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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 8 (August 1932)
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Umschau / Zum Nachdenken / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0149

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und Erkennen. Ihre Leistungsfähigkeit sieigerl sich mil
der Erhöhung des Gefühlslebens, Ihre Bildhaftigkeit
steht im Zusammenhang mit den Grundformen alles
geistigen Erfassens. Aus der Besinnung auf die Phan-
tasietätigkeit, nicht aus der Erkenntniskritik stammen
alle anschaulichen Vorstellungen geistiger Tätigkeit.
Unter der Kontrolle der Erkenntniskritik ordnet das
auf zweckhaftes Erfassen angelegte Bewußtsein des
Menschen alle Wahrnehmungen zu Zusammenhängen,
deren Charakter durch logische Notwendigkeit be-
stimmt ist. In der künstlerischen Form werden die Er-
scheinungen des Bewußtseins zu Gestalten zusammen-
gefaßt, deren Gesetz im Bildcharakter liegt.
Aus „Goethe im 20. Jahrhundert" von Hugo Bieber,
(Volksverband der Bücherfreunde, Wegweiser-Verlag Berlin).
Differenziert — differenzieren.
Im Sinne meiner Bestrebungen, in „Kunst und Ju-
gend" ein schlichtes, von allen entbehrlichen Fremd-
wörtern reines Deutsch zu pflegen, fragte ich bei
Herrn Studienassessor Hans Herrmann, dem Verfasser
des Aufsatzes in Heft 7: „Die Erziehung der Oberstufe"
an, ob es nicht möglich wäre, das Fremdwort „diffe-
renziert" durch einen deutschen Ausdruck zu ersetzen
oder zu erläutern. Nachstehend seine Antwort:
„Das Wort „differenziert" soll einen ganz bestimm-
ten Sachverhalt kennzeichnen, der durch die ungefähr
entsprechenden deutschen Ausdrücke „entwickelt",
„aufgeblüht", „entfaltet" nicht so unmißverständlich
benannt werden kann. Alle deutschen Worte ließen
die Vermutung zu, als ob es sich bei der späteren
Stufe um etwas grundsätzlich Besseres, um das er-
reichte Ziel der früheren handle. Es soll aber gerade
das nicht gemeint sein; der Sinn ist vielmehr der, daß
ungeachtet der späten Mannigfaltigkeit jeder Zustand
der Entwicklung in sich seinen Wert hat, keiner nur
als „Vorstufe" eines späteren." Fl.
+ ♦ +
Ich muß gestehen, daß mich diese Erklärung nicht
befriedigt. Das Fremdwort „differenziert" ist heute
geradezu ein Modewort geworden und als solches
ein Schulbeispiel dafür, wie man Fremdwörter mit einem
Begriffsinhalt füllt, der ihnen von Haus aus nicht eigen
ist. „Differenzieren" bedeutet dem Wortsinne nach
nichts anderes als „unterscheiden". Nun gebraucht
man es bald im Sinne von „entwickeln", „entfalten",
wie Herrmann, bald im Sinne von „verfeinern", „berei-
chern", „Abstand nehmen" usw. Wäre es nicht unmiß-
verständlicher, wenn man jeweils, statt des anspruchs-
vollen Fremdwortes, das wie ein Chameleon in allen
Farben schillert, den schlichten deutschen Ausdruck
für das, was man jeweils meint, gebrauchen würde?
Der Einwand des Verfassers scheint mir nicht stich-
haltig zu sein. Es ist heute doch Gemeingut erziehe-
rischer Erkenntnis, daß jede bildnerische Wachstums-
stufe des Kindes nicht nur Vorbereitung auf die
nächste Stufe, sondern auch schon in sich Erfüllung ist.
G. K.
Die Einheit in der Mannigfaltigkeit.
Gegenstandsgefühle (die mit der Auffassung von
Farben, Formen, Tönen usw. einhergehen) empfinden
wir als wohlgefällig, wenn der Gegenstand den Be-
dingungen unserer Auffassung entspricht (Behaup-
tungstendenzl). Diese Bedingungen lassen sich auf
eine einzige zurückführen. Weil unser Ich (oder Geist)
eine Einheit ist, so ist ihm das Einheitliche gemäß, so-
mit wird es dieses Wohlgefallen erregen. Wir ziehen
auf allen Gebieten das Übersichtliche dem Verwor-
renen, das Geregelte dem gänzlich Regellosen vor.
Da auch unser Wille und unser Ich wesenseinheitlich
sind, deshalb wohnt uns in jedem beliebigen An-

