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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1902)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0068

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vom Altertume als Staub I Aber noch
viel weniger als bei uns entspricht bei
ben Jtalienern das Verhalten der
„Maßgebenden" dem Volksempfinden;
ist dieses „unten" dort vielleicht feiner
als bei uns, so kommt die Pslege der
Denkmäler von „oben" her dort über
die großen Worte hinaus überhaupt
nur selten zu nennenswerten Taten.

'Verrniscktes.

* Zur Drahtkultur. 2.

Aus den Schulliteraturgeschichten
wird mitgelernt, daß Walther von
üer Vogelweide eine Stiftung hinter-
lassen hat, von der in einer Schale
auf seinem Grabe den Vögeln täglich
Futter gestreut werden sollte. Was
später mit dieser Stistung geschehen,
steht in den Schulliteraturgeschichten
nicht, nämlich, daß üie Kollegialherren
des Neumünsters zu Würzburg diese
Stiftung in eine Gabe Weißbrot für sich
selber umwandelten. Als aber im vori-
gen Jahrhundert über die wiederent-
deckte Welt deutsch - mittelalterlicher
Dichtung Walthers Name in vollem
Glanze aufstieg, üa sah man ein, daß
dieses so nicht ginge, und man stellte
die Stistung wieder her. Grabstein
und Schale war zwar mittlerweile
verschwunden, aber die Form der
Schale kannte man noch. Man ließ
eine neue üanach anfertigen, und
nun — ja: nun ist es lisblich zu sehen
am Neumünster zu Würzburg, wie
täglich sich eine Schaar von Vögeln hier
körnerpickend versammelt, Walthern
von der Vogelweide zu Ehren. Wirkt
das nicht, als wäre er mit seiner
Liebe zu dem kleinen gefiederten Volk
noch leibhaft irgendwo in der Nähe?
Hätten wir mehr solcher wahrhaft

sinnigen Stiftungen, die lebendig,
die im eigentlichen Sinne Leben
bleiben! . . .

Aber was hab' ich denn erzählt,
so ist ja die Sache gar nicht. Selbst-
verständlich sind es st ein e rn e Vögel,
die jetzt am Würzburger Münster
selbstverständlich auch steinerne
Körner picken! Man hat eben Walthers
Stiftung künstlerisch veredelt.

Gibt es für unsere Drahtkultur ein
schöneres Beispiel? Larl Meißuer.

* Drachen.

Eins hab' ich immer den Chinesen
nachfühlen können: daß bei ihnen auch
die erwachsenen Leute Drachen steigen
lassen. Wie oft hab' ich bei uns mich
mit üen Jungen darüber gefreut, wenn
so ein Kerl, üie kurze Spitze vor dem
runden Kopf, keck gegen den Wind
stieg, dessen Geblase sein heiteres oder
gräuliches Gesicht nicht im mindesten
umstimmte, den langen Schwanz ver-
wogen hinter sich her, und wenn er
dann da oben stillstand, höchst über-
legen und unzweifelhaft bei wunder-
schöner Aussicht. Jetzt aber gibts
„amerikanische Drachen." Kennst du
sie schon, 0 Leser? Sie sind „in Kasten-
sorm" rechteckige Lattengestelle, vier
Stäbe auf quadratischer Grundform
parallel aufgesetzt und unten vielleicht
einen Viertelmeter hoch mit Papier
umkleidet. Sieht man's, könnte man
glauben, irgend einemFabrikschornstein
sei die Spitze weggeslogen. Aber die
„amerikanischen Drachen" sollen ein
paar Meter höher schweben. Als ob's
darauf ankäme! Daß die Phantasie
ersreut werde, darauf kommt's an.
Das könnt' uns gefallen, daß eins
unserer wenigen, wirklich noch lustigen
Kinderspielzeuge in dieser Weise er-
nüchtert und amerikanisiert würde!

M


Runstwart
 
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