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Heidelberger Zeitung (61) — 1919 (Januar bis Juni)

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Nr. 77 - 100 (1. April 1919 - 30. April 1919)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3202#0493

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tr^alls 28.

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Heldelberger Jeitung rrschrlnt an irdrm Wochtntag mittag» 12 Uhr. Amtttcht» Aerkllnki-
SU*«»blatt. «ratirbrttagrn sind dt« Scidelberger Famittenblätter. auherdeni amtlicher Wohnung».
an,etger. vi« Heidelberger Zeitung »ann durch alle Poslanstaiten, durch dt. Agentiireii aus d«ni
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vierteljährlich besteNt werden.

Hauptschristleiter: Kurt Ftscher in tzeidelberg.
vr»» u. Berlag: Theodor verkenbusch, tzeidelberger Verlagranstaltu. Druckerei, Heidelberg.

Bezug«: und Anzeigenprelr. Die .tzeidelberger Ieiiimg" kostet bel jed^r 'po -> 1

»iionatlich t.3S M., vierteljährttch 4.0S M. au»schli«tzttch gustellgebiihr, durch dl? -.-i , n > , >

dle rrägeriimen frel tzau» monatllch 1.4S M. - Die sechkgespalieue Peiii^-tte vd- d > »

kostrt 35 Psg.-. im Aelilanietetl die viergespaitene Peiitzeile l.20, mit Pla,c ... > f

l»«i Wiederholungen Nachlah nach Tarif. Ersiillungrort ist tzeldeibecg. Einz->! . > i

Deuek u. Aerlag: Theador Berkendusch-Heidelberger Berlaü->anstalt u. Dniä -
Postscheckkonlo Kari»ruhe Nr. 8047. Fernsprecher: Nrdaklion IL2, <Seschäsi»strt!c

^ lUnabhiingige Tageszettung)

VerKündigungsblatt für Nordbaden und die anarenzenden Teile von Bayern. Hessen und Warttemberg.
Nr. 85 April lSlst ' "" 61. Iahrgang

Noskes Energie

Etnem Midcrvbeiter des Berl. Tamblattes gl.igen-
iiöer, der den Reichswobrminisbev Noske iiber die
Lase tn Berlin und im Reiche befragte. äuherte

-ioste:

Me hatten Grund su der Anncrlime, datz svar-
taikistWe UmtrieLe ietzt in Berlin cinffetzen. Da-
L,cr uulseve Vorstchtsmahregeln, dre Mickl.ichevwevse

'--r stch als überslüffig erwicsen. Die lnilitä-
'cijlmg tst aus alle Möglichkotten vovbvreltct.
'l-ura verläusl alles proarÄMmäirig. Dis
'lkmnmen in unserem Bssih.
r n werden sich, ,vc,ln ,»ei„ Freund
unn sich mir noch kurre Zeit hält. dre Ver-
l . itisse ^«inste« d«r rechtmähigen Regierung Se-
jejtige«. E»p, frUhex Stommmcheur des Münchner
VciürvBments, ist ein hervorrageuder Ossizier.
We«« e» nkcht andcrs geht. wird München genau
ß» mltWaffengewalt zur Ordnung zw-
riickgeführt wepden mllsse,,. wie das in Bre.
men, Düsseldors usw. gescheben ist. Che mrsex Va-
terland in den 4kbgr»md gcstürzt w>rd, »nusi liebee
auss kräftigste zuseschloge», werden. Das BluL,
ivLnn es slieben sollte, komnlt llber die ko m «n u-
nistischen Tollhäusler.

Im Ruhrrevier liegen die Verhältnisse we-
sentlich günstiqer als die Sensationsvresse' wahr ba-
sen will

Aüf die «Frags. wie er stch su. ^en A>trägen des
Nätekongresses wegen Einrichtung etnes Neichs-
scldatonrates stelle, dcr dem Neichsrvehrnri
iiister gleichbevechtigt z»r Seite sesi-llt werd'n solle
Vmtwortete Roske: Der Rätk-kongreh kinn Wünsch-
Äutzern, dte d-er Nation>akoers.anrmlung zur Bsschlutz-
Zasslurg zn «ntcvbreitcn sind, wenn ab>.r der N chs
soldatenrat Tatfache iver>-en sollte, dann gehc
f ch. Ohne einl'eillichr Leiti'i'g, ohne Diszi*
plin tst nichts Verwünftiges ansu-
stelle n.

