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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 41 - Nr. 50 (18. Februar - 28. Februar)
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OopvriAÜt dy VerluZsavstalt Dyrolia, Innsbruck — ^Visn — NünZisn. — ^IIs 6.ec1it6 vorbsstaitsn.

14) (Nachdruck verboten.)
Mit diesen Worten trabte er die Lange
Straße hinein. Der FastnachtÄävm würbe im-
mer größer, das Maskentreiben immer bnnter
mvd toller. Da kam ein Jagdzng, wo ein Rud-el
mit Büchsen und Pistolen bewasfneter Hasen
einen Schwarm Jäger verfolgte. Hinter ihnen
stapfte eine Musikkapelle in Lanbsknechtnni-
form, die rücklings ansschritt und mit verdreh-
ten Köpfen in flottem Marschtempo eine furcht-
bar mißtönende Katzenmusik spielte. Dann kam
ein größerer Trupp Zwerge, die nur spannen-
hohe Beinchen und keinen Körper, aber unge-
heure Köpfe mit ellenlangen Nasen hatten.
Ihnen folgten drei Weltkugeln, die, um ihre
Achse sich drehend, langsam einherschwebten,
und so oft sie znsammenstießen, in ein fürchter-
liches Schimpfen und Streiten ausbrachen.
Dann watschelten ein Paar Dutzend riesiger
Enten mit schnatternden Frauenköpfen guer
Sber die Straße. Und dann kam ein ohren-
-etaNbender Lärm. Etwa fünfzig Schalke in
richtiger Narrenkleidung mit Schellenkappen
und breiten Lckergürtöln, an denen Glocken
hingen, füllten dte gange Straße und machten
nach links und rechts Ausfälle auf das dicht-
gedrängte Zuschauerpudlckum. Hier bliesen sie
den Leuten Puder ins Gesicht, dort spieen sie
Wasser oder streuten sie Schnee unter die
Menge, hier küßten sie ein altes Weib, dort
streichelten sie ein Mädchengüsicht mit ihren
rußigen Händen. Das gab ein unbeschreib-
liches Kreischen, Winseln, Lachen, Schelten,
und daneben war ein endloses Klirren und
Klimpern der Schellen und Glocken. Eine Zeit-
lang schaute der Gemfenhirt dem übermütigen
Treiben zu. Da sah er plötzlich mitten in dem
Narvenhaufen einen tanzenden, mächtigen,
roten Schirm, der aufs Haar dem Familien-
dach des Schirmmachers Wunibald Oß glich.
Und richtig zappelte unter dem Schirm,
krampfhaft den Schirmstab haltend, Meister
Wunibald. Vier Schellennarren hatten ihn er-
faßt nud zerrten ihn rasend im Kreise herum,
so daß die Rockschößs des Männleins hoch auf-
flogen. Dem Meisterlein half kein Wehren uNd
kein Spreizen, desto lauter schrie es:
„Ihr Banda, ihr Spitzbuben, wollt ihr mich
Mslcchen! Ich bin kein Hanswurst, ich bin ein
ehrsamer Handelsmann. Ich verklag euch
beim Pfleggericht."
„Viel Geischrei und wenig Wolle, hat der
Tsuiel gesagt, als er ein Schwein geschoren
hat , rief lachmrd einer der Schalksnarren.
Das Männlein war aber auch nicht auf den
Kopf gefallen. Es war ihm nämlich gelungen,
eine große Nadel, die es für allfallsige Schirm-
reparaturen immer bei sich trug, aus dem
Rocksaum zu ziehen. Wutentbrannt schrie es:
„Laß mich erst einfädeln, hat der Schneider
gesagt, als ihn der Teufel holen wollte."

