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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 6 (Juni 1932)
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Kolb, Gustav: Nochmals im Kampf um unsere Sache
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0111

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Damit isl nichts andeies gemeint als die Bildanschau
ung, die die Renaissance;, zurückgreilend auf die An
tike, geschaffen hat. Die „erwachsene Schicht mit
höherer und höchster Schulbildung'' isl heute noch
gewohnt, durch dieses „dekorative Schema" hindurch
die Werke der bildenden Kunst, überhaupt Darstel-
lungen nach der Natur zu sehen und zu beurteilen.
Diese Seh- und Vorstellungsform bildet, ohne daß man
sich dessen bewußt wird, die Norm für das, was man
unter „Naturrichtigkeit" versteht, obwohl sie für den
künstlerisch Schaffenden schon lange keine Verbind-
lichkeit mehr besitzt, denn dem neuzeitlichen künst-
lerischen Ringen um eine „neue Form" wohnt min-
destens seit Cezanne der Sinn Inne, sich von ihrer
Herrschaft zu befreien. Dieses „dekorative Schema"
ist nun aber auch die Norm, mit der für gewöhnlich
der „Gebildete" die bildnerischen Leistungen der Kin-
der beurteilt und wertet. Was sich ihm nicht einfügt,
ist „unrichtig", „fehlerhaft” . . . Das Kind muß aber
das Recht haben, die sichtbare Wirklichkeit mit seinen
eigenen Augen naiv, vorurteilslos zu sehen, also nicht
durch irgendwelche Brille der Erwachsenen. Es soll
ihm möglich sein, auf dieser Grundlage seine eigene
innere Wirklichkeit, sein geistiges Sein, sein Welt-
bild, also auch seine Bildanschauung selbsttätig und
selbständig zu gestalten . . .
Nun wird man es auch verstehen, daß sich unsere
Unterrichtswege von denen Wulffs trennen müssen.
Hier kann es keine Verständigung auf einer mittleren
Linie geben . . ."
+ + +
Zu Tesars Darlegungen konnte ich im ganzen mein
Einverständnis aussprechen. Tatsächlich habe ich sel-
ten bei einem Nichtfachmann ein so tiefes Verständnis
für das Wesen unserer Erziehungsbestrebungen wahr-
nehmen dürfen. Er hat — dieses Erlebnis spricht über-
all aus seinen Worten — das Entstehen der bildne-
rischen Schülerleistung schon an der Quelle belauscht
und so, wie er bekennt, den „einzigartigen ünd uner-
setzlichen Wert" des bildhaften Gestaltens erfahren.
Das ist angesichts der von ihm gekennzeichneten
„Verständnislosigkeit der wissenschaftlichen Lehrer,
der Schulvorstände und Schulbehörden" für unsere
Erziehungsaufgabe und Erziehungsleistung ein seltenes
Ereignis.
Er spricht mir namentlich aus dem Herzen, wenn er
vor Anlernling bloßer Geschicklichkeit und vor der
ornamentalen Gefahr warnt, oder wenn er bestreitet,
daß die Fähigkeit zum Gestalten mit der Pubertät auf-
hören müsse und in diesem Zusammenhang auf die
„geradezu zersetzende Übertreibung des Verstandes-
mäßigen in Schule und Familie" hinwoisl oder wenn
er hellseherisch erkennt, daß jede echte Gestaltung
irgendwie mit dem Dämonischen im Menschen
verbunden ist.
Nur an zwei Stellen verstand ich ihn nicht. Einmal,
wenn er fragt, ob der zeichnerische und ähnliche Un-
terricht überhaupt aufrecht zu erhalten sei, wo die
geeigneten Lehrer fehlen. Ich antwortete ihm mit der
Gegenfrage, ob dieser Einwand nicht dieselbe Berech-
tigung habe zum mindesten für alle andern Kunst-
fächer, wozu ich auch den deutschen Aufsatz zähle,
der ja mit seinen Mitteln ebenfalls das Darstellen und
das Gestalten zu pflegen hat? Oder gibt hier die Er-
zieherpersönlichkeit nicht auch den Ausschlag für den
Erzienungserfolg?
Noch unverständlicher war mir aber seine Anmer-
kung: „Ich fürchte, daß noch immer bei vielen so etwas
wie die Vorstellung herumspukt, Zeichnen, Malen usw.
gehören eben zur Bildung, womöglich zur allgemeinen
Bildung." Ich fragte bei ihm brieflich an, was er unter
den Begriffen „Bildung", „allgemeine Bildung" ver-
stehe,-worauf er mir (allerdings ziemlich später — er
war inzwischen auf Reisen) schrieb, er meine damit
die heute übliche Form der Schulbildung, die olles

