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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 2 (Februar 1932)
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Sprechsaal / Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0045

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So bezeichnet ein Dr. W. Lieben-Berlin die wöchent-
liche Sonderstunde des Kunstunterrichts aut der Ober-
stufe als wertlose K I e i n s t d o s i e r u n g.1
Er meint, daß man diesen kleinstdosierten Kunstun-
terricht als Fach vom Lehrplan abbauen soll. Die Kunst-
erziehung kann als Unterrichtsprinzip von allen Lehrern
verschiedener Fächer übernommen werden, welche
beides — künstlerische Begabung und wissenschaft-
liche Durchbildung besitzen.
So unzeitgemäß und abwegig diese Vorschläge
sind, man muß Herrn Dr. Lieben recht geben: Die
Kunst wird an der höheren Schule tatsächlich in klein-
ster Dosis verabreicht.
Ob sie aber auch wertlos ist?
Wir stimmen hier lieber der sächsischen Denkschrift
zu, welche auf Seite 131 höchst aufrichtig erklärt: Zu-
gegeben, eine Wochenstunde ist wenig.
Aber eine Stunde ist besser als keine.
Diese Zustimmung ist kein Verzicht auf weitere An-
sprüche. Wohl aber der Entschluß, trotz geringster
Arbeitszeit den Wert des Kunstunterrichts auf der
Oberstufe durch die Praxis möglichst zu beweisen.
Eine Korrektur der Stundenzahlen des Kunstunter-
richts durch künftige Reformen, wie wir sie wünschen,
ist nur bei folgerichtiger, ungestörter Weiterentwick-
lung der höheren Schule und der Organisation ihrer
Bildungsgänge zu erwarten.
Die Entwicklungsrichtung wird bisher durch die
Grundsätze der Begabtenförderung we-
sentlich bestimmt. Auch die Stundentafeln von 1928
haben sie berücksichtigt.
Man untersucht die Begabungsunterschiede der
Schülermassen, schafft Begabungsgruppen und unter-
richtet sie getrennt nach gesonderten Unterrichts-
plänen.
So scheidet man augenblicklich nach stofflichen
Begabungs unterschieden auf der Oberstufe
die „sprachlich historischen" von den „mathematisch
naturwissenschaftlichen" Abteilungen. In jeder Ab-
teilung wird für die Gruppe der Begabungs-
fächer eine bevorzugte Stundenzahl auf Kosten der
Randfächer aufgewendet.
Neben dem stofflichen erörtert man neuerdings den
geistigen Begabungsunterschied per-
sönlicher Selbständigkeit,' des Arbeitstempos, der
Leistungshöhe. Deshalb soll neben dem „gebundenen"
Klassenzug mit festem Stoffplan und methodisch ge-
regelter Unterrichtsform ein „freier" Klassenzug mit
Stoff und Studienfreiheit des gereiften Schülers, also
* Nr. 13,14 des Deutschen Philologenblaltes vom 1. April 1931: Gym-
nasium und Kunsterziehung von Dr. W.Lieben --Seite 198 —Wenn dem-
nach die ktinsllerische Erziehung... der Schüler auf der Oberstufe sich
am wirksamsten immanent vollzieht, kann sie in der Tat ohne Bedenken
der wöchentlidien Darbietung in einer Sonderslunde, also in werlloser
Meinstdosierung, entraten und die charakteristischen Fächer
kämen stärker zu ihrem Recht.
Der Aufsatj ist eine Antwort aut die Ausführungen in „Kunsterziehung"
von Studienassessor K. Bliscli — in Nr.9 des D. Phil. Bl. vom 4. März 193t.

