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Heidelberger Zeitung — 1865 (Juli bis Dezember)

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Nr. 205-230 September
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Flugblatt au bie Unoühler des Kreises Heibelberg

zur Mahnung an die Wichtigkeit der Wahlen des 4. Sept. 1865.

Rede des Geh. Rath Bluntschli

(zehalten in d-r Harni°ni--N-rsammlllng vomILO.sAllgusl.)

Verehrteste Herren. Dlitbürger! Es haben sich einige Mtglie-
der des Bezirksrathes, des GemeinderatheS und engeren Aus-
schuffes vereinigt, umd iese Versammlung von Urwählern zu ver-
austalten. Sie Alle wiffen, daß in nächster Zeit die Wahlver-
handlung stattfindet, um die Abgeordneten der neu zu bildenden
Kreisversammlung zu wählen, uns schien es nun ziveckmäßig, vor-
erst in einer größere» Versammlung uns auszusprechen, theils
über die Bedeutung des Jnstituts und die Wichtigkeit der bevor-
steheuden Wahlen, theils auch um dio Maßregel, die Wahlver-
handlung selbst zu erleichtern.

Das Jnstitut der Äreisverbände und KreiSversammlungeu
ist etwas ganz Neues in unserm Lande, ich dars hinzusügen in
der Weise wie es hier versucht werden soll, besteht es wohl noch
nirgends in einem audern Lande; ähnliche Einrichtungen aller-
dings kommen auch anderwärts vor, zum Theil in Deutschland,
zum Theil in Frankreich, aber es unterscheidet üch die hiesige
Kreisversammlung vor allen andern sehr wesentlich dadurch, daß
hier iu höherem Maaßs als anderwärts die freie Thätigkeit der
Bürger einen ungehemmten Spielraum erhält, und die Beaufsich-
tigung und Bevormundung der Staatsgewalt völlig zurücktritt,
während anderwärts wo ähnliche Einrichtungen bestehen, die
Staatsgewalt eine größere, einflußreichere Einwirkung sich vor-
behält.

„Die Kreisversammlung hat den Zweck die gemeinsamen Jnte-
„reffen des Kreises in einer einheitlichen Körperschaft zu ver-
„treten und zu besorgen."

Sie ist nicht eine Gliederung der Staatsgewalt. Wohl gibt
es in den verschiedensn Kreisen auch oberste KreisgerichtShöfe,
jeder der 11 Kceise des Großherzogthums befltzt sein eigenes
Areisgcricht, damit aber hat es die Kreisversammlmig gar nicht zu
thun. Eine Kreisregierung dagegen existiert nicht mehr, die Be-
zirksämter sind unmittelbar mit der Staatsregierung verbunden,
und das Zwischenglied der Kreisregierung ist ganz beseitigt. Auch
in dieser Hinsicht hat die Kreisversammlung keine Stelle. Jhre
alleinige uud wesentliche Aufgabe ist,

„da wo gemeinsame wirlhschaftliche und Cultur-
„intsressen innerhalb des Kreises sich geltend machen, sür
„diese Jnteressen ein freies bürgerliches Organ
„herzustellen, welchesselbstständig nnd selbstthätig
„dieSorgefürdieseJnteressenindieHand n immt."

Das Gesetz hat indeni es diese Kreisverbände anordnet, der
Krcisversamiiilung uicht einmal bestimmte Geschäfte überwiesen,
sondern nur eine allgemeine Möglichkeit der Geschäste ihr eröffnet;
es überläßt sogar in dieser Beziehung deu Bürgern die Form,
welche das Gesetz schafft, nach ihrem freien Willen und Ermeffen
zu erfüllen. Das Gesetz hat einen Körxer geschaffen, aber die
belebende Seele dieses Körpers sind die Bürger selbst, die durch
ihre Vertreter die Kreisversammlung bestellen. Es ist ein großes
Vertrauen der Gesetzgedung in die Fähigkeit und den Gemeinsinn
der Bürger, «elches dieser ganzen Einrichtung zu Grunde liegt,
und von uns hängt eS ab, dieses Vertrauen zu rechtsertigen;
Freiheit ist Selbstthätigkeit, nur darin bewährt sie sich, nur darin
äußert sie sich, nur die Völker sind wirküch srei, die selbstthätig
uiit eigener Arbeit für ihre eigenen Angelegenheiten zu sorgen ver-
stehen, uud dieser Gedanks liegt auch der neuen Einrichtung zu
Gruude.

