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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Das Jüngste Gericht

3. Die Schilderung der, in Furcht vor Christus beben-
den Maria.
4. Die Personifikation der sieben Todsünden.
Der Kuriosität halber möge schliesslich das Phantasiebild, das
sich Pietro Aretino von dem Jüngsten Gerichte machte und das er in
einem Briefe am 15. Dezember 1537 dem mit seinem Werke be-
schäftigten Meister entwarf, Platz finden (Bottari, Mailand 1822, III,
S. 86. Steinmann: Rep. für Kunstw. XXIX, S. 425):
„Ich sehe in Mitten der Schaaren den Antichrist in einer Er-
scheinung, wie nur Ihr sie erdenken könnt. Ich sehe den Schrecken
auf den Stirnen der Lebendigen; ich sehe die Zeichen, welche
Sonne, Mond und Sterne durch ihre Verdunklung geben; ich sehe
Feuer, Luft, Wasser und Erde gleichsam ihren Geist aushauchen;
ich sehe seitwärts die Natur, in die Unfruchtbarkeit des Greisen-
alters verfallen; ich sehe eingefallen und zitternd die Zeit, die, zu
ihrem Ende gelangt, auf einem dürren Baumstumpf sitzt: und in-
dessen ich vernehme, wie die Posaunen der Engel in jeglichem
Busen das Herz erschüttern, sehe ich Leben und Tod von Schrecken
und Verwirrung überwältigt, denn jenes müht sich ab, die Todten
wieder aufzurichten, und dieser ist darauf bedacht, die Lebenden
niederzuwerfen; ich sehe die Hoffnung und die Verzweiflung,
welche die Schaaren der Guten und die Schwärme der Bösen
führen; ich sehe den Schauplatz der Wolken, die von den aus den
reinen Feuern des Himmels ausgehenden Strahlen gefärbt werden,
und auf ihnen inmitten seiner Heerschaaren, von Glanz und
Schrecken umgeben, Christus; ich sehe sein Antlitz widerleuchten,
wie er Flammen, theils heiteren, theils schrecklichen Lichtes
sprühend, die Gutgeborenen mit Freudigkeit, die Schlechtgeborenen
mit Furcht erfüllt. Und ich sehe zugleich die Diener des Ab-
grundes, die, schaurig zu sehen, zum Ruhme der Märtyrer und
der Heiligen Cäsar und die Alexanders verhöhnen, denn ein Anderes
ist es, sich selbst, als die Welt zu besiegen; ich sehe den Ruhm
mit seinen Kränzen und Palmen unter den Füssen niedergeschmettert
unter die Räder seiner Wagen; und endlich sehe ich aus dem
Munde des Gottessohnes den grossen Richterspruch hervorgehen,
in Form von zwei Pfeilen, einen des Heiles und den anderen der
Verdammniss', und wie ich sie niederfahren sehe, fühle ich seinen
Zorn auf den Bau der Elemente stossen, und unter fürchterlichem
Donner ihn zerstören und in Nichts auflösen; ich sehe die Lichter
des Paradieses und die Öfen der Hölle, welche das auf des Äthers
Antlitz gesunkene Dunkel durchbrechen — und der Gedanke, der
mir das Bild von dem Verderben des Jüngsten Tages vorführt,
sagt mir: zittert man in Furcht so beim Anblick des Werkes des
 
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