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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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B: Lex Parsifal?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0701

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sich jeder Kenner der Verhältnisse ausmalen. Man schlägt allerdings
vor: Bayreuth gebe das Werk ohne VerZug srei und verlange dasür eine
ausgiebige Bürgschaft für eine würdige Behandlung. Allein welcher
Bühnenleiter wird so töricht sein, eine Oper unter lästigen, bindenden
Verpflichtungen zu übernehmen, die ihm und auch allen Konkurrenz-
bühnen nach ein paar Jahren bedingungslos zur Beute sallen muß?
Denn schließlich: wenn wir Dresden und Wien den „Parsisal" freigeben,
mit welchem Rechte können wir ihn Bromberg und Rostock verweigern?
Wer ist berufen, eine scharse Grenze zu ziehen, wenn das Losungswort
„Parsifal für Alle" einmal gesiegt hat? Jch sehe Schreckliches voraus
sür ein Werk, das auf der schmalen Schneide wandelt, wo vom Er-
habenen zum Lächerlichen viel weniger als ein Schritt ist. Ein dummes
Statistengesicht unter den Tempelrittern, eine linkische Bewegung bei den
Zeremonieen, und die Jllusion ist verslogen, das Weihespiel zur leeren
Farce geworden. Sobald die erste Neu- und Schaugier der Massen
sich gesättigt hat, wird an die Stelle der Verblüffung das Gesühl er-
habener Langweiligkeit treten, Theater und Publikum erleben eine große
Enttäuschung. Des geheimnisvollen Nimbus, der es heute umgibt,
verlustig, wird das Werk, das in der Bayreuther Abgeschiedenheir in
vielen Geschlechtern noch andächtige Schauer erweckt hätte, nach kurzem
Saisonleben tot bleiben als eine entgötterte Welt.

Wir müssen den Parsifalbündlern also darin beipslichten, daß es
dem Werke empfindlichen Schaden bringen wird, wenn man es als
srisches Futter auf die Krippen des deutschen Bühnenspielplans streute.
Und wir finden auch, daß durch sein Verbleiben in Bayreuth keine so
großen künstlerischen Jnteressen verletzt werden, daß man sich deshalb
sür die Freigabe besonders ereifern müßte. Gewiß, diese Freigabe
brächte sür unbemittelte Kunstsreunde Vorteile mit sich, aber ihre Nach-
teile für Alle würden größer sein. Zuletzt spräche der ausdrückliche Wille
des Meisters mit. Mag Goethe seinen „Faust" der Welt überwiesen
haben, Wagner hat seinen „Parsifal" kaum aus slüchtiger Laune auf
Bayreuth beschränkt gewünscht, er wußte vermutlich, warum er das tat.
Es ist zum mindesten leichtfertig, sich heute schon, zwanzig Jahre erst
nach seinem Tode, mit einern Hinweis auf sogenannte veränderte Ver-
hältnisse über diese Tatsache hinwegzusetzen.

Und dennoch tragen wir Bedenken, uns der Agitation um ein
Ausnahmegesetz sür den „Parsifal" anzuschließen. Die schweren Nach-
teile, die sür die Allgemeinheit das Urheberrecht neben all seinen Vor-
teilen mit sich bringt, sind srüher wiederholt in diesen Blättern besprochen
und es ist eindringlich davor gewarnt worden, dieses Recht als genügend
anzusehn zur Regelung einer Volkswirtschaft der geistigen Güter. Allein
die Tatsache, daß mit dem „Freiwerden" eines Dichters nach dreißig
Jahren der Absatz seiner Werke auf das Zehn- und Zwanzigfache empor-
zuschnellen pslegt, beweist, daß sehr berechtigte geistige Bedürfnisse der
Allgemeinheit zugunsten Einzelner, die nicht die Schöpser und meistens
nicht die Nachkommen der Schöpser sind, unbesriedigt bleiben. Man
kann sozusagen experimentell beweisen, wie stark das Gesühl ist, daß
die schließliche Aufhebung der Urheberrechte zugunsten der Allgeweinheit
berechtigt sei. Hieß' es von Wagner: alle seine Rechte an allen seinen
Werken sollten über die drei Jahrzehnte hinaus seinen Erben vorbehalten

2. Februarheft

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