Ursprüngliche im jungen Menschen yoil.uiiimoin lasse.
Leider konnte diese Auskunlt, die das Mißverständnis
zwischen uns beseitigte, nicht mehi in meinem damals
schon gesetzten Aufsatz aufgenommen werden. Viel-
leicht nimmt nun Herr Oberstudiendirektor Tesar in
der „Erziehung" selbst nochmals das Wort in dieser
Sache; denn er wird sich wohl überzeugt haben, daß
seine Äußerung, so wie sie gefaßt war, auch bei an-
deren Lesern Bedenken hervorrufen mußte und unserer
Sache schaden konnte.
+ + *
In Heft 4 1932, der „Zeitschrift für gestaltende Ai-
beit" „Die Form" kamen zwei Aufsätze, die uns
ganz nahe berühren. Der für den Inhalt verantwort-
liche Schriftleiter Dr. Wühelm Lotz schreibt über
„Die Aufgaben des G e s' t a 11 u n g s Unter-
richts". Seinen Ausführungen entnehmen wir aus-
zugsweise Nachstehendes.
In der letzten Zeit isl in der Schule die einseitige
Erziehung und Ausbildung der intellektuellen Fähig-
keiten zugunsten eines breiteren Erziehunsideals ge-
wichen . . . Zeichnen und Gestalten sind Hilfsmittel
oder Bestandteile der Methode der Erziehung zum
Menschen. Der Mensch als arbeitendes, dienendes und
förderndes Mitglied der Gesellschaft muß immer be-
stehen bleiben. Ein gutgeleiteter Gestaltungsunterricht
müßte es sich ange'eqen sein lassen, körperliche,
manuelle, sagen v/ir ruhig handwerkliche Fähigkeiten
mehr zu betonen, die zugleich das Gefühl füi Material-
werte und Sinn für solide Arbeit schärfen. Eine syste-
matische Erziehung der Empfindungsfähigkeiten isl
notwendig. Hier liegt die eigentliche Aufgabe des
Gestaltungsunterrichts.
Die Ergebnisse des Gestaltungsunterrichls bilden
auch ein ausgezeichnetes Material, um sich ein Bild
über Wesen und Anlage des einzelnen Menschen zu
machen. Gerade in Zeichnungen von Schulkindern
offenbaren sich manchmal geheimste seelische Re-
gungen.
Die Freude des Erziehers an der Erziehungsarbeit
kann sehr häufig eine nicht ungefährliche Form an-
nehmen. Namentlich ist ein mit künstlerisch schöpfe-
rischem Ehrgeiz begabter Lehrer in Gefahr. Es ist sicher
nicht ungefährlich, wenn der Zeichenlehrer mehr Künst-
ler als Pädagoge ist. Er nimmt deshalb auch oft unter
den anderen Lehrern eine Art Sonderstellung ein. Sie
nehmen seine Arbeit als Spielerei hin und sehen den
pädagogischen Wert nicht. Die Verbindung des Zei-
chenunterrichts mit anderen Fächern isl gut, aber es
entsteht leicht die Gefahr, daß er als Anhängsel für
allerlei andere Fächer aufgefaßt wird. Nicht nur der
Zeichenlehrer muß sich den anderen Fächern nähern
und die Verbindung aufnehmen, sondern was noch
wichtiger ist —, in den andern Fächern muß man sich
nach dem Sinn und Wesen des Geslallungsunterrichts
orientieren und nach dorthin Fühlung nehmen.
Die Gestaltung ist aber nicht das Ziel, sondern das
Mittel. Wir dürfen nicht vergessen, daß hier die Grund-
lagen zu großen Werten der menschlichen Gesellschaft
liegen, die wir als Arbeitsfreude, als Betätigungstrieb,
als freudiges Ausleben bezeichnen.
Zum Schülersein gehört heute, und das ist eine
große Errungenschaft der modernen Pädagogik, nicht
nur das ständige Aufnehmen, das Lernen mit bestimm-
ter Zielsetzung, sondern ebenso wichtig ist das Pro-
duzieren. Von hier aus spinnen sich die Fäden zur
Selbstgestaltung. Die Gestaltung des Lebens als eine
aktive, nicht etwa passive Funktion beginnt schon in
der Schulzeit.
Der Mensch von morgen soll erzogen werden als
ein gestaltender Mensch, als einer, der sein Leben
formt und der sich entfalten will Ei liit! als Foidem
der auf und als formender, nicht als zu Formender
allein. In der Gruppierung der Ideen, die den Werk-
bund interessieren, tritt der Mensch heute stärker auf,

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