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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 7 (Juli 1932)
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Stiehler, G.: Gegenwartsfragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0123

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historisch unbeschwerten Willen zum Umbau des Schul-
und Bildungswesens eine reine Verwirklichung geben
kann, ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für
die Schule, sondern für „ganz Deutschland".
Für den Reichsverband deutscher Kunsterzieher
aber ist noch besonders aktuell die neueste Organi-
sation der NSDAP., die Arbeitsgemeinschaft
aller deutschen Kunsterzieher und bil-
denden Künstle r", die dem nationalsozialistischen
Lehrerbund angeschlossen ist; zunächst in Preußen.
In dem Aufruf zu dieser Organisation wird betont,
daß „die Kunsterziehung und das Kunstschaffen in
Preußen-Deutschland einen „Tiefstand erreicht
hat, wie nie zuvo r". „Die Kunst ist nicht um ihrer
selbst willen da, sondern sie hat dem Volk zu die-
nen." „Die Kunst ist besonders heute tiefste Sehnsucht
eines in Armseligkeit und bitterster Not dahinsiechen-
den Volkes," „dem deutschen Volke deutsche Kunst".
Das Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist:
1. Dem Kunstunterricht aller deutschen Schularten be-
wußt das alte gute deutsche Gesicht zu geben,
ohne unsere Zeit verkennen zu wollen;
2. deutsche Volkskunst wieder neu zu erwecken und
damit der Arbeitslosigkeit steuern zu helfen;
3. dem deutschen Volke wieder seine alten Meister
im Original und in besten Reproduktionen nahe-
zubringen, es seine lebenden Künstler verstehen
und beachten zu lehren, statt fremdrassige Kunst
in den Vordergrund zu rücken;
4. dem Volksgenossen wieder ein wirkliches Heim
zu schaffen, das seiner deutschen Eigenart ent-
spricht und das ihn wieder mit seiner Heimaterde
verwurzelt.
Deutsche Kunst und Religion sind die wichtigsten
Kulturgüter unseres Volkes. Kunsterzieher und Künstler
sind berufen, an dem Aufstieg der Nation an entschei-
dender Stelle mitzuarbeiten. An sie ergeht heute der
Ruf zum Zusammenschluß, zu einer Arbeitsgemein-
schaft, einer Kampforganisation, die mit eisernem
Besen alle undeutschen Kunstsudeleien hinwegfegt.—
Wer nicht mitkämpft, macht sich mitschuldig an der
weiteren Vernichtung deutschen Kunstschaffens und
an der Irreführung der Tugend."
+ • + +
Wie stehen wir zu diesem Aufruf? Zu der Organi-
sation? Im einzelnen mag der Aufruf zur sachlichen
Kritik Anlaß geben, als ganzes genommen, können wir
ihn unterschreiben! —
Auch die Organisation als Parteieinrichtung
können die Kunsterzieher und Künstler, soweit sie vom
parteipolitischen Forum aus wirken wollen,
restlos unterstützen. Welche Partei Deutschlands hat
sich bisher der Kunsterziehung und der Künstler so
offenkundig zugewendet, wie die NSDAP.? —
In diesem Punkte sind wir ganz einig mit dem Auf-
ruf. Aber im einzelnen können wir nicht mit. — Ge-
wisse Bindungen des Aufrufes erscheinen uns zu eng,
sind auch schief gefaßt.
Kunst und Kunsterziehung sind eine allgemeine An-
gelegenheit des ganzen Volkes, an die Erzieher i. w. S.
des Wortes müßte sich der Aufruf wenden. Will die
Organisation das Gewissen der Nation wachrufen,
dann ist der Raum zu eng im Rahmen der Partei. Die
Partei muß mit den bestehenden großen Organi-
sationen für Kunst und Kunsterziehung Verbindung
suchen, wenn sie breit und tief wirken will, vor allem
mit den großen Elternverbänden in den Ländern, der
Elternschaft jeder einzelnen Schule. — Ist ein „Tiefstand
in der Kunsterziehung und im Kunstschaffen wie nie
zuvor" in Freußen-Deutschland erreicht?
In dieser allgemeinen Fassung ist der Vorwurf sach-
lich falsch. Auswüchse gibt es im geistigen Leben
einer Nation wie im politischen Getriebe der Parteien.
Das Gesunde, Werbende, das Bis-her-erreichte darf