Damit stieß es die Nadel einem Schellennar-
ren ins Sitzfleisch, daß es laut aufheNlend und
mit der Hand nach der getroffenen Stelle fah-
rend zur Seite sprang. Auch zwei weitere Nar-
ren wurden durch Nadelstiche außer Gefecht
gesetzt; aber ein Halbdutzend andere umringten
das Männlein, entwanden ihm die Nadel und
hopsten dann noch toller mit ihm herum. Da
stand plötzlich die Figur des Gemsenhirten
breit und mächtig vor ihnen und donnerte sie
an:
„Ihr Lotterbuben, schämt ihr such nicht, an
einem alten, shvengeachteten Mann euren ma-
geren Witz zu üben?"
Verdutzt ließen die Narren vom Schirm-
macher ab, umdrängten aber nun, in einen
wirren Lärm Msbrechend, den Gemsenhirten.
Einer rief:
„Wer Hat den Longinus vom Himmel ge-
schireuzt? Kennt ihn jemand?"
„O ja, er ist das Enkelkind seiner Großmut-
ter, geboren im Jahre eintgusend, sechshundert
und drei Hopfenstangen", schrie ein anderer.
Ein dritter schlug ihm mit einem Fuchs-
schwanz um die Ohren.
Da brannte aber der feuerrote Zorn im
Gesicht des Gemsenhirten. Blitzschnell faßte er
den Kerl an den Hüften und warf ihn auf das
Dach eines niederen Hauses, wo er im Schnee
stecken blieb. Zwei anderen stieß er seine Faust
in den Magen, daß sie wie Klötze hinfielen.
Das Publikum hatte anfangs lachend Beifall
gegeben, in der Meinung, der Auftritt sei ein
mit den Schalken ausbedungenes Spiel. Als
die Menge aber sah, daß es sich um einen ern-
sten Streit handle, nahm sie für die Narren
Partei und schon drang ein Dutzend kräftiger
Burschen, mit Stöcken bewaffnet, auf den Gem-
senhirten ein. Dieser erkannte wohl, daß er der
Uebermacht erliegen müsse; darum sprang er
rasch zur Seite, kletterte an einer Sölleristange
katzenflink zum zweiten Stock eines Hauses
empor, schritt droben frei über einen schmalen
Sims, hüpfte von dort mit einem kühnen
Satz auf den Wipfel eines Fichtenbaumes, der
klafternahe an der Hausmauer in die Höhe
wuchs, und rutschte am Stamm hinunter in
einen Garten. Die Menge hatte mit Verwun-
derung, mit Grauen zugeschaut und jetzt brach
sie in den Ruf aus:
„Das ist der Teufel! Das ist der Leibhaf-
tige!"
Aber schon kam der Gemfenhirt, der seiner
Flucht sich schämte, unter einem Haustor wie-
der zum Vorschein. Mit aufgekrempelten Rock-
ärmeln und geballten Fäusten stand er da und
ließ einen seiner wilden, unheimlichen Jauch-
zer durch die Straße gellen, so. daß Narren
und Volk scheu auseinanderftoben. Selbst seine
Angreifer wagten nicht mehr, ihn zu behelli-
gen. Sie mit herausfordernden, höhnischen

Blicken musternd und dann einen noch schril-
leren Jauchzer loslassend, überquerte der
Gemfenhirt die Straße und bog in ein men-
schenleeres Seitengäßchen ein, durch das er
langsam forttvabte. Noch war er keine zwei-
hundert Schritte gegangen, als er hinter sich
eine krähende Stimme vernahm:
„Klaus! Klaus! Gamshirt, laß dir Zeit!
Wart ein wenig!" Das Schirmmännlein Wu-
nibald Oß keuchte daher, sein rotes Familien-
dach geschlossen unter -dem Arm tragend. Es
hängte sich stürmisch an den jungen Mann
und rief:
„Gemsenklaus, du hast mir in schwerer An-
fechtung geholfen. Das vergeß ich dir nimmer.
Mau lernt seine Freunde erst in der Not ken-
nen. Freunde in der Not gehen hundert aus
ein Lot."
„Wie bist du denn in Anfechtung und Not
geraten?" fragte der Gemfenhirt belustigt.
„So unschuldig wie ein neugetauftes Kind.
Ich habe mir die Narrenprozession angeschaut
wie andere seßhafte, gestandene Bürger. Als
dann das Wafsersprchen und Schnsewevfen an-
gegangen ist, hab ich mein Regendach aufge-
spannt, um mich gegen die Anwürfe zu schüt-
zen. Aber kein Stier kann ein rotes Tuch sehen.
Ehe ich gefaßt war, haben mich die Bengel
schon mit fort-gerissen wie die Teufel sine arme
Seele." c-
„Hahaha. E i n Narr macht hundert."
„Und hundert Narren machen eine n."
„Ist dir etwas passiert? Hast du einen
Schaden genommen bei dem Narrentanz?"
„Gott sei Lob und Dank, nein. Aber ich
hält' mit Leib uud Seel' zugrunde gehen kön-
nen, wenn du nicht gekommen wärest. Sag,
wie soll ich dir deine Hilfe bezahlen? Magst
du ein Geld.
„Willst du mich beleidigen?"
„Fällt mir nicht ein. Geld ist keim Beleidi-
gung. I ch für meine Person bin um so weni-
ger beleidigt, je mehr mir einer Geld gibt."
„Beim Geld hört die Freundschaft auf."
„Nein, die Gemütlichkeit hört auf b-ei-in
Geld, das heißt, wenn man keines hat."
„Jetzt laß mich aus mit deinem Geld."
„Wenn du kein Geld magst, dann biet' ich
dir etwas anderes — ein Haus, ein Anwesen
samt Zubehör."
„Haha", lachte der Gemfenhirt, „das könnt'
ich brauchen, wenn mich der Graf Hörtenftein
aus dem Dienst jagt."
„Warum soll er dich aus dem Dienst jagen?"
„Dir kann ich's wohl verraten. Ich hab Un-
glück gehabt. Nahezu hundert von meinen
Gemsen liegen tot drinnen im Keesgarten,
unter Schneehaufen uud Lawinen begraben.
Jetzt bin ich eben hergekommen, d-em Grafen
das Unglück zu berichten."
„Es gibt selten ein Unglück, wo nicht ein

