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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
DOI Artikel:
Volkmann, Ludwig: Sprechsaal: nochmals Langes Illusionsästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0632

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ihm zu verständigen. Je nach Bedarf zieht er zwei verschiedene
Register. Er unterscheidet — wie ich doch gewitz nicht verschwie-
gen habe — streng zwischen dem „unmittelbaren Lustwert der
Kunst" und dem „mittelbaren Zweck" oder, wie ich es kurz be-
zeichnete, dem „biologischen Wert". Spricht er von ersterem und
entwickelt er für diesen seine „Pendeltheorie", so betont er meist mit
grotzer Entschiedenheit und ohne alle Einschränkung die völlige Gleich-
giltigkeit des Jnhalts. So schreibt er ja auch in seincm letzten Auf-
satz*: „Einer der schlagendsten Beweise dafür, daß der ästhetische
Genuß unabhängig ist vom Jnhalt, besteht in der Tat-
sache, daß der Jnhalt der Kunst sehr oft unlusterregend, d. h.
traurig oder häßlich ist." Oder an einer anderen Stelle: „Wir
sehen Farbe oder Marmor und deuten sie um in Wolken, Bäume,
Wasser, menschliches Fleisch u. s. w. Wir sehen architektonische und
ornamentale Formen und deuten sie um in Kraft, Bewegung und
organisches Leben. Wir hören Töne, Rhythmen, Harmonieen u. s. w.
und deuten sie um in Bewegung, Gefühl, Traum, Freude u. s. w.
Dies ist ein schöpferischer Akt, ein künstliches inneres Erzeugen
von Vorstellungen und Gefühlen, die eigentlich keiner Realität ent-
sprechen. Und diese schöpferische Tätigkeit als solche, ohne Rück-
sicht zunächst aus ihren Jnhalt (!) ist nach meiner Theorie
die Qnelle der ästhetischen Lust. Das, was wir bei der
Kunstanschauung genießen, ist gar nicht der Jnhalt
dessen, was uns der Künstler bietet, sondern unsere
eigene Phantasietätigkeit. . ." Jn ähnlicher Weise wird
Lange nicht müde, die völlige Gleichgiltigkeit des Jnhalts zu be-
tonen, wenn er den „unmittelbaren Lustwert" künstlerischer Eindrücke
nicht sowohl in unsrer Phantasietätigkeit, als im „Oszillieren des
Bewußtseins" in dem ununterbrochenen Wechsel zweier
Vorstellungsreihen erblickt. Wendet man nun sich gegen solche
Behauptungen, gegen solche Theorieen des unmittelbaren Kunst-
genusses, indem man auch für ihn auf die Bedeutung des Jnhaltes
hinweist: dann zieht Plötzlich Lange sein zweites Register und ruft:
„Habe ich nicht immer anerkannt, daß die Kunst letzten Endes um
des Jnhalts willen da ist?" Gewiß! Aber was in aller Welt soll
dieser Einwand, wenn gar nicht vom letzten Endzweck der Kunst, son-
dern nur von Langes Theorie des „unmittelbaren Lustwertes" die
Rede war?

Jch habe nicht die geringste Neigung, eine Lanze für die reine
Jnhaltsästhetik zu brechen. Jn meiuen Ausführungen über „unklare
Schlagworte" (Kunstwart XVI, 11) habe ich ausdrücklich nicht nur von
der Lust am Jnhalt, sondern auch vön der Lust an der Form und
am künstlerischen Schaffen gesprochen und betont, daß je nach der Art
des Kunstwerks bald dieser, bald jener Standpunkt dje relativ stärksten
Eindrücke vermittele; ich habe es aber auch als durchaus natürlich
hingestellt, daß man bei der Aufnahme künstlerischer Eindrücke seinen
Standpunkt wechselt, ja daß bei dcn meisten die verschiedenen Arten

* Aus Langes Werk selbst Belegstcllen anzuführen, bin ich augenblicklich
nicht in der Lage. Auf der Sommerfrische befindlich, habe ich nur einen Ab-
zug des Langeschen Aufsatzes zur Hand.

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