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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 6 (Juni 1932)
DOI Artikel:
Kellermann, Elisabeth: Wiegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0114

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wissenschaftlichen Pädagogik über die besten Wege
sinnvoller Erziehung nachgedacht wird. Weismantel
schreibt dazu im Septemberheft des „Werdenden Zeit-
alters": „Wer wollte es wagen, nicht zu predigen,
daß für die Jugend gerade „das Beste gut genug"
seil Aber der Ruf „für die Jugend das Beste" und der
reinste Wille, wirklich das Beste zu geben, gewäh-
ren von dem Augenblick an keinerlei Gewißheit,
daß die Jugend das Beste erhält, in dem der Erzieher
selbst infolge eigener ermangelnder Erkenntniskraft
einen Talmiwert für einen echten Goldwert hält und
aus dieser Verkennung der Werte heraus die Jugend
in die Tiefe führt, statt in die Höhe leitet." Die Schule
als lebender Organismus, geschaffen zur Entfaltung
lebendiger Menschen, ist todkrank, weil sie nicht mehr
oder noch nicht den Menschen ansieht, sondern das
Fach. Nicht „Bildung" im Sinne eines wohlgebildeten
Ganzen ist dann das Ergebnis, sondern formlose An-
häufung von Bildungsballast, den der jugendliche
Mensch erfahrungsgemäß recht bald wieder abwirft.
Schule und Erziehung teilen die Krise unseres gesam-
ten geistigen Lebens. Ihr ist nicht mit Reformpiänen
abzuhelfen. Wir müssen ausbrennen, was anders nicht
zu überwinden ist. Wir tragen die Verantwortung vor
der Zukunft. Rettung kann uns schließlich nur werden
aus wiedergewonnenem Glauben. Denn die Schul-
und Bildungskrise ist nichts als die Not des Men-
schen, der den Sinn seines Lebens verlor und damit
die Kraft, aqs diesem Sinn heraus sein Werk zu gestal-
ten. So haben wir keine Ordnung, weil wir das Gesetz
mißachteten, aus dem heraus uns Gestaltung, also
Kultur, hätte gelingen können.
Herr Betzier sprach alsdann von den Fragestellungen
des Zeichenunterrichtes und der Kunsterziehung. Der
Zeichenunterricht der Vorkriegszeit entsprach der Lern-
schule. Man- lernte die Technik des Abbildens. Nach
dem Krieg brach ein Neues auf. Endlich brachte man
fertig, zu tun, was schon Pestalozzi theoretisch gefor-
dert hatte: man ließ das Kind ein Kind sein. Ein Stück
kindlich-vorbewußten Lebens ging uns da auf in seiner
Sicherheit und seinem Glauben. Doch mit dem bloßen
Gewährenlassen ging es eines Tages nicht weiter. So
sehr es zunächst Befreiung gebracht hatte, blieb die
Arbeit des Kindes dann doch im Ausdruck stecken.
Bis wir endlich, nicht zum wenigsten dank der Theorie
Britsch zu der Einsicht fanden, daß nicht nur das kind-
liche Fühlen nach Ausdruck strebt, sondern daß dar-
über hinaus der kindliche Geist fähig ist, sich in bild-
nerisch werthaltigen Formen von ganz bestimmter
Prägung zu äußern, sofern er sich selbst in Zucht hält
und frei ist von aller Nachahmungssucht. Britsch war
es, der das Gesetz dieser Formen und ihres Wachstums
aufzeigte. So beginnt echte bildnerische Gestaltung
erst, wo reines einheitlich-anschauliches Vorstellen
und Denken in Tätigkeit treten und aus sich heraus
wirkliche Formwerte schaffen. Diese wahrhaft schöp-
lerischen Kräfte in die Lehre zu nehmen ist die Auf-
gabe des Kunsterziehers. Und mit ihm müssen alle
Lehrer den Mut haben zur reinen, ehrlichen Leistung
und müssen aufhören, sich selbst und die Schüler mit
dem Talmiglanz der Verfrühungen zu blenden. Nur was
sich eines als seine wirklich eigene Wertleistung formt,
formt ihn selbst auch, macht ihn fähig, Mitformer zu
sein an der Kultur. Wertschaffen ist einer der ent-
scheidenden Punkte für die Forderung reinen jugend-
lichen Wachsens. Nach Lagarde beruht alle Bildung
auf der Fähigkeit, Wert undUnwert unterscheiden und
den Wert ernst nehmen zu können. Was aber brau-
chen wir dringender für Erziehung und Schule in einer
Zeit, der alles relativ geworden istl Die Frage der