Glück dabei ist. Fürchtest du dich vor dem
Grafen?"
„Hast du einmal gehört, daß der Gemfenhirt
sich fürchtet? Ich fürcht' mich vor keinem Teu-
fel. Auch kann ich gar nicht helfen für das
Unglück."
„Um so besser. Aber ich rat dir, sei unter-
tänig vor dem Grafen."
„Wenn er grobe Trümpfe ausspielt, werd'
ich keine kleinen zugeben."
„Hüt' dich! Köpfe sind Töpfe; ivenn zwei
zusammenstoßen, gibt's Scherben.». Doch
mag's gehn, wie's will, ich hab ein Pflaster für
deine Wunden. Komm, sobald du mit dem
Grafen fertig bist, ins Silberne Rößl, wo ich
meine Herberg hab' und auf dich wart'. Dort
sollst du Neuigkeiten erfahren, daß dir die
Ohren singen."
„Was für Reuig-kecken?"
„Geduld, Geduld, bitte! Man läutet nicht
vor der Epistel zum Evangel. Im Silbernen
Rößl, wo wir mitei-nander nachtmahlen und
uns auch -einen guten Tropfen zu Gemüts
führen, werd ich meine Neuigkeiten auspacken.
Geh jetzt! Bevor es dunkelt, hoff' i-ch dich im
Silbernen Rößl wiederzusehen. Adis derweil."
Mit diesen Worten schwenkte das Männ-
lein in eine andere Gasse ab, während der
Gemsenhirt zum Schloß Hörtenftein bi nauf-
trabte.
Der Graf empfing seinen Wild Heger äußerst
freundlich. Von der Unglücksmeldung war er
allerdings betroffen, doch hatte er kein Wort
des Tadels, sondern lobte den Gemsenhirten
ob seiner Umsicht und Tatkraft und verab-
schiedete ihn gnädig, nachdem er ihm außer
dem Vierteljahrlohn noch fünfzehn Gulden
als besonders Anerkennung eingehändigt hatte.
Erleichterten Herzens verließ der Gemfen-
hirt das Grasenschloß und ging sogleich ins
Silberne Rößl, wo er den Meister Wunibald
hinter einem schon gedeckten Tische antrai. Als
er dem Männlein erzählte, wie freundlich und
gnädig der Gras seine Meldung entgegen-
genommen habe, wackelte dieses bedächtig mit
dem Kopf und sagte dann geheimnisvoll:
„Der Graf ist dir wohlgewo-gen und hat
auch seinen Grund dazu."
„Was für einen Grund soll er haben?"
forschte der Gemsenhirt.
„Frag nicht! Alles Wissen macht Kopfweh.
Wir müssen zuerst Leib und Seele stärken."
Meister Wunibald gab dem Schenkmädchen
einen Wink uud dieses trug alsbald ein lek-
keres Mahl auf und stellte auch zwei große
Flaschen Wein neben die Gedecke. Während
des Essens, das sich die beiden gut munden
ließen, sprach das Schirmmännlein fast kein
Wort. Nachher begann es in weitschweifiger
Rede zu klagen, daß jetzt im Fasching sein
Geschäft äußerst flau gehe und daß die Mensch-
heit in ihrer sündhaften Leichtfertigkeit gar
nicht daran denke, llch die Wohltat eines soli-
den Regendaches zu verschaffen, wo doch bei
Ausgang des Winters unausbleiblich das Re-
gen- und Matschwetter bevorstshe. Eine Zeit-
lang hörte der Gemsenhirt auf das Gequatsch,
dann wurde er alber ungeduldig und drängte:


