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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 2 (Februar 1932)
DOI article:
Müller, F.: Was lehrt uns die ägyptische Flachbildkunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0033

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des loten eizählen. Sie waren in den dunklen und
halbdunklen Gängen und Grabkammern keineswegs
für die Öffentlichkeit bestimmt. Es ist diesem Volk
überhaupt niemals eingefallen, Kunstwerke als solche,
eben nur ihres Kunstwertes wegen, zu schaffen und
öffentlich aufzustellen, wie es die Griechen taten.
Die ägyptische Kunst war ausgesprochen Zweckkunst.
Und nicht immer waren es Künstler von großem For-
mat, die sie schufen, sondern oft einfache Handwer-
ker, wie ja Kunst und Handwerk bei den Ägyptern
niemals getrennt gewesen ist, weshalb es auch nicht
verwundern kann, daß es unter den ägyptischen Bild-
werken manches Mittelmäßige gibt. Allerdings stand
das handwerkliche Können, die Beherrschung des Ma-
terials und der Gebrauch der Werkzeuge von Urzeiten
her auf hoher Stufe, und dies Kulturvolk hat es auch
verstanden, eine richtige schulmäßige Unterweisung
für die jüngeren Künstler und Handwerker ins Werk
zu setzen. Davon zeugen die vielen aufgefundenen
Schulstücke, Bildhauerlehrstücke, die als Vorbilder für
den Nachwuchs im Handwerk dienten, sowie die
Werkzeichnungen auf Papyrus, die unsern geometri-
schen „Rissen" erstaunlich ähnlich sehen, wenn sie es
auch im strengen Sinne nicht sind. — So sehen wir
hier schon zwei Ursachen, die das Festhalten an dem
einmal aufgestellten Typus bewirken konnten: erstens
der besondere Gebrauchszweck der Werke, der die
Verwendung alt-ehrwürdiger Vorbilder und Formen
nahelegte, und zweitens die handwerkliche Überliefe-
rung, die letzten Endes im -Volkscharakter der Ägyp-
ter wurzelte. — Daneben darf nicht vergessen werden
der Einfluß der Priesterschaft und des Königtums auf
die bildenden Künstler. Insbesondere der König hat
sicherlich einige tüchtige Künstler in seinen Dienst
genommen, weil ihm daran gelegen war, durch sie
verherrlicht, vergöttlicht, verewigt zu werden. Das ist
ein Grund mehr, in Standbildern sowohl wie in Relief-
zeichnungen für die Darstellung des Königs und der
Standespersonen ebenso wie für Göttergestalten,
denen diese in ihrem Wesen möglichst nahe stehen
wollten, einen althergebrachten, ehrwürdigen Typus
anzuwenden, der zwar nach dem im Laufe der langen
Zeit wechselnden Schönheitsideal sich etwas änderte,
im Grunde aber doch derselbe blieb. Daß daneben
für den Künstler noch genug Gelegenheit vorhanden
war, in Einzelheiten seinem persönlichen Formgefühl
nachzugehen und möglichste Naturtreue anzustreben,
zeigen alle diese Werke auf Schritt und Tritt. — Übri-
gens dürfte der Einfluß des Königtums und der Prie-
sterschaft auf die bildende Kunst an der Kunst der
Amarnazeit deutlich erkennbar sein: an ihrem Empor-
blühen ins Genrehafte und an ihrem Zurücksinken ins
Typisch-Starre.
Das sind äußere Momente, die für die Stetigkeit
der Gesamtformgebung der Ägypter in Betracht kom-
men. Es waren aber auch innere Gründe vorhanden.
Zu diesen gehört wohl in erster Linie die enge Bin-
dung des Bildes an die Schrift. Die Ägypter haben
ihre hieratische Schreibschrift oder Buchschrift, die
aus der Hieroglyphenschrift hervorgegangen war,
nicht als Denkmalschrift verwendet, sie wurde nur zum
Schreiben mit der Binse oder mit der Rohrfeder auf
Papyrus benutzt, während als Denkmalschrift die alten
Hieroglyphen bis zum Ausgang der ägyptischen Kunst
ihren ausschließlichen Gebrauch behaupteten. Auf den
Graoplatten und Denksteinen steht diese Schrift in un-
mittelbarer räumlicher und inhaltlicher Beziehung zu
den Reliefbildern, deren mitteilenden Inhalt sie ver-
vollständigt und mit denen sie in den Formen oftmals
vollkommen übereinstimmt. Denn diese aus ganz alten
Zeiten stammenden Schriftzeichen sind zum Teil noch
richtige Bilder, die Menschen, Tiere und alle möglichen
Gegenstände der täglichen Umgebung naturalistisch
oder symbolmäßig darstellen. Einige sind so „natur-
getreu", daß man mit ihnen, statt mit wirklichen Bil-

dern, fast ein Buch übei Ägypten illustrieren konnte,
was zum Teil auch geschieht. In den Inschriften finden
wir sie mit solcher Virtuosität eingemeißell, daß sie
sich fast immer gleich bleiben und auch bei noch so
vielfacher Wiederholung von ihren naturalistischen
Gepräge nichts einbüßen. Der Künstler muß also diese
Formen so vollkommen „in den Fingern" gehabt haben,
wie wir die Formen unserer Normal-Schreibschrift. Diese
nachtwandlerische Sicherheit in der Darstellung dei
bildhaften Schriftzeichen kann nicht ohne Einfluß auf
die Gestaltung der'wirklichen Bilder geblieben sein,
und da die Schriftzeichen die ursprünglichen und fest-
stehenden Formen waren, mußten die Bilder sich ihnen
angleichen. Mit der gleichen Sicherheit wie die
Schriftbilder, wurden auch die in der ägyptischen
Kunst zahlreich vorkommenden Symbole wiedergege-
ben. Der Künstler mag diesen ihm vertrauten Formen-
schatz wohl an der Natur nachgeprüft haben, er konnte
aber durch das Naturstudium nicht bewogen werden,
den gleichschwingenden Rhythmus "von Schrift und
Bild zu zerreißen, zumal beide auf den Bildtafeln im-
mer miteinander verflochten waren. Es war vielmehr
ein triftiger Grund vorhanden, diesen inneren Rhyth-
mus zu bewahren. Das war das rhythmische Form-
gefühl der Ägypter.
Die ganze ägyptische Reliefbildnerei wird von einem
schönen Rhythmus beherrscht. Das merkt man erst rich-
tig beim Abzeichnen, während man beim Beschauen
darüber hinwegsieht und ihn nur unbewußt wohltuend
empfindet. Darum fällt uns auch das Fremdartige der
ägyptischen Formen zuweilen gar nicht auf. Wenn in


Kleines Relief auf Kalkstein. Bildhauerlehrslück. Spülzeil
der Reliefdarstellung eines Widders, einem Bildhauer-
lehrstück, außer dem uns sichtbaren, um das Ohr her-
umgehenden Horn noch zwei, nach vorn und hinten
gehende, gedrehte (Ziegen-)Hörner angebracht sind,
so hat mancher, sonst im Museum wohl Bewanderte
das vielleicht noch gar nicht gesehen. Der ägyptische
Künstler aber hat — abgesehen von vielleicht religiö-
sen Gründen — wohl gefühlt: da gehört etwas Derar-
tiges hin. Wenn in der Gruppe des Osiris mit der



Osiris, Beherrscher des Totenreiches, beschütjt von der Göttin des
Westens. Aus dem Grab. Cha-em-Hets. Theben. Um 1400 v.Chr.

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