Werfen wir einen Blick auf die Erfahrung, die wir hiusicht-
lich mancher neuer Jnstitutionen verwandter Art gemacht haben,
so dürfeu wir wohl hoffen, daß auch das neue Werk gelingen
werde. Bei der Rechtspflege werden die Bürger zugezogen als
Geschworene in den wichtigeren Fällen, als Schäffeu» in weniger
bedeutenden. Die Thätigkeit der Geschworenen und der Schösfsn
sindet allgemeinen Anklang: das Rechtist seithernicht schlechter, sondern
beffer geworden, und der Sinn für das Recht hat sich in Folge davon
über alles Volk verbreitet; das Recht ift nicht mehr etwas Ge-
heimnißvolles, das blos der juristischen Zunft angehört, auch. die
Bürger haben an der Rechtsfindung und Rechtssprechung ihren
Antheil erhalten. Es hat sich ferner gezeigt, daß die Besürch-
tungen ungerecht waren, welche man vielsach der Einrichtung der
BezirkSräthe entgegengesetzt hat; auch die haben sich vorläufig
schon ganz ordentlich bewährt, und ich zivsifie gar nicht daran,
daß auch in dieser Hinstcht das Vertrauen zunehmen wirdj js
mehr man lernt die Geschäfte zu verstehen und eifrig zu besorgen.

Auch in Bezng aus das Schulwesen hat sich die Theilnahme
der Bürger gedeihlich bewährt, und dieses war die schwerste der
neuen Einrichtungen, denn bei keiner anderen stand eine so heftige

Opposition im Wege, und gerade die. Männer, von denen «a«
erwarten sollte, daß ste vorzugsweise mitwirken würden, haben
fich zurückgezogen, und was war der Erfolg? heute schon habeit
die Bürger gelernt im Schulwesen selber thätig zu sein, selber
zuzusehcu, und selber mitzuarbeiten, daß ihre Kinder gchörig ge-
schult und erzogen werden. Wir lernen allmählig uus selber
zu helsen, und daS ist die großs Anfgabe des ganzen Gemein»
wesens nnd Gemeinlebens.

Diese Ersahrungen können uns wohl ermnthigen in dem Ge-
danken, daß anch die neiie Einrichtung der Kreisverbände fich
schließlich bewähren wsrde, nud daß die Bürger diesem Werk itzre
Theilnahme frei, mit Fleiß, mit Aufopferung und Gefinnungs-
tüchtigkeit zuwendeu werden.

Der Änfang allerdings ist schwer und eben darum ist es
von höchster Wichtigkeit, daß gleich von Anfang an gute Wahlen
getroffen werden; je mehr von den Bürgern selbst abhängt, je
weniger sie geleitet werden von Oben, um so nothwendiger ifl
es, daß sis ihre eigenen Kräfte anstrengen.

Die Krcisverbände sollen die Jntcressen des ganzcn KretscS
cinigcn. Wir dürfen uns hier nicht verhehlen, daß die ganze
Schöpfung Iioch gar nicht eristirt, nicht einmal in der Gestnnuug, nicht
in den Gefühten, und nicht tn dem VerstLiidiiiß dcs VolkcS. Eine
Etnigung des Kretses Heidelbcrg, wie er gegenwärtig zusammcn-
gesetzt ist, besteht noch nicht, sic muß erst geschaffeu wcrden, und
daS gcht nicht rasch. Es wird lange dauern, bis der Kreis sich
sühlt als ein Ganzes, das zusammengchört; eS wird das erst
allmählig kommen und zwar iu dem Maaß, in welchcm die Thä-
tigkeit der Bevölkerung dicses Kreises flch in Anstaltcn kund gibt,
Ivckche die gcmeinsamcn Jnteressen fördcin. Diese Anstalten kosten
Geld, kosten Kraft, kostcn Arbeit, und die Eiiiigmig wird schließ-
lich enlstehcn, weiin die Kräste gelerut haben zusammen zu wtrkcn,
und wcun die Bürger eingefehen haben, daß dabei etwas heraus-
kommt, etwas für Allc Rützlichcs, ctwaS was dem ganzen Krcise
Ehrc machk, uiid mancherlei Bedürfniffe befriedigt, die gegenwärtig
uichl befrtcdigl smd.