Der Aufruhr in Magdeburg
nredsrgeschlagen

Magdeöurg. k). April. §)eute moraen uin
Ilhr hat der Einmarsch der oon dem Neicks-
^vshvmtnister Noske -entsandten R e g ier u n g s-
truppen begonuen. Ernstlicher Widerstand ist
chnen nich' entgegeirgestellt worden. obglciich es
Wöhrfach Sch'ietzereien scrk». Die Reg'ierungstrup-
pen haiben dsn Dcnnp gchäubsrt 'ilvd die H-o"pt-
ftratzen besetzt. Unter i.hra,n Schutz ist der Ver-
kehr der Stratzenbahn wioder aufgenommen wor-
den. Troü der Ab'perruna auf dem Domplati duri-
ten dort die Streikettden ihre Versammlungen ob-
halten. Sie beschlossen abeLmals. t,rn Audstand
izu verharren. bis Brandes freiselassen soi. D>e
Versammlung zühlte einige Tauisend Menschen.
d're sel,r schnell wieder auseinandergiEn. Äuch
am Mchmtt.'ag gah es noch sslogentliche Schi'eiste-
roi-on, aesen abend war die Stadt völlig tn der
Hand der Negiernngstruppon.

Magbeburg. 10. Apri-l. Nach eiwer Mtellung
bes Landjägerkorps belauseN' sich die LerlMe de:
Zivilbevö terung bei dsm Ausammenstotz a,m
Mitbwoch auf neun Tote. da-runter eine Frau.
39 Vermundete. die Aufncchnie rn den Kranken-
hiüuhern und Lazaretten gofu>nden hcrbsn. D-e
vtroiklei ung hat beschlosten. im Hinblick wuf d'-e
veränderten Machtverhültnisse kie Streikenden
«ufzufordsrn. hente früh dte Arbeit wieder
«ufz.uneh men. Der Generalstreit in Mag
deburg Vt damil vorläuftg beendet.

Fortdauer des Belagerungszustaudes
in Wiirttemberg

Dte württembergischs Staa'sregievung erlätzt
eine Vek a n n t m a chu n g. in der es u. a. h ts;t:

„Die Stu.'atsregiernng sioht stch le der nlcht in
dor Lage, den Be agerungszustand amsznhebcn. da
d!o Sparkcvkisten durch ihren Terror die Ävdrner
lchaft in grosien B- r'khen "

<1. U.U0) v'.e oes städtischen Gaswerks. >an der
Levaufnahme der Arbeit verhindert boben. D'.e
Vevkohrsböichränkungon bloiben voriaufW ve-
stehen.

* Kecenskt witt Ltolschewist weeden. Nach e>-
ner voin Eorriere della Sera wiodergegebenen Er-
tläcung des schwedischen Soz'iialisten Grünlund
der aus Nutzland zurücksekohrt U. habe Ke-
renski der Cowje rogieruna mttgetoilt, cr
rvün'che eii'-e Wiedervers ö h u u n g. dn »6»
Zeine Ansichten inrmer mehr mit der ibolischowist'-
AukiaMu^ deckten

^urcheinan-er in Paris

Macht Wllfon Ernft?

Die Meldungen über den augenblickltchen
Stand ber Dmge in Paris stnd in einem heil-
losen Durchemander, sohatz man kem klares
Bild gewiimen kann. Nur soviel schelnt festzu-
stehen, dasi die

Haltung Wilsons

die schon seit Tagen vorhaildeve Spannung
zur Krise gebracht hat. Wir stellen darüber
folgende Meldungen zusammen:

Anrsterdam, 9. Llpril. Einer Radiomeldvng
aus Ncivuork zufolge berichten alle Nemyorker Blät-
t r, doh c'rne Krise in der F r i e d c n o ko nfe -
ren; einsctketen sci. Eine von clrttr hohen Per-
sönliiskeit oder von einenr Attachee der amerika-
nischen Delegation aegebene, anscheinend inspirierte
Mtbilung besagt. dotz Wilson direkt oder indi-
»ekt ein Ultimatu m Uberreicht und c klärt habe,
datz cr keine K o n z e s s i o n e n mchr machen
w"de. Die Anfordernng von „E-orge Washing-
ton" wird als endgültige Drobung ausge-
legt, dvtz dec Präsident sich zmüickziehen wird, wrnn
dic Konserc.'z a,>f ein n tote„ Punkt kommt. Die
Slewyorkox Zeitungen entkalten Artikel m»t fol-
genden UeZerschr-ften: „W'.lssn wsr,rt. d-tz ex k-i,rs
Lronzrisionen mchr nmche,, wird". ,.I„ elfter
Stnnde", „Milson nill eine» sofortigen Fried-n atz-
schkictzen". „Wilssn überre'cht de„ Alliierten ein
Mtimatum".

