i8
BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 2.
es durch die hochherzige Schenkung
des vaterlandsliebenden Duc d’Aumale
mitsamt dem ganzen Schloß Chantilly
Eigentum der französischen Nation
wurde. Im verflossenen Herbst habe
ich dieses herrliche Bildchen genau
studiert, vom dicken weißen Grunde,
den man stellenweise unterscheiden
kann, da sein Rand sichtbar ist, bis
herauf zum Firnisüberzuge. Das Vor-
handensein einer Vorzeichnung in be-
stimmten Linien ist, nach einigen Par-
tien zu schließen, unzweifelhaft. Das
Fertigmalen scheint mir mit zäher
Firnisfarbe geschehen zu sein, und das
in mehreren Schichten. So ist es ziem-
lieh sicher, daß das Braun des Vorder-
grundes und Mittelgrundes auf eine
von einem größeren Bilde mit den drei Grazien,
das sich in England befand; dieselbe Zeit-
schrift vom 15. Februar 1874 bespricht das
kleine Raffaelsche Bild. Beide Aufsätze, in
Wien nur schwierig erhältlich, wurden mir auf
meine Bitte hin durch Herrn Direktor H. Hy-
mans in Brüssel vermittelt, und ich danke
hiermit wärmstens für diese freundliche Hilfe.
Vgl. auch W. v. Seidlitz „Raffaels Jugendwerke“
(1S91), S. 27, Koopmann „Raffaels erste Arbei-
ten“ (1891), S. 20 ff. und 28, Oskar Fischei
„Raffaels Zeichnungen“ (1898). — Von der
Literatur über die drei Grazien im „venezia-
nischen Skizzenbuch“ wird weiter unten die
Rede sein. — Das Bildchen war der Reihe nach
in der Galerie Borghese, bei Mr. Woodburn,
Sir Thomas Lawrence, Lord Ward und in
der Dudley Collection. 1885 gelangte es um
24.000 englische Pfunde (andere Quellen nennen
25.000) an den Duc d’Äumale. Man hat be-
rechnet, daß damals ein Quadratzoll des
kleinen Bildes weit über 6000 Gulden wert
war. Neben den übrigen Schätzen des alten
Borgheseschen Bilderbesitzes war das kleine
Bild ehedem nicht so angesehen und geschätzt,
wie heute. Fr. Deseine in „Rome moderne“
erwähnt es nicht einmal gesondert. M. Vasi
im „Itineraire instructif de Rome“ (1792, S.
363) nennt einfach „les trois Graces dans un
petit tableau par Raphael“ und Fr. W. B. v.
Ramdohr legt in dem Buche „Über Malerei
und Bildhauerarbeit in Rom“ (1798, I, S. 301)
viel zu viel Gewicht auf die Zeichenfehler des
Bildchens. Er schreibt: „Die drei Grazien aus
der Schule Raffaels. Zu unrichtig gezeichnet,
um von ihm selbst zu sein.“
hellere Untermalung gelegt ist. Auch
das durchscheinende Blau der Ferne
läßt erkennen, daß darunter andere
Töne sitzen. Beim Suchen nach der
bläulich durchschimmernden Vorzeich-
nung entdeckte ich nun das Penti-
ment, das andeutungsweise oben er-
wähnt wurde. Es ist bisher von der
Literatur übersehen worden, und die
erste Erwähnung geschah in einem
Vortrag über Gemäldekunde, den ich
im Herbst gehalten habe. Damals er-
wähnte ich es auch in einer Note meines
Nach Rafaels Bildchen in Chantilly.
„Handbuches der Gemäldekunde", dessen
zweite Auflage noch im Druck war.
Der allgemeine Eindruck des Bildes
ist dagegen jedermann bekannt, der
den Spuren Raffaels nachgegangen ist,
und ich setze deshalb nur eine kleine
Abbildung her, um die Haltung der
Arme, die näher zu betrachten sein
wird, wieder im Gedächtnis aufzu-
frischen. Das Pentiment ist in den
bisher gemachten Nachbildungen des
Gemäldes nicht genügend deutlich zu
sehen, um auf diesem Wege ohne
„Verstärkungsverfahren“ nachgewiesen
zu werden. Vorläufig ist eine Be-
schreibung des Sachverhaltes unerläß-
lich. Die Chariten stehen in dem
BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 2.