Aber eben deßwcgcn schcint es mir auch von der äußcrsten
Wichtigkeit, daß man vorzugswcise solche Männer wählt, wclche
Verständniß habcn für die Anforderiingen dcr Neuzeit, fin dte
Bcdürfnisse eines fortschreiteiidcn Lebcns, und nicht solchc, deren
Stuu mehr dcr Vergangenheit zugewendet ist, die statt das Leben
zu fördern, cS vorztehcn, dic Gräber der Bergaligenhcit auSzu-
schmückcn. Wir werden Mäiiner wählen müssen, wenn das Wcrk
nicht ohnc Ersolg dlciben soll, welchc nach Eiiiigmig dcr vcrfchie-
denen Kräste trachten, und nicht solche, welche den Krcis spalten
und trenuen, uicht Gegner, sondern Kreunde der ncuen Entwicke-
lung, die vorwärts wollcn besonncn, verständig, umslchtig, aber
nicht Solche, die leidenschaftltch Allcs tadeln, waS NeueS tn der
Welt geschicht.

Werfen wir nun einen Btick auf dic Geschäftc dieser
Krcisvcrsammlung, um u»s klar zu machen, was die neue Etn-
rtchtung bedeutet.

Unter all diesen Gcschäftcn ist uur cin ciuzigeS, was eilie ge-
wiffe politischc Bedcutung hat, und selbst dieses mir in eiuer
schr Ulltergeordlieteil Richtung.

Die Krcisversammlung hat nämkich die Liste anzuferttgen für
die künstigcn Bczirksräthe, sic bildet ctnen Dreier-Vorschkag von
Müglicdern, aus denen die Etaatsrcgiermig beziehungsweise das
Ministerium des Jnnern die Bczirksrätbe ernennt. Svnst sind allt
Geschäftc dcr Kreisversammtung reinc Verwaltungs-Ange-
legcuheiten.

Sie tst derechtigt Straßen zu baucn, die für den Bezirk
von Wichtigkeit sind, die also über den Berctch dcr einzelnen Ge-
metndcn hlnausgrcifcn; wo die Gcmelnde mit ihren Krästen uicht
auSreicht, da soll der Krcis uachhclsen.

Sie ist bercchtigt Brücken zu dauen, wo solche erforder-
lich smd, stc kann Sparkassen errichten, sie kann Kretsschu-
le.u bestellen, landwirthschaftliche, Gewerbschulen u. s. w. und was
irgend nützlich ist für das Gcsammklcben dcS Kreises.

Sic kann Watscnhäuser, Armcuhäuser aller Art,
Arbeitshauser gründen, sie ist bcrechtigt gemetnsame Kran-
kenhäuser zu stiften und Rettungsanstalten zu errichten.

Es ifl -inc große Auswahl von sehr bedeutenden Anflaltrn-
die sämmtlich viclerlei Kräftc, vkonomischer und anderer Art tn An-
spruch uehmen.

Die Meinuiig ist nicht die, daß das AlleS auf einmab ange-
griffen weideii so^ wohl aber die, daß nach und nach je nach- den
steigenden Bedürfniffen dcs LandcS und deS Kreises auch für stlchc
Jntcressen gestrgt werde, für welchc die cinzelnc Gemclnde zu
schwach tst, und dte dennoch ntcht st grvßartig, nicht st bedeutrnd
 
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