuche, das über die Ohren herabfällt, erinnert an Sixtinische
Trachten. Drei Knaben treiben ihr Spiel um sie herum: der eine
links hat sich knieend hinter ihr versteckt, ein zweiter, an ihr linkes
Bein gelehnt, fasst nach einer grossen bärtigen, umgekehrten Maske,
mit der ihn ein von rechts heranschreitender dritter, den Kopf
hinter ihr verbergend, zu erschrecken sucht. Dieser dritte Knabe
scheint sich, um die Fremdartigkeit seiner Erscheinung zu erhöhen,
 
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