Lonchtta tanzt
Spanische Lebensbilder.
Der Eintritt ist frei, das Glas Manzanilla
kostet eine Pesete und fünfundzwanzig Cen-
timos und Juana ist heute ein bißchen heiser.
Aber diese Heiserkeit stört niemanden, nein,
sie unterstreicht sogar noch die Schwermut der
so unsagbar eintönigen, winselnden, einschlä-
fernden Melodik der Flamancos und Iotas,
die Juana mit geschlossenen Augen singt.
Ihre beiden Arme streckt sie dabei flehend
vor und dann, wenn die Reihe der hingelall-
ten Töne zu Ende geht und sich wiederholt,
wendet sie sich mit einer brüsken Bewegung
von einem der Männer, die sie ausing't, ab
und einem anderen zu. Ich verstehe kein
Wort von dem, was sie in diese seltsame
Melodie hineinpreßt, aber jemand sagt mir,
daß es das traurige Liebeswerben einer
armen Felisa sei. Ringsum dösen die jun-
gen und alten Männer vor sich hin, lutschen
an ihrem Glase Kaffee oder Wein und schie-
ben hin und wieder mit einer unbedachten
Geste die Baskenmütze tiefer in den Nacken.
Plötzlich springt Juana zurück auf die pri-
mitive Bühne, die Musik klingt für einen
Augenblick auf, verstummt wieder, und nur
die Kastagnetten in Juanas Händen klappern
leise und verhalten und dann lauter und
fordernder und immer wieder in einem be-
törenden An- und Abschwellen, wie irgend
ein sagenhafter Vogel, der in Liebe girrt.
Inzwischen schlendert der Kellner durch das
graue, aschige Lokal und füllt aus den bei-
den mächtigen Kesseln, die er dauernd mit
sich herumschleppt, die Gläser einiger Gäste
mit Milch und Kaffee. Eine dicke Alte mit
verfilzten Haaren hämmert jetzt auf dem
Klavier, denn Juana singt wieder mit ihrer
heiseren Stimme, und ein uralter Bauer, der

mir gegenübersitzt, ein Mann mit einem
Gesicht aus Bronze und mit Augen aus
Stahl, die Baskenmütze verwegen in die
Stirn gedrückt, lallt die schleppende Melodie
mit: „Marinero es mi amante de agua sa-
lada . . . ." In den winzigen Käfigen, die
in den vergitterten Fenstern hängen, trillern
dazu die Kanarinenvögel, und junge Leute
schlagen den Takt.
Es riecht nach Schminke, Wein und
Schweiß und von der Bar her aus dem gro-
ßen zischenden Kessel nach frischem Kaffee.
Durch das Gesumm der vielen Stimmen,
durch den Lärm der Zurufe und das leise
Trommeln der Tamburine hinter dem Vor-
hang hallt das Lied der Sängerinnen wie
fernes Winseln. Es scheinen wirklich heute
nur Bauern in diesem dunklen Raum im
Herzen Madrids zu hacken, lleberall sieht
man nur die blauen und grauen Leinenkit-
tel, die weiten Baskenmützen, und die abge-
arbeiteten Hände, die bedächtig eine Ziga-
rette drehen oder schützend das Trinkglas
umhegen. Prüfend und dennoch völlig un-
beteiligt gleiten die Blicke über die grellbe-
leuchtete Bühne und verlierden auch dann
nichts von ihrer großherrlichen Kühle, wenn
zwischen den Tänzerinnen hin und wieder
eine Chanteuse auftritt. Das frivole Lied
gleitet ab wie Schaum auf Marmor, und
mir gegenüber der Alte aus Salamanca wen-
det sich gelangweilt ab. Seine furchtbar
dicke Freundin mit den pechschwarz unter-
malten Augen in dem dummen, runden Ge-
sicht, die er sich aus der Reihe der Mädchen
nur deshalb geholt hat, weil er es seiner
Stellung als Caballero schuldig war und der
er einen süßen Anis angeboten hatte, schaut
ihn, obwohl er sich auch nicht einen Deut um
sie kümmert, draufhin verliebt an. Er aber
spricht lieber mit mir ein paar verbindliche
Worte, weil man doch nicht einem gänzlich

