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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 7 (Juli 1932)
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Zum Nachdenken / Umschau / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0133

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einem Künstler wie Dix immerhin noch verhältnismäßig
leicht Zugang findet.
Paul Klee dagegen schöpft aus der reinen Phan-
tasie, die ihre Gebilde nicht unbedingt auf reale Er-
scheinungen bezieht. Wie bei traumhaften Erlebnissen
ergeben sich zwar einzelne Anklänge an Formen der
Realität, sie lösen sich jedoch bald wieder auf und
wandeln sich in neue phantastische Bildungen um. Der
geistige Vorgang, der dieser Art malerischen Schaf-
lens zugrunde liegt, ist etwa dem Schaffensprozeß in
der Musik vergleichbar. Wie die Musik der Phantasie
die volle Herrschaft überläßt, will auch diese Malerei
ohne Rücksicht auf Formen der Realität durch reine
Linien- und Farbkompositionen zum Ziel gelangen. In
der Musik nimmt der Zuhörer diese Entrückung aus
der Umwelt widerspruchslos hin, sie erscheint ihm
selbstverständlich, versuchte Wirklichkeitsannäherung
— zum Beispiel in der Programm-Musik — empfindet
er sogar als Sonderfall. In der Malerei erschwert die
Neuartigkeit dieser Versuche reiner Phantasiebetäti-
gung zunächst das Verständnis. Die abstrakte Malerei
verlangt in der Betrachtungsweise eine völlige Um-
stellung. Der Betrachter eines solchen Bildes muß den-
selben Schritt tun, den der Übergang von einem Ro-
man Heinrich Manns zu einem Märchen aus „Tausend
und einer Nacht" erfordert, muß verzichten auf reale
Zusammenhänge und sich ganz traumhaftem Erleben
überlassen. Diese Malerei wird selbstverständlich nie-
mals die ganze gegenständliche Malerei verdrängen,
ebensowenig ist aber anzunehmen, daß sie aus dem
Gesamtbild künftigen Schaffens wieder verschwinden
wird. Es ist sogar auffallend, daß sich ln der letzten
Zeit auch bei verschiedenen Künstlern, deren Malerei
bisher gegenständlich war, eine Wendung zum Ab-
strakten gezeigt hat. So ist unter anderen Karl Hofer
mit verschiedenen seiner letzten Bilder zu rein ab-
strakter Komposition gelangt. Ein Zeichen, daß die
abstrakte Malerei eher an Boden gewinnt als verliert.
Eine andere Gegenüberstellung ergibt sich aus der
Verschiedenheit der Auffassungen Uber die Stellung
und die Aufgaben des Künstlers innerhalb der Zeit.
Man hört heute vielfach die Meinung vertreten, daß
die Möglichkeit tieferer künstlerischer Wirkung nur
noch in der Behandlung wichtiger Zeitfragen und Inder
engen Annäherung der Kunst an die realen Zwecke des
menschlichen Lebens bestehe. Eine allgemeine Un-
sicherheit in der Beurteilung aller Bestrebungen, die
diesen Anschauungen nicht entsprechen, hat um sich
gegriffen. Zu allen Zeiten hat es Künstler gegeben,'
die durch eine entschiedene Stellungnahme zu Fragen
ihrer Zeit wertvolles geleistet haben und die anderer-
seits aus dieser Beschäftigung mit der Zeit auch für
ihr künstlerisches Werk Gewinn gezogen haben.
Gleichzeitig aber gab es und wird es immer den Künst-
ler geben, der sich nicht der Zeit unterordnet, der
mit anderen Worten nicht m i t seiner Zeit, sondern
gewissermaßen gegen seine Zeit schafft. Innerhalb
unserer Zeit wird diese Verschiedenheit der Haltung
besonders deutlich an Beispielen wie George Grosz
und Emil N o I d e. Grosz will vor allem Zeitschilderer
sein und geißelt erbarmungslos die sozialen Miß-
ständo unserer Zeit. Nolde dagegen hält sich bewußt
außerhalb der Diskussion über Zeitfragen, seine dunk-
len nordischen Landschaften und Darstellungen bib-
lischer Stoffe streben nach zeitloser Wirkung. Dieses
verschiedene Wollen, das zeitgemäße und das „un-
zeitgemäße , entspringt verschiedenen Quellen und
erfüllt verschiedene Aufgaben. Wenn die Kunst nicht
in innere Unwahrheit verfallen soll, ist es erforderlich,
dieses berechtigte Nebeneinander zeitgemäßer und
unzeitgemäßer Kunst zu erkennen und richtig zu wür-
digen.
Es sollte zwar nicht gefragt werden, ob die Kunst
die sich an der Wirksamkeit innerhalb der Zeit nicht
will genug sein lassen, darum höher einzuschätzen sei