schauungsinhalt die Tendenz nach Vereinheitlichung
inne: Einheit in der Mannigfaltigkeit! In allen Anschau-
ungsbildern, die unser Gefallen erregen, läßt sich
stets ein differenziertes Gemeinsames nachweisen.
Man denke an das Wohlgefallen der Zusammenstim-
mung der Teile eines Bauwerkes mit einheitlichem
Stilcharakter. Es handelt sich hier im Grunde um eine
rhythmische Verwandtschaft. Theodor Lipps.
Die Vereinigten Staatskunstschulen in Berlin zei-
gen ihre Schülerarbeiten. Erstaunlich, was da alles
gemacht wird, Gutes, Schlechtes, Talentiertes, Un-
talentiertes , von jedem Geschmack, auch jeder
Richtung. Das Programm scheint Programmlosigkeil zu
sein. Viel Kunstgewerbe. Was die Malerei und Plastik
anbetrifft, hätte man gern einmal gesehen, was in den
einzelnen Klassen bei Hofer, bei Plontke, bei Orlik,
Meid, Gies oder Scharff geleistet wird. Leider wird
diese Aufklärung nicht gegeben. Arbeiten aller Klas-
sen hängen durcheinander, nach Motiven geordnet:
Porträts, Stilleben, Landschaften, Straßen mit Türmen!
Merkwürdig, sehr merkwürdig!
Bericht aus „Das Kunstblatt", herausgegeben Paul Weslhein.

ZUM NACHDENKEN
Tatsachen — „Ideen" — wirkliche Welten und Kunst,
Nur beiläufig gedenken wir der kopfstellenden Ver-
drehung, mit der die Wirklichkeit der Bilder und dann
insbesondere der Gehalt der Dichtung heimgesuchl
wird vom unwillkürlich vorgeurteilten Glauben an die'
eine und einzige „Wirklichkeit" der Dinge. Sie führt,
wie jedermann weiß, zu der höchst fälschlich „reali-
stisch" oder „naturalistisch" genannten Betrachtungs-
form, die das Wesen der Bilder nach der Chronik der
Dinge beurteilt und z. B. dem Wortwerk die größte
Wirklichkeitsfülle zuerkennt, das irgendwelche tat-
sächlichen Verhältnisse und Vorkommnisse so genau
wie nur möglich nachgeschrieben hat. Man pflegt das
dessen „Wahrheit" zu heißen und vergißt dabei selt-
samerweise gewöhnlich, daß von dieser Art Wahr-
heit jedes einwandfrei geführte Protokoll einer Ge-
richtsverhandlung mehr enthält als die noch so „reali-
stische" Erzählung.
Man entgeht aber solcher Wertungsgewohnheit kei-
neswegs dadurch, daß man statt dessen nach erhobe-
nen Allgemeingedanken und sog. Ideen fahndet, von
denen der Bildner Anschauungsbeispiele darzubieten
habe oder gar die schöpferischen Weike zu läppi-
schen Spielereien mit „ästhetischem" Firlefanz herab-
würdigt. Im Gegenteil, bei weitem lieber wollen wir
uns an Tatsachenwahrheiten und scharf umrissenen
Berichterstattungen freuen, die ja durchaus nicht aller
bildnerischen Reize entbehren müssen, als uns für
Wesen aufbetrügen lassen eine — Ideenmaskerade.
Man täusche sich nicht darüber: entweder ist
die gewaltigste Dichtung und Kunst aller Zeiten blauer,
nein grauer Dunst, oder sie ist das magische Mittel,
uns wirkliche Welten aufzuschließen, zu denen
wir aus unserm Kerker des Tatsachenglaubens nicht
mehr hinfänden. —
Aus dem soeben erschienenen Band III: „Der Geist als Widersacher
der Seele" von Ludwig Klages (Verlag Joh. Ambrosius Barth, Leipzig),
Was wir verloren haben.
„Das ist es, was wir verloren haben auf der hastigen
Jagd nach den Dingen, einer Jagd freilich, in der wir
die Gejagten sind: Das ungetrübte und weite Offen-
halten der Augen, die ruhevolle und andächtige Ver-
senkung ins Geschaute, das geduldige Werben an
der Türe der Form und den Eintritt in den Kern der
Dinge." Diese tiefen Worte schrieb Goethe in Verona
während seiner italienischen Reise. Waren sie damals
schon zutreffend, wie viel mehr ist das heute der Fall.
Goelhe.

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