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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 8 (August 1932)
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Merwart, Fritz: Zierer als Führer
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0141

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Igo. Insonderheit sind auch — wie in der obengenann-
len Buchbesprechung bereits richtig erkannt ist — die
den Büchern beigegebenen Reproduktionen nur ein
Notbehelf — ein Hinweis auf die Originale, um die
es sich dabei eigentlich handelt. Die Propagierung
der Tiefenanschauung in der Tagespresse lehnt Z.
selbstverständlich ab, — weil durch die hierbei not-
wendige „Popularisierung" eine Kette von Mißver-
ständnissen möglich wäre, die der wirklichen Verbrei-
tung der Lehre nur schaden könnte. Dabei muß aber
ebenso bestimmt gesagt werden, daß die Tiefen-
anschauung letzten Endes nicht etwa nur eine An-
gelegenheit der „Fachleute" im engeren Sinne, also
etwas „Artistisches" ist, sondern jedem Menschen zu-
gänglich wird, sobald er das Interesse und den Willen
aufbringt, die Anschauung erst einmal in einer prak-


tischen Einführung durch den Schöpfer derselben wirk-
lich kennenzulernen. Tatsache ist auch, daß sich außer
Künstlern und Pädagogen bisher bereits eine grö-
ßere Anzahl von sog. Laien hat einführen lassen und
daß die Wirkung auch auf weitere Kreise — in Berlin
wenigstens — bereits spürbar ist.
Auch mein heutiger Aufsatz kann nichts weiter sein,
als ein erneuter Hinweis auf die gerade für unsere
Arbeit so unendlich wichtigen Dinge, die scheinbar
so selbstverständlich sind, aber in Wirklichkeit doch
völlig unbeackertes Land darstellen. Freilich wird es
nicht möglich sein, daß jeder an einem Einführungs-
kursus in Berlin teilnimmt. Aber ich brauche nur dar-
auf hinzuweisen, daß Zierer in jedem Sommer von
schwedischen Künstlern nach Stockholm gerufen wird,
um dort einzuführen und Ausstellungen einzurichten.
Möglichkeiten gibt es also genug, wenn sich nur
erst das Bedürfnis einstellt. Bei den Kursen läßt
sich zwar auch das Wort als Verständigungsmittel
nicht umgehen; aber bei persönlicher Fühlungnahme
besteht immer die Möglichkeit, die unausbleiblichen
Mißverständnisse sofort festzustelien und durch Wahl
anderer Ausdrucksweise zu berichtigen.
Dorm das Wort ist zu sehr ans Begrifflich-Verstan-
desmäßige gebunden, als daß es einwandfrei zur Be-
zeichnung der in Frage kommenden Gefühlszustände
und Inhalte dienen könnte. Nur scheinbar im Wider-
•’Piuch dazu steht die Tatsache, daß die Tiefenan-
ichauung nicht etwa nur auf Malerei, auch nicht nur

auf bildende Kunst, sondern auch auf Musik, Literatur
und dgl. sich bezieht. Gerade in der Literatur dürfte
es am meisten anerkannt sein, daß hier die Kunst nicht
in der so oder so gefärbten Tendenz, nicht im Gegen-
stand, im Stoff, aber auch nicht in der äußeren Form
als solcher beschlossen sein kann, sondern daß es
einzig und allein darauf ankommt, wie stark die schöp-
ferische Kraft war, die den vorhandenen Stoff in ir-
gend eine gewohnte oder auch ungewohnte Form ge-
bracht, ihn „gestaltet" hat. Hierbei möchte ich gleich
bemerken,'daß ich den Ausdruck „gestalten" nicht in
dem Sinne verstanden wissen will, wie es in unsern
Kreisen jetzt vielfach üblich geworden ist, nämlich als
Gegensatz zum „Darstellen". Nach meiner Überzeu-
gung hat gerade die scheinbare Klarheit dieser Schei-
dung die größten Mißverständnisse und Irrtümer im
Gefolge. Denn auf Grund der „Tiefenanschauung" ist
es klar, daß kein Mensch bei einem Werk mit Hilfe
seines Willens eine gute „Gestaltung" erreichen kann,
d. h. doch wohl ein in seiner Art wertvolles Werk.
Selbst dann, wenn der Künstler nichts weiter als
eine Materialsammlung, eine Skizze, eine Notiz „will",
wird unter Umständen ein höherwertiges Kunstwerk
herauskommen, als wenn er meinetwegen eine „Korn
Position" sich vornimmt. Darin sind wir uns doch wohl
alle einig, daß der wirkliche Wert nur aus dem Un-
bewußten kommen kann, daß er auf alle Fälle immer
Gnade sein wird — wodurch durchaus nicht aus-
geschlossen ist, daß der Künstler gewisse Probleme
sich vornehmen kann und muß. Ebenso selbstverständ-
lich ist es, daß manche Problemstellung unter Um-
ständen das Gelingen der Arbeit erschweren oder
auch erleichtern kann. Unsere Hauptarbeit in der Er-
ziehung besteht ja wohl darin, daß wir mit dem
Endziel der Vorbereitung einer lebendigen Anschau-
ung von der Kunst, der Vermittelung einer Ahnung
der ewigen Werte in Kunst und Leben — dem Schüler
die Problemstellung soweit erleichtern, daß er hier
und da ein Gelingen spüren kann. Daß seine Arbeiten
immer nur ausnahmsweise und je nach der „Begabung"
verschieden häufig zu einer künstlerisch befriedigen-
den Lösung führen werden, das wird der Schüler — je
älter er wird, desto mehr als eine unabänderliche
Tatsache einsehen, die ihm deswegen noch nicht die
Freude an der Arbeit zu rauben braucht. Gerade in
diesen Tagen sah ich die unbeholfenen Zeichenver-
suche eines jungen Philologen, der Kunstgeschichte
studiert hat und — trotzdem er so gut wie keinen
wirklichen Zeichenunterricht genossen hat — doch
das bestimmte Gefühl hat, wie wertvoll ihm die eige-
nen Versuche sind, um über die Probleme klarer zu
sehen, die der Künstler sich stellt und über die Schwie-
rigkeiten, die einem Gelingen entgegenstehen. Selbst-
verständlich würde er an seinen Skizzen noch mehr
Freude und Gewinn haben, wenn er besser zeichnen
„gelernt" hätte. Ich glaube, wir selbst lassen uns noch
immer durch eine gewisse kindliche Ausdrucksfähig-
keit, durch eine uns interessierende Primitivität der
Kinderleistung über den wahren Gehalt derselben
täuschen. Auch in der Öffentlichkeit werden die kind-
lichen Arbeiten in der Regel immer noch mißverstan-
den — entweder als etwas, was eben noch nicht
gekonnt sein kann (also mit herablassender Nachsicht
beurteilt werden muß) — oder sie werden als wirk-
liche Kunstleistungen angesehen, vor denen sich wo-
möglich die Arbeiten vieler Künstler verstecken müß-
ten. Das Letztere ist so abwegig wie das Erstere.
Neben der verständlichen Befriedigung über die Ar-
beitsfreudigkeit, die Schaffenslust, die Erfindungsgabe
der Kinder steckt darin doch wohl ein gut Teil Über-
schätzung einer zeit- und geschmacksgebundenen
Entwickelungserscheinung, die wir in der Kunst ge-
wöhnlich als „Richtung" bezeichnen. Im Grunde sind
wir noch allzusehr in der Überschätzung des Expressio-
nismus befangen, der in einer — der kindlichen Lei-

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