ZUM NACHDENKEN
Vom Zeichnen.
Das Zeichnen entwickelt und nötigt zur Aufmerksam-
keit und das ist ja doch das Höchste aller Fertigkei-
ten und Tugenden,
Meine eigenen Versuche im Zeichnen haben mir
doch den großen Vorteil gebracht, die Naturgegen-,
stände schärfer aufzufassen; ich kann mir die verschie-
densten Formen jeden Augenblick mit Bestimmtheit
zurückrufen.
Wir sprechen überhaupt viel zu viel. Wir sollten
weniger sprechen und mehr zeichnen. Ich meinerseits
möchte mir das Reden ganz abgewöhnen und wie
die bildende Natur in lauter Zeichnungen sprechen.

mit gelüstet Aibeilsloim und beratendei Stellung des
führenden Lehrers errichtet werden,'
Bisher trennte man die Abteilungen nur nach w i s-
senschaftlichen Begabungsunterschieden. Die
künstlerischen Begabungsunlerschiede stoff-
licher oder charakterologischer Richtung berücksich-
tigt man noch nicht, Sie sind aber auffällig vorhanden
und erschweren die Unterrichtspraxis. Es wurde be-
tont, daß die Stundentafeln von 1928 infolgedessen
sogar eine Bildungsnot entschieden begabter Zeich-
ner geschaffen haben.
Diese Bildungsnot wäre gemildert, wenn z. B. aui
der Oberstufe neben dem jetzigen gebundenen
Klassenzug mit einer Wochenstunde der wahlfreie
Klassenzug mit zwei Wochenstunden wieder geneh-
migt würde. Hoffentlich vollenden künftige Schulrefor-
men das begonnene Werk.
Man sage nicht, hier seien engere Interessen und
Nöte des gymnasialen Kunstunterrichts in Sachsen er-
örtert worden.
Man halte es auch nicht für unmöglich, daß eine
Gegenbewegung der letzten Reform den Kunstunter-
richt der Oberstufe wieder beseitigen könne,
Wahrscheinlich ist das Beispiel der Stundentafel des
Reformrealgymnasiums mit unwesentlicher Abwei-
chung für die Gesamtiage des deutschen Kunstunter-
richts an höheren Schulen typisch,
Die Entwicklung der Kunsterziehung wird nicht nur
dadurch gefördert, daß man ihre theoretischen Grund-
lagen prüft und abwandelt oder die Stoffpläne hie-
reichert.
Es ist nicht minder wichtig, ihre äußeren Hem-
mungen zu beseitigen.
Deshalb gehört die dem Kunstunterricht zui Ver-
fügung stehende Unterrichtszeit ins Scheinwerferlicht
der Kritik.
Ist doch jedes Klingelzeichen ein Schlagbaum auf
dem zu kurzen Bildungsweg einer Unterrichtsstunde
von 45 Minuten.
1 9 2 8!
Der große Straßenbau ruht.
Viele Kurzstrecken durchwandern wir künftig.
Viele Schlagbäume halten uns auf.
Einmal, wenn wir genau 540 Stunden oder 3 Monate
15 Tage 2 Stunden gewandert sind, stehen wir mit dei
Jugend vor dem letzten Hindernis.
Die Straße hört auf.
Vor uns Ödland.
In der Ferne das Ziel: die Reiche der Kunst.
Wir stehen
am Schiagbaum der Zeitl
'Siehe Monatsschrift „Die Erziehung", Hell to ll, Juli, August 1930:
Begabungsunterschiede und Gabelung in der höheren Schule von Pr,
Dr. Th. Litt.
D.Phii.BI,, Nr.12 vom 25. März 1931: Theodor Lifts Vorschläge zur
Schüler- und Lehrerauslese von Fr. Lucas.
Litt stellt neben den stofflich „qualitativen“ den „graduellen" Bega-
bungsuntersdiied des Charakters.

Jener Feigenbaum, diese kleine Schlange, der Kokon,
der dort vor dem Fenster liegt und seine Zukunft ruhig
erwartet, alles das inhaltsschwere Signaturen; ja, wer
nur ihre Bedeutung recht entziffern vermöchte, der
würde alles Geschriebene und Gesprochene bald zu
entbehren imstande seinl Je mehr ich darüber nach-
denke, es ist etwas so Unnützes, so Müßiges, ich
möchte fast sagen Geckenhaftes im Reden, daß man
vor dem stillen Ernste der Natur und ihrem Schweigen
erschrickt, sobald man sich ihr vor einer einsamen
Felsenwand oder in der Einöde eines alten Berges
gesammelt entgegenstellt.
„Die Seele musiziert, indem sie zeichnet, ein Stück
von ihrem innersten Wesen heraus, und eigentlich sind

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