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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Bühnenplätze
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0326

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Landtag mit Geld unterstützen will, die sächsische Dialektbühne, die
bereits in Chemnitz ihr Spiel begonnen hat und dem Vernehmen
nach mit sestem Spielplan auf die Wanderschaft gehen wird, das
Unternehmen Emanuel Reichers, in Bansin an der Ostsee ländliche
Spiele zu veranstalten, endlich die Jdee, auf dem Hexentanzplatz
Harz-Festspiele zu eröffnen. Es mögen noch mehr Pläne dieser letz-
teren Art umgehen, auch die hier gcnannten zeugen genügend da-
von, daß die Neigung, sich von der Theaterherrschaft Berlins zu
emanzipieren, jedenfalls im Zunehmen ist, und zum Teil auch be-
reits praktische Form angeuommen hat.

Ein allgemeineres Jnteresse beansprucht der Aufruf, der das
deutsche Publikum zur Unterstützung dcr Harz-Festspiele einlädt; er
geht von Weimar aus und ist unterzeichuet unter andern von
Karl Hauptmann, Hans Hoffmann, Lienhard, Mielke, Börries von
Münchhausen, Sohnrey, Wachler. Die Gemeinde Thale im Harz hat
ein Gelände zur Verfügung gestellt, das zum Naturtheatcr brauch-
bar ist, die Landschaft selbst bietet Rahmen und Hintergrund wie
in Oberammergau; 3000 Personen finden Platz. „Wir beabsichtigen
hier" — so sagt der Aufruf — „neue noch nnbekannte Schöpfnngen
lebender Dichter, nur für diese Stätte verfaßt, zur Darstellung zu
bringen. Für 1903 ist »Walpurgis«, ein Festspiel zur Frühlings-
feier, bestimmt, mit der Musik von Max Vogrich; für später sind
Werke von Lienhard, Sohnrey, Hans von Wolzogen u. a. in Aus-
sicht genommen. Hat das Unternehmen Erfolg, so ergeht im Herbst
ein Aufruf an die Autoren, uns zu verschaffen, was wir brauchen:
nichts geringeres als ein neues Drama, volkstümlich und zugleich
vom höchsten Adel, das nach des Grafen Schack Ausspruch nur im
öffentlichen Wettstreit der Dichter geboren werden kann."

Bei aller Sympathie, die man für das Unternehmen haben
mag, wird man doch skeptisch so großen, schönen Vorsätzen gegenüber
wie dem, uns ein neues Drama verschaffen zu müssen oder zu wollen
vermittelst eines „Aufrufs an die Autoren". Schon früher, in der
Lienhardschen Broschüre über deutsch-evangelische Volksschauspiele wurde
der Wunsch laut, daß uns „aus dieser zweiten Art des Dramas",
eben jeneu Volksschauspielen, „ein Nationaldrama erstehen" möge.
Damals wurde an dieser Stelle nur auf Goethes Faust und Hebbels
Nibelungen hingewiesen, und heutc möchte ich wiederholen: wir haben
dieses Nationaldrama längst, aber wir besitzen es noch längst nicht
als geistigen Erwerb, ähnlich jenem, den Goethe vor mehr als hun-
dert Jahren an den italienischen Fischern wahrnahm und bewun-
derte, als er sie Strophen aus Tasso singen hörte. Aufrufe an die
Autoren setzen ja sicherlich viele Federn in Bewegung, oft schon sind
sie ergangen, wo aber ist auch nur das eine Werk von dauerndem
Werte, das „volkstümlich und zugleich von höchstem Adel" aus einem sol-
chen dichterischen Wettbewerb hervorgegangen wäre? Jch weiß keines,
trotz dem Ausspruche des Grafen Schack, der ja gewiß ein verdienst-
licher Mann war und von bildender Kunst vielleicht manches, von
den ursprünglichen Entstehungsursachen freier und großer Dichtungen
aber doch um vieles weniger verstand, sonst hätte er jenen zweifel-
haften Ausspruch nicht getan. Wünschen wir den Harz-Festspielen

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