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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Die Komposition und ihre Quellen

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22. Kampf von Engeln und Teufeln um die Seele.
Hierfür giebt es allerdings in Purg. V, 100 — 108 eine Ana-
logie:
L'Angel di Dio mi prese, e quel d'inferno
Gridava: O tu dal ciel, perche mi privi?
Aber auch hier wird nicht Dante der Gebende gewesen sein,
sondern die bildende Kunst (Niccolo Pisano, Camposanto in
Pisa) hatte Michelangelo vorgearbeitet.
23. Auffliegende Gestalten im Hintergründe. Hier
wird Kallab an die den Hymnus ,,Te Lucis ante" Singende er-
innert (Purg. VIII, 10—12), die gen Osten schaut. Ich sehe hier
nur verwandte Sehnsuchtsstimmung im Gedicht und im Fresko,
aber keine direkte Beziehung.
24. Blinde in schlichtem Bussgewand. Hier weist Kallab
auf die Neidischen im Purg. XIII, 58 ff. hin, deren Augen ge-
schlossen sind; sie stehen auf einander gelehnt. Ich halte auch
diese Beziehung auf Dante für ganz irrig. Denn wir finden
solche Blinde sowohl unter den Auferstehenden, als unter den
Emporschwebenden (mehrfach). Michelangelo drückt offenbar
dasselbe aus, was Goethe in die Worte fasst: „noch blendet
ihn der neue Tag."
25. Das am Rosenkranz emporgezogene Paar. Kallab
meint, dass Michelangelo hier vielleicht an die frommen Ge-
bete, durch welche Nella ihren Gatten Forese ins Purgatorio
verhelfen, gedacht (Pur. XXIII, 85—89). Dies wäre denkbar.
26. Der zusammengekauert Fliegende. Nach Kallab
hätte dem Künstler Purg. XIII, 100—102 vorgeschwebt. Ge-
schildert wird einer der Neidischen mit zugenähten Augen,
der nach Blinden Art das Kinn erhob, eine Antwort er-
wartend. Die Bewegung ist in der Michelangelo'schen Figur
wohl zu sehen, sie ist aber ganz anders motivirt: nämlich
durch sehnendes Aufwärtsstreben.
27. Das Steigen von Wolke zu Wolke in Sehnsucht.
Die von Kallab zitirte Stelle (Purg. V, 28—33): „con l'ali snelle
e con le piume del gran disio", nach kurzer Schilderung
mühsamer Bergbesteigung. Mehr als eine leicht begreifliche
Ähnlichkeit in Dantes Schilderung und in Michelangelos Dar-
stellung ist nicht zu finden.
Man sieht, auf wie Weniges sich bei näherer Prüfung die
angeblich aus Dante gewonnenen Inspirationen reduziren: nämlich
etwa auf das allgemeine Schema der Anordnung der Heiligen, auf
die Adam und Petrus zugewiesene Stellung, auf Charon, Minos
und den die Seele tragenden Teufel (die alle drei aber schon bei
 
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