Genf, 9. April. Nvch earer Bbldung d«s
„Temps" üeobsickstigt Wilwn eine Erklärung zu
vcröffentlichen, in dcr seine Heltung sowie die
Gründe aus'.inattderLcsetzt wsrden, wcsh-lb der
^riedensvcrtrag nock n»cht ganz fer1i"gcstettt fej.
Ebcnso rvi'd er in di'ser E'klcivvng eine Anzahl
Anträge br'kämvf'n, wclche v -s Amer'k-, an ihn ge.
r'ckitet wsrde» sin.d ni d dic dsrovf obstelen, die eu-
ropäische Ai-selegs^heit untcr drn Euroväern f-lbst
erled'gsn zu loi?cn. Cr nird d^rin serner für scinr
NnsichLen b'zügl'ch ber Selkständ'gksrt d r einzel.
ucn Nationen kämpsen, vnd cuf L-ieser Grundlags
ci e retn amerikanische Politif zu
füh'ren.

Nstteidam, 10. Apr!l. Dcr Korrelr'endrnt d-s
„D' ly Expvetz" meld-ct: A's gewöhnlich g»t »m-
tcrrichteten aincvikan'lchen Krciscn verlciutct, datz
W ^5ii mit dcm Vcrlauf der Ve bandlling"n
sehv >u nzuf, iede n sc'r. Ev word' viellcicht
nach Amerlka zurückk hren, ebc d'r lFrisdensvcrtrag
f^rtig sci. Dann wiirden die BeEwgten Stgaten
nrrt D:utjchland cincn S o nd e r f r t*d«n
s.vlietzen.

Um der Gefahr einer Sprengung zu begeg-
nen, hat eine V e r »n i t t l u n g s ak t i o n
eingeseht, die auch Erfolg gehabt zu habeu
scheint. Aus Paris wird aemeldet, Orlando.
Lloyd George, Clemenceau und
§> ouse haben eine Einigung über die
Prinzivien des Friedensnbkommens erzielt.
Wenn Wilson sirh gleichsalls damit einver-
standen erklart. so ist die Festsetzung der Fric^

denspräliminarie» nur noch eine Frage von
Sinnden. Wilson konnte bereils an den Be-
ratungen des Viererrats teilnehinen.

Um den Kaifer

Bern, 9. Avrrl. Die Kommisiton für die Sch u l d-
irago bssndcte ihre Avbe!.tcn und gclLnste oin-
sttmmig, ru kcn, Urteil. datz de-r E r ka i se.r, in den
Anklagezustand verfeht werden soll. da er
nicht »»ur für den Kricgsausbruch. sondern auch für
die rahe Kriogjsührung verantwortlich fei. — Jn> der
DienstasMachmitlagssihung wurde in AMvosenbeit
Wilsoirs die Verantwortlichkeil behandelt. Dle br'r-
lisch'n u.nlv franrössichen Doleglerten stnd in ver
Ar<er>b:nnuna d?r Schuld Wilbelms H. und
i i' der Fordevuiig nach der Auslleserung und Ver^
a'itwortung vor eme,n interalliierten Gertchtshofe
eivig. Die anrer'stanischen Delsgierten evkannton
die Schuld des früheren Kaisers an. erülickten fe-
doch keino rechtlich« Möglichkeit sn ser-
i! >' r Berfolgnng. Man erhofft einen Aus-
> lejch zlwifchen don beiden Auffasiungen.

Hö-Hstcns 25—30 Milliarden

Brrzini drohtct drm „Coriere" aus Parü», ^ri
cine eudgültige Erniguna des Mererrates
über die Entschädigungsfraee z»kstand'. aeksmmen.
Man werde von Dcutschlcnrd e»ne Entschädigungs,
sunnne von sofoe- LLchstens 25—36 M »ll»a» den
Franken fordekn. Nach dem „Newyork He»ald"
u'crden die Assczi erten verlangen datz Deutsch-
l a „ d a,n e c st c n T e rm»n iVr b»s 3 Milliarden
Dolt-ars bezahle.