Kunsterziehung wie aller Erziehung ist immer die Frage
nach dem Erzieher selbst. Erziehung ist nicht denkbar
ohne das Zentrum der absoluten Wertgehalte. Um die
haben wir unablässig zu kämpfen, damit sie nicht auch
von Relativismus verschlungen werden.
Jede Erziehung muß sich schließlich an das Schöp-
ferische im jungen Menschen wenden. Freilich, allzu-
leicht ist man heute geneigt, das „Schöpferische" als
für das Maß des Kindes zu hochgreifend abzulehnen,
oder aber es bereits in jedem tätigen Verhalten des
Kindes zu wittern. Es gehört auch zur Tragik unserer
Zeit, daß fast jede große Einsicht alsbald zur Phrase
entstellt wird. So ist es auch mit den Worten vom
„Schöpferischen Kind" und der Erziehung „vom Kind
aus" gegangen. Wir müssen uns klar sein, daß auch
,das Zeichnen des Kindes in den meisten Fällen nicht
schöpferisch ist in dem allein stichhaltigen Sinn eines
eigentriebig — nachahmungsfreien Erkennens und Be-
urteilens. Das Schöpferische liegt oft unter viel Schult
verborgen, und es ist schwer, es zu erlösen. Aber um
seine Erlösung muß es aller Erziehung zu tun sein und
von da aus sollte der Erzieher seine „Stoffe" auswäh
len. Der Stoff als solcher ist wenig, wo er nur zur
Kenntnis genommen wird, statt die Kräfte der Erkennt-
nis zu lösen und zu erlösen. Wir leben heute in einem
Chaos aus Panikstimmung und Verzweiflung. Aber je
dunkler es um uns wird, desto mehr haben wir für uns
und die Schule zu kämpfen um die reine Beziehung
zum Sinnganzen des Lebens, zu seiner zentralen Idee,
die nur vom Göttlichen her gegeben sein kann. Auch
über der Schule von heute steht die bittere Frage:
Wozu das Ganze?
Anschließend an seinen Vortrag führte Herr Betzler
die Zuhörer durch eine Ausstellung seiner Schüler-
arbeiten. In eindrucksvoller Weise konnte er dartun,
daß vom Kleinkind bis zum Oberprimaner bei bewuß-
ter Führung eine lückenlose und durch Pubertät un-
gestörte Entwicklung des bildnerischen Gestaltens
möglich ist. In solchem Unterricht wird der Schüler in
feste Zucht genommen, damit er in seinem Bilddenken
und -tun rein und klar werde. Nicht einmal, sondern
oft und durch Wochen hindurch muß der Schüler sich
mit dem Erlebnisanlaß seiner Arbeit auseinanderset-
zen. Dabei wird bewußt jede Nachahmung, auch die
der äußeren Natur, ausgeschaltet. Im einzelnen waren
Rückblicke in frühere Methoden des Zeichenunter-
richts, Vergleiche von Schülerleistung einfacher Denk-
stufe mit ebensolchen Werken der großen Kunst, reiz-
volle Wechsel- und Auswirkungen verschiedenen Ma-
terials, eine deutliche Steigerung der Verfeinerung
der zeichnerischen und farbigen Äußerung, endlich
eine Anzahl höchst durchgeformter Plastiken in Gips
und Holz Zusehen. Auf Fragen der Zuhörer konnte Herr
Betzler den Gang seines Unterrichts erläutern.* Von
der Fülle und Sauberkeit der einheitlichen Leistung von
Lehrer und Schüler ging auf die Betrachter eine spür-
bare Wirkung über.
Die Ausstellung ist noch bis Mitte Mai in Mainz zu
sehen, Im Rahmen der Tätigkeit des Instituts für Völ-
kerpädagogik wird Herr Betzler noch öfter der Sache
der Kunsterziehung dienen. Es ist ihm zu danken, daß
er in sachlich scharfer, künstlerisch gefozmter und
durch sichtbare Leistung wohlbegründeter Weise in
diesen Zelten der Not des Zeichen- und Kunstunter-
richtes auf dem Plane steht.
* Am Vormittag halte Herr Beider Gelegenheit, den hessischen
Staatspräsidenten, Herrn Dr. Adelung, den Mainzer Oberbürgermeister
Herrn Dr. Erhardt und einige österreichische und hessische Ministerial-
räte durch die Ausstellung zu führen.

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