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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 10 (Oktober 1932)
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Sartorius, Dorothea: Nadelarbeit im Rahmen der Werkerziehung an der Pädagogischen Akademie Breslau
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0177

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Berlin, in der der Verfasser die anschauliche Erkenntnis
der Welt als eine autonome Erkenntnisform der begriff-
lichen gleichwertig gegenüberstellt. Auch nach den
genannten Verhandlungen und Schriften wurzelt alle
Kunsterziehung im Handwerklichen, wobei ausdrück-
lich betont sei, daß der Begriff des Handwerklichen
in keiner Weise etwa mit Handwerkslehre zu verwech-
seln sei, andererseits eröffnet jede handwerkliche
Erziehung in ihrer Ausdrucksmöglichkeit Wege zur
Kunsterziehung. Handwerkliche Arbeit darf in der
Schule somit nicht allein auf die Erzeugung wirtschaft-
licher Werte gerichtet sein, sondern muß, um ihre Bil-
dungsaufgabe zu erfüllen, vor allem an der Seelen-
formung des Zöglings mitwirken. Es erhebt sich dabei
die Frage, welche Gründe demgegenüber maßgebend
waren, daß in der Reichsschulkonferenz der Werkunter-
richt mit Zeichnen, also mit Kunsterziehung, die Nadel-
arbeit aber mit Hauswirtschaft verbunden wurde? Ist
es nicht so, daß alle diese Gebiete Arbeit am sinn-
lichen Stoff, ökonomische und kunsterzieherische Ziele
gemeinsam haben? Immerhin liegt der Hauswirtschaft
die kunsterzieherische Betonung ferner als der Nadel-
arbeit. Weshalb will man gerade in der Nadelarbeit
die besonders starken kunsterzieherischen Möglich-
keiten übersehen? Vergessen wir doch nicht, daß Kunst
und Kunsterziehung die Fähigkeit der Arbeit am sinn-
lichen Stoff und damit die ökonomischen Ziele als
grundlegend für ihre Absichten voraussetzen müssen,
und daß sie daher ihre Grundlage nur im Handwerk-
lichen finden können. Ist man noch immer der Ansicht,
daß Kunst, losgelöst von den Forderungen des Alltags,
ein wirklichkeitsfernes Dasein führe, das seine Existenz-
berechtigung nur dem Luxus einer begüterten Ober-
schicht verdanke? Kunst ist Lebensnotwendigkeit des
ganzen Volkes und muß, wenn sie echt sein soll, un-
sere gesamte Lebenshaltung durchdringen. Künst-
lerische Einsichten müssen auch bei der Erzeugung
wirtschaftlicher Werte berücksichtigt werden, wenn
nicht anders ein Schaden für die Gesamtkultur ent-
stehen soll. Wie stark dabei von jeher der Anteil der
Frauenarbeit an künstlerischem Schaffen ist, beweist
auch die Volkskunst. Ist es nötig und im tiefsten klug,


