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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 3 (März 1932)
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Zum Abbau des Zeichen- und Kunstunterrichts, [2]: Ausstellung der Arbeiten der Studierenden der Staatlichen Kunstschule in Berlin (3. - 24. Febr. 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0062

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ci auch hui cid und doil gefühlt, geahnt, woiuui es
ging, ist er geistig gesegnet für Lebzeiten.
Und dennoch ist die Fähigkeit anschaulichen Aus-
drucks in der Zeichnung, von wirklich künstlerischem
Vermögen bis zu bloßer Mitteilung, nicht ebenso
wichtig und wesentlich als die sprachlich-literarische
Erziehung des Humanismus?! Das innere Wesen des
antiken Schrifttums und aller damit zusammenhängen-
den Bildung erschließt sich heute immer wenigeren
und diese sind gewiß zu Hütern des heiligen Feuers
bestimmt. Für alle anderen aber, die das Gymna-
sium und Realgymnasium nur wegen des Abschluß-
examens willen durchgemacht haben, muß doch die
Frage gelten: was wäre ihnen später lebenswichtiger
und brauchbarer, das Vermögen der Zeichnung oder
die Kenntnisse der unregelmäßigen Verba oder das
auswendig herunterschnurren des „Maecenas atavis".
Und um nun doch noch ein Wort von den tieferen
künstlerischen Erfolgen der Zeichenpädagogik zuzu-
lassen: was ist heute lebenswichtiger: die mehr oder
minder grammatische Aufgeschlossenheit . für einen
Chor des Sophokles oder das einfühlende Verstehen
eines Werkes bildender Kunst, Verstehen, wie es
eben nur durch zeichnerische Erziehung und Schulung
des Sehens gewonnen werden kann?
V.
Schon immer hörte man gerüchtweise, daß der Zei-
chenunterricht und der Zeichenlehrer, wie er sich in
den letzten 30 Jahren in den deutschen Ländern mit
mehr oder minder Erfolg im Lehrplan durchgesetzt
hat, von seiten der sog. „Fl a u p t f ä c h e r" und ihrer
Vertreter mit Abwehr und Mißgunst behandelt wür-
den. Spannungen waren da, die von der Ebene einer
grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen dem
alten und dem neuen Lehrfach bis in Differenzen mehr
standesmäßiger Natur hinabgeführt haben sollen,
Hochmut auf der einen Seite, Minderwertigkeitsgefühl
und Trotz auf der anderen, Bekennerwille und Auf-
opferung hier, Verständnislosigkeit und Kälte dort
auslösend.
Schon diese unfreundliche Aufnahme eines mit in-
nerstem Lebensrecht zur Geltung gebrachten moder-
nen Lehrfachs stellte geradezu eine Abnormität, eine
lür jeden Einsichtigen fast groteske Umbiegung des-
sen dar, was selbstverständlich und naturgemäß ist
und was nur infolge tiefer geschichtlicher Irrtümer und
Verkümmerungen so lange in den Hintergrund ge-
drängt war. Der Zeichenunterricht ebenso wie die
Kunstgeschichte ein Opfer des überzüchtet einseitigen
Humanismus im europäischen Erziehungswesen! — in
den Hintergrund gedrängt selbst dort, wo in den
Realschulen die Aufgaben rein praktischer Ausbildung
geradezu nach dem Zeichenlehrer schreien!
VI.
Hat man nichts vergessen und nichts hinzugelernt?
Iiotz aller Widerstände hatte sich der Zeichenunter-
richt auf deutschen Schulen durchgesetzt; er hatte vor
allem auch mehr und mehr die Oberklasse er-
obert, wo der Zeichenunterricht zu bewahren und fort-
zubilden hat, was sonst fürs Leben leicht wieder ver-
loren geht. Die Abbau- und Sparmaßnahmen, wie sie
durch Ministererlaß seit September an den preußi-
schen höheren Schulen durchgeführt worden sind,
biogen die Entwicklung des Erziehungswesens schlech-
terdings wieder auf jene Anfänge zurück, die man
mit der Jahrhundertwende endgültig zu überwinden
begonnen halte. Sie geben in vollem Maße jener
Reaktion der „Philologen" recht, die das Zeichnen
lür eine Art von „Firlefanz und Krimskrams", für eine
Luxusbeigabe des Unterrichts erklärte — ganz ähnlich
■vie das noch schlimmer der Gesangsunterricht hat
erfahren müssen.
Abbau und Sparenl Wer möchte hier noch prote-
stieren — ganz abgesehen davon, daß jeder Protest