es durch die hochherzige Schenkung
des vaterlandsliebenden Duc d’Aumale
mitsamt dem ganzen Schloß Chantilly
Eigentum der französischen Nation
wurde. Im verflossenen Herbst habe
ich dieses herrliche Bildchen genau
studiert, vom dicken weißen Grunde,
den man stellenweise unterscheiden
kann, da sein Rand sichtbar ist, bis
herauf zum Firnisüberzuge. Das Vor-
handensein einer Vorzeichnung in be-
stimmten Linien ist, nach einigen Par-
tien zu schließen, unzweifelhaft. Das
Fertigmalen scheint mir mit zäher
Firnisfarbe geschehen zu sein, und das
in mehreren Schichten. So ist es ziem-
lieh sicher, daß das Braun des Vorder-
grundes und Mittelgrundes auf eine
von einem größeren Bilde mit den drei Grazien,
das sich in England befand; dieselbe Zeit-
schrift vom 15. Februar 1874 bespricht das
kleine Raffaelsche Bild. Beide Aufsätze, in
Wien nur schwierig erhältlich, wurden mir auf
meine Bitte hin durch Herrn Direktor H. Hy-
mans in Brüssel vermittelt, und ich danke
hiermit wärmstens für diese freundliche Hilfe.
Vgl. auch W. v. Seidlitz „Raffaels Jugendwerke“
(1S91), S. 27, Koopmann „Raffaels erste Arbei-
ten“ (1891), S. 20 ff. und 28, Oskar Fischei
„Raffaels Zeichnungen“ (1898). — Von der
Literatur über die drei Grazien im „venezia-
nischen Skizzenbuch“ wird weiter unten die
Rede sein. — Das Bildchen war der Reihe nach
in der Galerie Borghese, bei Mr. Woodburn,
Sir Thomas Lawrence, Lord Ward und in
der Dudley Collection. 1885 gelangte es um
24.000 englische Pfunde (andere Quellen nennen
25.000) an den Duc d’Äumale. Man hat be-
rechnet, daß damals ein Quadratzoll des
kleinen Bildes weit über 6000 Gulden wert
war. Neben den übrigen Schätzen des alten
Borgheseschen Bilderbesitzes war das kleine
Bild ehedem nicht so angesehen und geschätzt,
wie heute. Fr. Deseine in „Rome moderne“
erwähnt es nicht einmal gesondert. M. Vasi
im „Itineraire instructif de Rome“ (1792, S.
363) nennt einfach „les trois Graces dans un
petit tableau par Raphael“ und Fr. W. B. v.
Ramdohr legt in dem Buche „Über Malerei
und Bildhauerarbeit in Rom“ (1798, I, S. 301)
viel zu viel Gewicht auf die Zeichenfehler des
Bildchens. Er schreibt: „Die drei Grazien aus
der Schule Raffaels. Zu unrichtig gezeichnet,
um von ihm selbst zu sein.“
hellere Untermalung gelegt ist. Auch
das durchscheinende Blau der Ferne
läßt erkennen, daß darunter andere
Töne sitzen. Beim Suchen nach der
bläulich durchschimmernden Vorzeich-
nung entdeckte ich nun das Penti-
ment, das andeutungsweise oben er-
wähnt wurde. Es ist bisher von der
Literatur übersehen worden, und die
erste Erwähnung geschah in einem
Vortrag über Gemäldekunde, den ich
im Herbst gehalten habe. Damals er-
wähnte ich es auch in einer Note meines
Nach Rafaels Bildchen in Chantilly.
„Handbuches der Gemäldekunde", dessen
zweite Auflage noch im Druck war.
Der allgemeine Eindruck des Bildes
ist dagegen jedermann bekannt, der
den Spuren Raffaels nachgegangen ist,
und ich setze deshalb nur eine kleine
Abbildung her, um die Haltung der
Arme, die näher zu betrachten sein
wird, wieder im Gedächtnis aufzu-
frischen. Das Pentiment ist in den
bisher gemachten Nachbildungen des
Gemäldes nicht genügend deutlich zu
sehen, um auf diesem Wege ohne
„Verstärkungsverfahren“ nachgewiesen
zu werden. Vorläufig ist eine Be-
schreibung des Sachverhaltes unerläß-
lich. Die Chariten stehen in dem