als eine reine Zeitkunst. Es darf aber ebensowenig
versucht werden, jene starken schöpferischen Geister,
die aus einer heroischen Ungenügsamkeit sich auf-
lehnen gegen das zeitlich Vergängliche, in ihrem Le-
bensraum zu beengen. Der Künstler, der aus dieser
Auflehnung gegen die Zeit zum Schaffen kommt, wird
oft seinen Weg abseits der großen Heerstraße gehen.
Es wäre falsch, dieses Abseitsbleiben stets als ein
Fremdsein gegen das Leben deuten zu wollen. Es gibt
ein Abseitsstehen aus Schwäche, es gibt aber auch
ein Abseitsstehen aus einem Übermaß an Kraft, die
sich ganz einer großen, den Zwecken der Zeit nicht
unterworfenen Aufgabe verschrieben hat. Die zeit-
gemäß gerichtete Kunst kommt bereits durch das rein
Stoffliche einem ursprünglichen und nie fehlenden
menschlichen Bedürfnis nach Neuheit, Ereignis und
Sensation entgegen. Sie ist deshalb im Allgemeinen
sicher, einem starken Interesse oder zumindest einer
instinktiven Neugier zu begegnen. Anders steht es
um die „unzeitgemäße" Kunst. Da sie sich der Wirkung
durch das rein Stoffliche in weitem Maße begibt und
da sich ihr Wesen hauptsächlich in der Gestaltung aus-
spricht, ist sie dem Verständnis weniger leicht zu-
gänglich. Sie öffnet sich dem Betrachter nicht immer
auf den ersten Blick, will vielmehr umworben und er-
worben werden, ehe sie Besitz wird.
Die Vielheit der Bestrebungen in der gegenwärtigen
Kunst, die Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit der
Ziele löst Spannungen aus, die sich zwar nicht selten
in offener Feindschaft entladen, die aber gleichzeitig
ein Moment gegenseitiger Befruchtung darstellen. Als
Hauptergebnis einer Entwicklung, die vor 25 Jahren
— unter dem Einfluß des großen nordischen Malers
Edvard Munch — in Deutschland eingesetzt hat, ist
eine Befreiung der Phantasie zu verzeichnen, die der
Kunst einen starken Zustrom neuen Lebens gebracht
hat. Viele neue Ausdrucks- und Gestaltungsmöglich-
keilen wurden entdeckt, gleichzeitig wurde das Ge-
fühl für einheitliche und geistig reine Bildgestaltung
neu geweckt. Die deutsche Kunst der Gegenwart
macht zwar die klare Wegfindung nicht leicht. Sie ist
aber reich an großen und beglückenden Künstlerper-
sönlichkeiten. Und das ist entscheidend.

BUCHBESPRECHUNGEN
Goethe. Ein Bilderbuch. Sein Leben und sein Schaf-
fen in 444 Bildern. Erläutert von Rudolf Payer-Thurn.
(Günther Schulz Verlag, Leipzig.) Preis Mk. 4.80.
Das Buch stellt sich zur Aufgabe, die Umwelt Goe-
thes in bildlichen Zeugnissen dei Zeit vor den Augen
des heutigen Beschauers Wiedererstehen zu lassen.
Das ist ihm trefflich gelungen. Es beginnt mit Bildern
aus der Umwelt des Knaben und begleitet den Jüng-
ling, den Mann und den Greis bis zum Tode. Land-
schaften, Bildnisse, Wiedergaben von Zeichnungen und
Schriftproben Goethes wechseln miteinander in bun-
ter Fülle ab. Die Wiedergabe der „Doxumente" ist,
gemessen an dem billigen Preis des Buches, lobens-
wert. G. K.
Goethe im 20. Jahrhundert von Hugo Bieber. Diesen
schönen handlichen Band schenkte uns der Volksver-
band der Bücherfeunde (Wegweiser Verlag) Berlin.
Er gehört meines Erachtens zum Wertvollsten, was uns
die Hochflut der Goethe-Literatur im Goethe-Jahr ge-
bracht hat. Hier ist ein Mann am Werk, der G. nicht
blind verhimmelt, sondern ihn kritisch betrachtet, ge-
rade dadurch rückt er ihn uns aber in seiner mensch-
lichen, künstlerischen und naturforschenden Bedeu-
tung viel näher als durch flache Bewunderung. Das
Buch hat dauernden Wert. Wir kommen bei Gelegen-
heit auf es zurück. G. K.
Otto Wommelsdorff, Wandschmuck für Schulen.
Versuch einer neuen Auswahl nach pädagogischen

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