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Heidelberger Zeitung (61) — 1919 (Januar bis Juni)

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Nr. 126 - 148 (2. Juni 1919 - 30. Juni 1919)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3202#0894

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in Staöt unö Lanöl

An alle Gegner der Verhetzung der Volksgenossen!

Deutschland erlag einer Welt von Feinden in dem furchtbarsten aller Kriege. Nicht
unser Volk, überhaupt kein einzelnes Volk, nicht einzelne Klassen oder Stände oder Glau-
bensgemeinschaften chaben ihn verschuldet. Lr ist vielmehr herausgewachsen aus diesem Zeit-
alter des Imperalismus mit seiner unbezähmten Gier nach weltwirtschaftlicher Macht, der
die Kulturstaaten der Welt im Uebermatze gehuldigt haben, und aus diesem Ieitalter des
übertrlebensten Nationallsmus, der fortgesetzt die Dämme gesunden nationalen Sinnes
zerbrach.

Alle, ja alle Dölker, die an diesem entsetzlichen Ningen teilgenommen haben, sind die
Schuldigen, weil sie solche Krankheiten unter sich entstehen und reifen und immer mehr sich
oerbreiten lietzen. ,

Also beurteilen die Berständigen und Einsichtigen, die vorurteilsfrei nach Wahrheit
Suchenden, die Entstehungsgründe des Weltkrieges.

Anders die antisemitischen Hetzapostel, die verlogenen Träger und Verbreiter des
„Sozialismus der dummen Kerle!" Sie suchen dem deutschen Volke durch ständige Ver-
breitung nichtswürdiger, von Gemeinheit angefüllter Druckschriften vorzulügen, die Iuden
aller Länder hätten zusammen den Krieg angezettelt und die Deutschen „mit ihrer vater-
landslosen Börsenoerbindung" verraten.

Diese antisemitische Lüge- und Hetzgesellschaft sucht durch diese Täuschungsversuche die
eigene Schuld von sich abzuschütteln. Denn ihre Anhänger standen stets im Lager
der unentwegtesten Nationalisten, Alldeutschen und Grötzenwahnsinnigen, die, wie in den
anderen Ländern so auch in Deutschland die Dölkerentzweiung und den Krieg mitver-
schuldet haben.

Ohne Unterschied des Glaubens standen sich die Angehörigen der feindlichen Nationen
als Kämpfer gegenüber. Die jüdischen Deutschen, Oesterreicher, Ungarn trugen als Soldaten
ihre Haut zu Markt genau wie die jüdischen Franzosen, Engländer, Italiener, Russen.
Dielleicht keinen Teil der europäischen Welt hat das Elend des Krieges schwerer heimgesucht
und sucht es täglich schwerer heim als die jüdische Bevölkerung Galiziens, Polens, Rutzlands.

Und da wagen verlogene Antisemiten-Häuptlinge, die Iuden als internationale Kriegs-
verschwörer zu verleumden, die Iuden, die überall mit ihren christlichen Volksgenossen die
Schrecken und Lasten des Krieges getragen haben und tragen müssen und Selbstmörder
wären, wenn die Behauptungen der antisemitischen Hetzredner auch nur einen Kern von
Wahrheit in sich trügen.

Aus unzahligen Wunden blutet das deutsche VolK. Ungeheuerlich in der Weltgeschichte
und unübersehbar sind die Opfer an Land und Leuten, an Gut und Ehre, die der Gewalt-
friede dem deutschen Volke erpretzt. Furchtbar zehren die inneren Wirrnisse und Kämpfe
am Marke des deutschen Volkes.

Darum rufen alle Einsichtigen und Verständigen, rufen alle, die ihr Vaterland wahr-
haft lieben, nach Iusammenfassung und Sammlung aller Volkskräfte, predigen sie Duldsam-
keit und gegenseitiges Derstehen. Nur so kann Deutschland neu aufgebaut, kann sein
kranker Körper wieder gesund werden.

Anders der Bolschewismus der dummen Kerle, die volksvergiftende und zersetzende
Wühlarbeit der Antisemiten. Die Iuden sind am Iusammenbruche Deutschlands schuld,
schreien sie lügnerisch durch die Lande. „sie haben den Wucher und Schleichhandel in Lchwung
gebracht, sich in überwiegender Anzahl in den Kriegsgesellschaften aufgehalten und die
Gewinne an sich gerissen, während die Deutschen drautzen ihr Leben einsetzten. Lie sind die
Ausbeuter der Revolution, die uns den Lklavenfrieden bringen wird."

Nach dem alten Rezepte: „Haltet den Dieb" - suchen die nationalistischen Phrasen-
helden des Antisemitismus die sie drückende schwere Schuld an der Völkerverhetzung, am
Weltkriege und an Deutschlands Iusammenbruch aus andere abzüwälzen und die Iuden als
Prügeljungen niedrigen Instinkten auszuliesern.