fremden Menschen stumm gegenübersitzen
kann, und dreht mir eine Zigarette. Er sitzt
hier nur, weil er auf die Guapa wartet.
Alles andere interessiert ihn nicht.
Guapa, das ist die kleine Angeles, die sie
hier auch zärtlich Conchita nennen. Als sie
auftritt, fliegen ihr kühne, aufmunternde
und verliebte Rufe zu. Worte begeisterter
Caballeros, Rufe aus dem Munde von Bau-
ern, Fuhrleuten, Eseltreibern und Wein-
händlern, die ihre Schönheit mit den edelsten
Früchten und Blüten vergleichen, aber sicher-
st chnicht dulden würden, daß auch nur ein
idezentes Wort an die Ohren der Tänzerin
käme. Die kleine Angeles aber beantwortet
die große Huldigung nur mit einem kindlich-
frohen Lächeln und setzt dann, ganz weich
und langsam, zart, als wenn kleine Flügel
schlügen, die Kastagnetten in Bewegung.
Es ist, was wenn ein Vogel seine ersten
Flügel und ein kleines Mädchen seine erste
Liebe wage, ängstlich, scheu und doch voller
Trotz. Im Saal wird es ganz still. Die schä-
bige Bühne wird ein einsamer, blumen-
bunter Patio, in dem eine verliebte Mucha-
chuela vor lauter Freude am Leben zu tan-
zen beginnt, allein und ungesehen. Die ent-
zückten Blicke der Gäste sind nicht mehr da,
denn Angeles schließt die Augen, und dann
hört man, wie mit verhaltener Leidenschaft-
lichkeit der hölzerne Boden getreten wird
und sieht, wie sich langsam der junge Körper
dreht. Vom Rücken des Mädchens, das ganz
allmählich und in winzigen- harten und
rhythmischen Schrittchen nach vorn sich be-
wegt, tönen die Kastagnetten und tönen
dann plötzlich tief vorn aus den weiten Rü-
schen des Kleides, und ihr gedämpftes Klap-
pern legt sich als eine leise Erregung über
die zuschauenden Männer. Mit einmmal be-
freien sich die kleinen flatternden Hände ent-
schlossen von der Nähe des schützenden Klei«

des und steigen in mutigem Flug uud mit
immer stärker und fordernder werdendem
Schlag der hölzernen Flügel bis hinauf über
den zurückgebeugten Kopf, wo sie einen
freudetollen Wirbel der Befreiung an^chla-
aen. Schon knipsen einige männliche Firmer
den Takt mit und in sich steigernder Tollbeit
treten die kleinen Füße den dröhnenden Bo-
den und fliegt die entflammte Tänzerm in
sprübender Lebendigkeit um das kleine Rund
der Bühne.
Die Bauern, Weinbändler und (OsArer-
ber, die weitaufgerissenen Augen auf die
Bühne gerichtet, fallen in ein rbnA-misches
Klatschen. Conchita tan-t und tanzt, und
wenn dann einmal die Glut ihrer Bewegun-
gen sich legt, wenn die Kastagnetten wieder
einmal leise und zärtlich vom Rücken der
Tänzerin her klappern und die Schrittchen
wieder ganz, ganz winzig werden dann ist
es nicht mehr jene kindliche Verhaltenheit zu
Beginn des Tanzes, dann ist es ein rulnges
Verschnaufen und eine abwartende Snan-
nung. Plötzlich springt dann der hölzerne
Klang wieder auf. dröhnt der Boden härter
unter den leidenschaftlichen Tritten, immer
wieder von vorn und immer wieder neu.
Durch den immer dichter werdenden Tabaks-
qualm schimmern die Kleider der Mädchen
wie welke Blüten. Celia tritt jetzt auf. ein-
gehüllt in ihren großen, rosenbestickten Man-
ion, den sie auf hundert dekorative Arten zu
tragen weiß. Die Musik spielt einen Paso
Dohle, und Angeles kommt zu uns an den
Tisch. Qualm und Staub werden erstickend.
Draußen ist eisige, aber klare Winternacht.
Ich stolpere fast über eine Gruppe von
Frauen und Kindern, die in Tüchern aebüllt
bettelnd vor dem Eingang liegen. Drinnen
singt irgend eine andere heisere Stimme,
irgend eine andere Jota.
Franz Bernhard.
 
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