Das Grnndüüel — die 14 Punkte

Das .Kcho do Paris" fchre>bt. nachdcm es dem
B dc' Ern Ainsd"-ck geseben hat. drtz nicht nur in
dex Danzigcr F.aae, sondern auch in der unsari-
sck.-nFvwse svwic in den k mmevzrellenFragcn die
Eiiiente elne Pcl't'ks>cr Nachgicbi>"keit einfchlase:

Dc.,s Grundübek dieffer Polrtik lsigt in den
1t Pun--ten WiUi 'S, d^s dem Waifmstillstand vom
11. Navcnil'er schlie^L'ch das Anseben ciner Kom-
si iki > on goüen. D'e Er gch n iss e des K'rio -
ges ste h e n g,> s vem Spielei wir müsscn
i.imecAialtch reagieren.

München »erzögert den Frieden

E'iiw Hacasdc.'icho mcldet:

D»e ftir M »ttruoch augesetzte Schlutzsiijuug der
Altiievtenkonfcr.nz übcr den Friedon ist veetagt
pwtden. Die AUiierteu find autzsrstandc, solange
die Gefahr eines BUndnisses von Teilen
Deutschlands mit Sowjet-Nutzland be«
siiht, llörr Lre Fricdensbedingungen sich endgtiltig
sii lüssig zu machcn.

Nuch auf dcu Stand un-serer Valutcr Lat der
Miii'chencr Unsug < lngcw^rkt. Jn dex Schweiz
üaüen die Eve-iLri'sse in Mürchen gwtze Bounrlchi-
gung hervcrgen'fen nnd cin n weiteren Sturz
c r d-'utschLn Valuta veru, sa.cht. Jn Holla n d
stcbt der Markku.rs m f 20 Cents. Und da soll man
L>h<ns»'t^tHl im A"sland kaufen'

Ein schweizerisch-sranzösischer
SchlachtpLan gegen Deutschland

Der Lerner Vertreter der ..Sotothurver Ztg."
berichtet: Jn der Parijer „Illustration" gab Ntajor
0, r a s e t anlätzlia) Les ^ut-revlages der grohen
deutjchcn Mürzo,fei,sioe 191L. die zum schlietzlichon
Zusai'.imenbruch Deutschla.ids fuprte. Keiintnis vou
emem Operatiausplan, der g e »i eins a m m»t dcm
Schweizer (öeneralstab ausaearbetsef tvpc-
Ixn war, uw^c'iueia clwuiaen Eindringen
Deutichlands in die Schweiz zu begegnen.
a^s wuroe n it allen Leiaits ei-i?' Schlncht vorbe
reitel, die oon drei alliierten Ostarmeen zu liefern
gewssen wäie, unterstütjt auf dem rechten Flügel
von der gesamtcn Schwerzer Armee.

Diese Enih.illungen des Majors Graiet werde»
vom „Demotrat" bestätigt. Im l?ianuar 1917
schickte die sranzösische Heereslettu.ng eine Ne-
jcrvearmce in die Franche Lomte. Gleichzeittg
jetzte in der sranzösischen Presse eine heftige Kanr-
pagne ein, die auf die Gefahr einer deutschen ^n-
vasion aufmerlsam machte. Cie r»ahni etn plötz-

Uches Ende, als der Bundesrat unvermittelt die
Aiolnlisatton der 2.. -1. und ü. Armee verfügte, i».
solae beunruhigei.der Nackirtchtcn aus Deutschtanü.
Jnsclge verdächtiger Truppenkonzentration nuf der
^a-weizer E>re,!/.> wuroe zwi,a,en dem Schweizer
und dem franz>.'si>chen Generalstab ein Vertrag at>-
geschlosfen, der natürlich nur für den Fall
einer dentschen Invasion iii die Schweiz
vorgesehen wnr. Die französische .Hecresleitmig
ha.te bei Pontarlier eiuen Park schmerer Ar-

- >>> .. : zwei oiunoe.i waren

die ersien Ariiltcrie.siige i,i> r die Grenze neschass'
worben. Jm Ncärz 1917 saudte der Sckweizer Gc
»eralstab sogar eine Militürinission nnch Frank-
rcich. doch legte sich die Annst vor der drohenden
>»vasion mtt dem Verschwinden der gefährlichen
Symptome jeaseils des Nheinos bald wieder.