veigebens waie. Abei warum sparen im schlechthin
reaktionären Sinn? An den preußischen Gymnasien
verlieren mit den Abbaumaßnahmen die 9 wissen-
schaftlichen Fächer 5,5 Prozent, der eine Zeichenunter-
richt dagegen fast 15 Prozent ihrer Wochenstunden,
bei den Realgymnasien stellte sich dieses Verhältnis
auf 4,3 Prozent zu sage und schreibe 28 Prozent und
bei den Reformgymnasien ist das Verhältnis noch
trostloser; das Zeichnen verliert hier allein in der
Woche 6 Stunden, während alle 9 wissenschaftlichen Fä-
cher zusammen nur 9 Stunden einbüßen müssen. Ganz
ähnlich ist es bei den anderen höheren preußischen
Lehranstalten, wie uns eine jüngst erschienene Stati-
stik in „Kunst und Jugend" Oktober 1931 beweist.
Sparen gewiß! aber weshalb in diesem Verhältnis?
Sparen ist heute Vernunft und Wohltat. Spart man je-
doch so einseitig wie hier, so können wir nur aus-
rufen: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat' Plage!"
Die Arbeit von Generationen, der Gewinn von Al-
fred Lichtwark bis Leo Weismantel, mit einem Feder-
strich vernichtet.
Dr. G. F. H a r 11 a u b
(„Neue Badische Landeszeilung," Morgenausgabe Nr. 351).
In der norddeutschen Zeitung der „Anzeiger" (Diens-
tag, 26. Januar 1932) war folgendes zu lesen:
Bilanz des modernen Zeichenunterrichts
Ausstellung des Berliner Kunstgewerbemuseums
Diese Ausstellung soll ein Protest gegen den Abbau
des Kunstunterrichts an den höheren Schulen und
Lehrakademien sein. Ein Protest nicht mit erregten
Versammlungen oder flammenden Aufrufen, sondern
auf eine stille, dafür aber entschieden wirksamere
Weise. Die Zeichenlehrer, die in den letzten fünf
Jahren an der Berliner Akademie ihr Examen ablegten,
geben der Öffentlichkeit zum erstenmal eine Bilanz
ihrer Unterrichtsarbeit, gewissermaßen den Status ei-
nes kulturellen Unternehmens, das der Staat liquidie-
ren will, und dessen geistige Aktiva nun seine Exi-
stenzberechtigung und seine Existenznotwendigkeit
darlegen sollen.
Die Abbaumaßnahme des Staates geht von der
Ansicht aus, daß der Zeichenunterricht von allen
Schulfächern der überflüssigste sei. Man würde diese
Ansicht durchaus verstehen, solange sie sich auf jene
veraltete Art des Unterrichts bezieht, die in unseren
Schulerinnerungen als die Stunden ‘einer gähnenden
Langeweile geblieben sind, die Stunden, da man mit
Schemel und Zeichenblock bewaffnet vor irgend-
einem baufälligen Haus saß und sich um die ängstlich
naturalistische Wiedergabe der einzelnen Backsteine
und Dachschiefer quälen mußte. Inzwischen ist eine
neue Generation von Zeichenlehrern herangewachsen,
vertraut mit dem Geiste der jungen Kunst, mit den
schöpferischen Möglichkeiten im Kinde. Ihre neue Me-
thode hat nichts mit dem Zeichenunterricht von einst
zu tun. Sie ist einfach. Sie geht nicht von den Erfah-
rungen des Erwachsenen aus, sondern von den Emp-
findungen und natürlichen Fähigkeiten des Kindes.
Das Kind bleibt unbelastet mit dem Wissen um das
Körperliche, das Naturalistische der Formenwelt, Und
da ihm die Unmittelbarkeit des farbigen Erlebnisses
nicht aberzogen wird, so ist es imstande, frei und un-
gehindert Bilder zu majen, die offene Bekenntnisse
seiner Empfindungen und Erlebnisse sind ...
Welche ungeahnten Möglichkeiten einer neuen Ver-
bindung zwischen Volk und Kunst ergeben sich, wenn
eine kommende Generation unter der Führung solcher
Zeichenlehrer groß werden würde, wie müssen diese
jungen Menschen Kunst erleben, mit welchem Impuls
müssen sie an die Auseinandersetzung mit der jungen
Malerei gehen, wenn sie so im Geiste der jungen
Kunst erzogen werden!

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