Nur gewissenlose, von allen Hemmungen der Littlichkeit losgelöste Dolkszerstörer und
Demagogen können so schändliche Lügen ersinden und verbreiten.

Feige und hinterlistig überschütten sie Stadt und Land mit namenlosen Flugschriften.
Während der letzten Bürgerausschutzwahlen vertrieben sie auch in Heidelberg und Um-
gegend ein gelbes Flugblatt mit der Ueberschrift: „Die Maske ist gefallen" und der Unter-
schrift: „Eure Mitbürger jüdicher Rasse." Darin bekennen angeblich diese Mitbürger jüdischer
Rasse alle ihre Schuld am Weltkriege, alle Revolution an der Zerstörung des deutschen Dolkes.

Dieses Flugblatt ist eine gemeine, niederträchtige Fälschung ihre Namen vorsichtig
verbergender. antisemitischer Falschmünzer. die sonst deutsche Offenheit und Ehrlichkeit in
Erbpacht genommen haben wollen.

gu diesen geistigen Falschmünzern gehört auch der Antisemitenklüngel, der hier in
Heidelberg zuerst geheimnlsvoll und mit geschlossenem Visiere als „Daleg", in den letzten
Tagen als deutsche Arbeits- und Lebensgemeinschaft seine lügen- und giftaesvickten
Pfeile entsendet.

Am 19. Juni 1919 hat ihr Gründer und Geschäftsführer, Dr. Arnold Ruge in
Heidetberg, Werderstratze 74 bei einer Sonnwendfeier auf dem Heiligen Berg elne seiner
vielen oon Judenhatz triefenden Reden gehalten und in einer Entschlietzung unter anderem
jene Sätze ausgesprochen. von denen wir oben einige an den Pranger gestellt haben. „Wir
oerlangen - rust er - von einer Regierung, welche Gefolgschaft beansprucht, datz sie uns
hilft, das Ioch des Alljudentums abzuschütteln".

Wer ist Dr. Arnold Ruge, der sich als den berufenen oder aus'erwählten Führer des
echten Deutschtums aufspielt, der in seinen „vertraulichen Grundsätzen" der deutschen Arbeits-
und Lebensgemeinschaft sich zum Sittenrichter und sittlichen Reformator erhebt, der in einer
Eingabe den Herrn Reichspräsidenten vom Mai 1919 anfleht, alle Vaterlandsgetreuen auf-

zurufen, wieder zu den Waffen zu greifen, und darin seine jüdischen Mitbürger, besonders
die jüdischen Universitätsprofessoren, Aerzte, Anwälte auf das Gemeinste beschimpft!

In einer Wählerversammlung zu Weinheim im Ianuar 1919 hat er selber von sich
gesagt: „Ich bin ein kleiner Prioat-Dozent an der Unioersität Heidelberg; datz ich es nicht
zum Professor gebracht habe, daran ist der vorherrschende Linflutz der Iuden in der philo-
sophischen Fakultät schuld".

Also den Märtyrer der Herrschaft des Alljudentums nennt sich Dr. Arnold Ruge
öffentlich. Ist das wahr? nein, sein Märtyrium ist ersunden oder doch ein Wahngebilde
eines krankhaften Gehirnes.

Ls gab eine Zeit - es ist noch nicht lange her - da hat Dr. Arnold Ruge um
Iulassung zur Mitarbeit bei der Frankfurter Zeitung gebettelt, die er bei der Sonnwend-
seier in seiner Entschlietzung herunter zu reitzen sucht. Es gab eine Zeit, da hat er viele,
sehr viele Wohltaten von Iuden empfangen.

Es ist eine Gewissenlosigkeit ohnegleichen, in einer öffentlichen Wählerversammlung
wider besseres Wissen, jedenfalls grob fahrlässig, Zu behaupten, die philosophische Fakultät
der Universität Heidelberg beherrsche das Iudentum, das ihm die Beförderung zum Pro-
fessor versage.

Wir wollen ihm, der so rasch bei der Hand ist, den Deutschen jüdischen Glaubens,
den Iuden überhaupt Ehre, Ansehen, Gleichberechtigung zu rauben, einmal vor der Oeffent-
lichkeit ins Gedächnis rufen, weshalb jede Fakultät sich bedankt, ihn zum Professor zu
befördem.