^ Die Zeusur in England wird am 30. Avril
aufgeboben merden.

» Cottin zu Zuchthaus beanad'gt. Poincare
wandelte auf d." Bercklst Cicmencecrus >lnn d>e
gegen Lottin v-. rhängte Todesstraie in ei, e -10-
jährige Zuchthausstrafe ,mi.

MLnchen oder Weimar?

Der Gedanke der Näterepublik befin-
det sich zweifellos auch in Deutschland auf dem
Marsche. Jn München ist die Näteregierung
ausgerufen worden; in anderen Teilen Deutsch-
lands findet der Eedanke, den die russischen
Bolschewisten zuerst verwirklicht haben, in wei-
ten Kreisen der Arbeiterschaft starken Anklang.
und es bedarf vielleicht hier oder dort nur noch
des zündenden Funkens, um das Beispiel Mün-
chens zu vervielfältigen. So ist ln der revolu-
tionären Entwicklung abermals ein Punkt er-
reicht, an de-.r sich die Eeister scheiden müssen
und in dem das Entwicklungsbild sich in neuen
scharfen Umrissen abzeichnet.

Um was handelt es stch? Der revolutio-
näre Trieb, der am '9. November frei
wurde, hat bis jetzt nur zu einem gewissen
TeUe seine Befriedigung gefunden. Die Mas-
fen «erstanden unter der Revolution vor allen
Dingen eme soziale Umwälzung, und dieser
Umschwung malte stch in ihren Köpfen in den
verführerischen Bildern, die ihnen die soziaU
demoLratijche Agitation jahrzehntelang vorge-
gaukelt hatte. Sie glaubten nach dem 9. No-
vember mit beiden Füßen in dem gelobten
Lande des Zukunftsstaates zu stehen, der ih-
nen, so lange er noch unerreichte Zukunft war,
den Himmel auf Erden versprochen hatte. Die-
sen Zukunftsstaat nunmehr zu verwirklichen,
nachdem die politischen Schranken am 9. No-
vember gefallen sind, ist das Streben der Ar-
beitermassen. Nach dem jahrzehntelangen
Gaukelspiel der sozialdemokratischen Agitation
woüen sie jetzt Taten sehen.

Dieser Druck der Massen, von dem stch Spar-
takus und die Unabhängigen immer grötzere
Scharen zutreiben lassen. stößt aufzweiHin-
dernisse. Die Sozialisierung wird
im großen Maßstabe dadurch illusorisch, daß
das deutsche Wirtschaftsleben saftlos und
blutleer geworden ist. Durch eine Soziali-
sterung kann unter diesen Umständen die Ar-
beiterschaft nichts gewinnen, die deutsche Wirt-
schaft aber alles, was ihr an Zukunftsaussich-
ten noch geblieben ist, verlieren. An diesem
Hindernis stoßen sich die Massen indessen nicht.
Ällc Aufklärung. jeder Appell an ihre Ver-
nunft, scheint vergebens zn sein. Der Wille,
den „Kapitalismus" zu unterdrücken, ist jahr-
zehntclailZ durch die Sozialdemokratie genährt
worden und nun auch durch seine geistigen
Nährväter nicht mehr zu bändigen. Ein zwei-
tes Hindernis aber steht dem blinden Trieb
dcr Massen noch im Mege. Die Wahlen haben
unzweideutig ergeben. daß in Deutschland die
Anhanger des Sozialismus in der Minder -
hert sind. Nicht nur in der Nationalver--
sammlung, sondern auch in den Lnndesver-
sammlungen der wichtigsten und größten Bun-
desstaaten sttzen bürgerliche Mehrheiten. Diese
Lage hat in Weimar ihren Ausdruck dadurch
gefunden, daß der Zentrumsabgeordnete Groc-
ber den Namen der „sozialistischen" Nepublir'.
für erledigt ertlärte. Dem Machtspruch der
Wnhlen wollen sich indesten die Arbeitermassen
cbenso wenlg fügen, wie der besseren EinsichL
threr Führer. So hat denn seit dem Zusam-
mentritt der Nationalversammlung immer
schärfer eine Bewegnng eingesetzt, die über die
demokratische Staat'iform hinweggchen will.
Die Parole: Atte Macht den Arbeiter- und
Soldaten-Nüten! ist mit dem Zusammentreten
dex Nationalvcrsammlunq keinesmcgs ver-
 
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