in unserer Zeit nur ökonomische Grundsätze in den
Vordergrund zu stellen? Die Verarmung eines Volkes
an materiellen Gütern verlangt vielmehr dringend nach
der Pflege und Förderung seelischen Gutes als we-
sentlichen Ausgleich. Für die Werkerziehung isl das
wichtigste Mittel zur Erreichung dieses Zieles die Ge-
staltung am sinnlichen Stoff. Gülland gibt dafür fol-
gende Erklärung: „Gestaltung isl die Einprägung sub-
jektiven Wesens in einen objektiven Stoff. Der sub-
jektive Geist objektiviert sich in einem sinnlich Wahr-
nehmbaren irr der objektiven Welt!" Einschränkend
wird „alle mechanische, alle nach Schablone und Voi
Schrift geleistete Formung" nicht unter diesen Begrilf
gefaßt. Gestaltung bildet die Grundlage füi jede hand-
werklich-künstlerische Erziehunq; sie isl hierbei dei
Prüfstein für geistige Regsamkeit und dei Ausgangs-
punkt für die theoretischen Erkenntnisse, für die Über -
schau über die umfangreichen Kulturgebiete, sowie
für die Sicherung ökonomischer und wirtschaftlicher
Belange, die aus ihr erwachsen.
Es ist in Breslau besonderer Nachdruck auf die Ver-
knüpfung der Nadelarbeit mit der Kunsterziehung in
Übereinstimmung mit der Werkarbeit der Knaben ge-
legt worden, um die hier tatsächlich bestehenden Zu-
sammenhänge herauszustellen. Dabei wird die wirt-
schaftliche und soziale Aufgabe der Nadeiarbeil, die
sie mit Hauswirtschaft, Säuglingspflege und Garten-
arbeit, und die wissenschaftliche, die sie mit Erdkunde,
Naturkunde und Rechnen verbindet, in dieser Erörte-
rung als selbstverständlich und bekannt vorausgesetzt.
Die Ausbildung der Studierenden in der Werkerzie-
hung an der P. A. Breslau gliederte sich äußerlich in
die pflichtmäßigen und die wahlfreien Übungen. In
den Pflichtübungen wurde in allen drei Gebieten
Z.W.N. zunächst gebastelt, um auf diese Weise Ver-
ständnis für den Übergang zu schaffen von der spie-
lenden Betätigung des Kindes zu der schon mehr
zweckgebundenen handwerklichen Arbeit in der Ober-
stufe der Volksschule. Dieses Basteln bestand in freiem
phantasievollem Spiel der geistigen Kräfte, das durch
die Hand zu sinnlich wahrnehmbaren Formen objek-
tiviert wurde, gefördert durch die Eigenart verschie-
densten Materials, möglichst ohne die zunächst ein-
engende Bindung an einen bestimmten Zweck, Werk-
stoff oder eine Technik. Es entstanden z. B. aus Bunt-
papier Farbenklänge, aus schwarzem Papier rhyth-
mische Ordnungen von geometrischen Formen bis zu
freien Formen von Mensch und Tier. Dieser gemein-
same Unterbau diente der Vermittlung grundlegender
Erkenntnisse für Form, Farbe und Rhythmus. Aus ihm
hoben sich nach und nach die Einzelgebiete ab, die
bekanntlich im wesentlichen durch die Verschieden-
heit des Materials bedingt sind. Im Zeichnen wurde
das freie Gestalten mit Tusche und Redisfeder, Gra-
phit, Blei, Kohle usw. oder mit Aquarellfarbe und Pin-
sel fortgesetzt. Im Werkunterricht wurden aus Abfall-
holz Klotztiere und -manschen gemacht und aus Draht,
Papier und anderem leicht erreichbaren Material die
mannigfachsten Gebilde geformt, Im Nadelarbeits-
unterricht entstanden aus bunter Wolle freie farben-
frohe Stickereien, aus Fäden und Bändern Flechtarbei-
ten. Immer mehr tauchten bei all diesen Übungen die
Fragen nach werkgerechter Arbeit auf, und fast un-
merklichvollzog sich der Übergang in bestimmte hand-
werkliche Arbeitsweisen mit fester Bindung durch
Werkzeug, Material und Zweck. Ausgangspunkt der
weiteren Arbeit war vor allem die Absicht, aus dem
Umgang mit Material und Werkzeug Erfahrungen zu
sammeln über die sachgemäße Anwendung der Werk-
zeuge, die zweckmäßige Verarbeitung des Rohmate-
rials und die gegenseitigen Beziehungen zueinander.
Ziel der Arbeit war die Erweckung einer eigenen per-
sönlichen Gestaltungsfälligkeil und -freude bei jedem
Studierenden, die die notwendige Voraussetzung für
weitere pädagogische Fragestellungen bilden. Diese

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