Kurz vor dem Kriege war es, da stand Dr. Arnold Ruge mit seiner Hauswirtin vor
Gericht. Sie hatten sich gegenseitig wegen Beleidigung oerklagt und wurden vom Schöffen-
gerichtauchbeide zu Geldstrafenoerurteilt. Auf Berufung hin sprach das Landgericht die Haus-
wirtin frei und erhöhte die gegen Dr. Ruge vom Schöffengericht erkannte Geldstrafe. Bei dem
Urteile wirkte auch ein hochangesehener Professor der Rechte an der Universität Heidelberg
- wohloerstanden ein Lhrist, kein Iude, kein getaufter Iude - mit, der zugleich als
Richter tätig ist. Flugs machte Dr. Arnold Ruge gegen diesen in der ihm eigenen
Verbohrtheit und Verbissenheit bei der Staatsanwaltschaft eine halt- und aussichtslose Straf-
anzeige wegen des Derbrechens der Rechtsbeugung, belegt ihn also mit dem schwersten
Schimpf, er habe absichtlich und widerrechtlich ein falsches Urteil zu seinen Ungunsten her-
beigeführt, ohne datz er - Dr. Rlrge - gewutzt hat und wissen konnte, wie jenes Mit-
glied der Straskammer bei der Urteilsoerkündung überhaupt gestimmt hatte.

Und Dr. Arnold Ruge hatte noch die Stirne, öffentlich in der Zeitung von dieser
seiner erbärmlichen Strafanzeige Mitteilung zu machen.

Und ein solcher Mann, der in bodenloser Leichtfertigkeit oder krankhafter Derbiffen-
heit vor so schwerem Unrechte gegenüber einem Universitätskollegen und deutschen Richter
nicht zurückschreckt, beklagt sich, datz er nicht befördert wird. Prosefforen der Philosophie
müffen eine andere Auffassuug vom kategorischen Imperatio, den der grötzte Philosoph der
Deutschen, Kant, gelehrt, haben, als Dr. Arnold Ruge, trotz seiner Dorlesungen über Kant.

Datz dieser Mann keine Ahnung von den sittlichen Aufgaben eines Universitätslehrers
hat, das erhellt auch daraus, datz er am Samstag die von ihm verfatzte Tntschlietzung bei der
Sonnenwendfeier am 19. Iuni 1919 durch ihm getreue antisemitische Ltudenten unmittelbar
vor Veginn der Vorlesuugen in den Hörsälen verbreiten lietz. So tief ist dieser Dolks-
verhetzer Dr. Arnold Ruge gefallen! Und solch ein Mensch lehrt Philosophie!

Die Iuden haben die Gewinne an sich geriffen, während die Deutschen drautzen ihr
Leben einsetzten, ruft Dr. Arnold Ruge in seiner Enlschlietzung, sie haben den Wucher und
Schleichhandel in Schwung gebracht usw. Diese Behauptungen sind genau so leichtfertig
und gewissenlos wie seine Strafanzeige gegen das Mitglied der Strafkammer und juristischen
Fakultät Heidelberg.

Wo war denn Dr. Arnold Ruge, der Mann rein deutscher Gesinnung, der zur Wieder-
aufnahme des Krieges entflammt, in der höchsten Not des deutschen Volkes während des
Krieges? Als er zum Heeresdienst eingezogen werden sollte, setzte er Himmel und Hölle
in Bewegung, um davon los zu kommen. Er lief bei den Dorsitzenden der „Vaterländischen
Volksabende" in Heidelberg herum und bettelte um ein Zeugnis seiner Unabkömmlichkeit
bei dieser Einrichtung. Auch die Sanitätskolonne Heidelberg suchte er zu bestimmen, ihn zu
reklamieren. In der Tat hatte er auch eln Gesuch beim Bezirkskommando eingereicht, be-
vor er als Landsturmmann nach Karlsruhe zog. — Ia, für das Vaterland zu leben isl
doch süß, und schön ist's, wenn andere sür es sterben.

Dr. Arnold Ruge möge bei ssinen antisemitischen und deutschnationalistischen Gesinnungs-
genossen Umschau halten, da wird er Unzählige in Sladt und Land sinden, die den „Wucher
und Schleichhandel in Schwung gebracht und die Gewinne an sich gerissen haben." Ein
Mitglied der deutschnationalen Fraktion in der badischen konstituierendeu Dersammlung,
Bürgermeister Fischer in Meißenheim tritt frank und frei für den Tabakwucher und Tabak-
schleichhandel ein und hetzt die Tabakpflanzer zu bewaffnetem Widerstand gegen die Abgabe
des Tabaks zu den gesetzlichen Preisen auf.

Aber die Pharisäer oom Schlage eines Dr. Arnold Ruge sehen nur die Splitter im
Auge der andern, nicht aber die Balken im eigenen Auge.

Mitbürger, Mitbürgerinnen! Hütet Euch oor solchen falschen Propheten, die das
Dolk verhetzen und zermürben. Sie sind alle vom gleichen Schlage, teils wirtschastlich, teils
geistig entwurzelte, nicht berufen zum Führertum nnd zur sittlichen Lrneuerung unseres Dolkes.

Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus

vgva Ortsgruppe Aeidelberg.


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