man aber nicht durch einen allgemeinen Vorwurf in-
lamieren wollen.
Die Kunsterziehung hat doch gerade im letzten Jahr-
zehnt einen Aufschwung, eine Triebkraft gezeigt, wie
in den Zeiten von 1900, die die Kunsterziehungstage
auslösten; in Süd-, Mittel- und Norddeutschland, in
Preußen-Deutschlandl Will man aber mit dem „Tief-
stand, wie nie zuvor" die zerrütteten und zermürben-
den Verhältnisse in Preußen treffen, wie sie die ver-
heerenden Abbaumaßnahmen und die nerven-
und gemützerstörenden Degradierungen preu-
ßischer Zeichenlehrer (auch in Sachsen und
anderswo) darstellen, dann besteht dieser Vorwurf
eines „Tiefstandes, wie nie zuvor" zu vollem Recht.
Und hier trifft die bisherige demokratische, sozial-
demokratische preußische Unterrichtsverwaltung die
volle Verantwortung, zumal auch andere Unterrichts-
verwaltungen der Länder (Sachsen, Thüringen, Braun-
schweig, Mecklenburg u. a. m.) sich nach Preußen ein-
gestellt haben.
Auch muß der Aufruf deutlicher werden in der For-
derung, „der Kunstunterricht aller deutschen Schulen
muß bewußt das alte, gute, deutsche Gesicht" tragen.
Ein Dürer-, ein Rembrandtgesicht; also . s c h ö p f e-
rische, individuelle Eigenart mit Natur-
verbundenheit und Kraft des inneren
Schauen s. Das wäre ein deutsches Gesicht, ein
Gesicht der Kunst überhaupt zu allen Zeiten,
bei allen Völkern, die Unkunst von Kunst unter-
scheiden können.
Eine „deutsche Volkskunst" soll neu erv/eckl wer-
den, um der Arbeitslosigkeit zu steuern". Volkskunst
kann nur wachsen von innen her, wenn die allgemei-
nen Lebensbedingungen dazu vorliegen. Meinl man
damit die Pflege des Selbstausdruckes, der pfleg-
lichen Behandlung des kindlichen und jugend-
lichen Ausdruckes, dann ist das Ziel psycholo-
gisch richtig gesehen, aber alte Volkskunst kann man
nicht in unserer Zeit beleben, dann wird Künst-
liches hochgetrieben. Wir halten ferner den Gegen-
satz von „deutscher Kunst und fremdrassiger Kunst"
für schief; Kunst ist Kunst, Unkunst ist Unkunst, hüben
wie drübenl Aber der Aufruf will sagen, die Pflege
guter Kunst, in Deutschland gewachsen, muß uns zu-
nächst näher liegen als die in den letzten Jahren, vor
allem in Dichtkunst und im Theater, zu Unrecht b e-
vorzugte ausländische Kunst. Was aus Paris
kommt, ist dem sensationshungrigen, flachen Groß-
städter „amüsanter", als gediegene deutsche Kunst.
Hier trifft der Aufruf ins Schwarze, wenn er das gei-
ßeln wollte!
In Punkt 4 berührt der Aufruf die soziale Mission
der Kunst, wie sie in den achtziger Jahren Ruskin,
Morris, Rembrandt als Erzieher und nicht zuletzt Licht-
wark, Avenarius, der Dürerbund, der Werkbund in
breiter und tiefer Form erstrebt haben. Es gilt hier be-
wußt weiter zu bauen und historisch wertvolle Bestre-
bungen von neuem zu beleben. Das erfordert keinen
Bruch mit altem Kulturstreben, sondern ein bewußtes
Weiterbauen im Rahmen nationaler und sozialer Ge-
meinschaft. —
Mit Spannung kann man das angekündigte Pro-
gramm erwarten, das sich hoffentlich fernhält von all-
gemeinen, vieldeutigen Forderungen und einseitigen, z.
T. schiefen Formulierungen; dann werden alle an der
Kunsterziehung interessierten und tätigenKreise zu einer
tiefgehenden Arbeit sich zusammenschließen können! —
Dann schlägt auch den seelisch zerrütteten Kunst-
erziehern Preußens und den von Preußen leider ab-
hängigen Ländern die Stunde der seelischen
Aufrichtung im Dienste der Jugender-
ziehung. Möge diese Hoffnung Tat werden; dann
hat die Arbeitsgemeinschaft der Kunsterzieher und
Künstler in der nationalsozialistischen Partei Befreier-
dienste getanl

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