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Das Jüngste Gericht
2. Gruppe rechts von Christus: Petrus, Stephanus, Johannes d. T.,
Elisabeth, Matthäus, Simon, Anna, Paulus, Lukas, Markus,
Johannes Ev., Bartholomäus, Martha, Laurentius, Andreas.
3. Gruppen ganz links: Eva mit einer ihrer Töchter, Persische,
Erythräische, Delphische, Libische, Kumäische Sibylle, Hagar
und Ismael, die Tochter Pharaos, Mutter und Schwester des
Moses. Hinten: Äakus, Minos, Rhadamantys und Virgil, der
das Echo der ersten Offenbarung hört.
4. Gruppen ganz rechts: Jakob, Esau, Benjamin, Kaleb, Josua,
Moses, Hiob, Tobias, David, Mutter der Makkabäer, Magda-
lena, Veronika, Simon von Kyrene, Joseph von Arimathia. —
Darunter die Märtyrer.
Es frägt sich nun vor Allem, in wie weit der Versuch einer
solchen Einzelbenennung berechtigt ist. Hat Michelangelo selbst
bei jeder einzelnen Figur an eine bestimmte Persönlichkeit gedacht?
Daran, dass er den einzelnen Gruppen einen besonderen Charakter
verlieh, dass er, wie ich meine, an die traditionellen „Chöre"
der Heiligen anknüpfte, ist nicht einen Augenblick zu zweifeln.
Aber auch daran nicht, dass er bei den hauptsächlicheren Gestalten
seine Gedanken gehabt haben muss. Denn so sehr ihn auch die
formalen Motive beschäftigten und für die Anordnung und die Be-
wegungen maassgebend waren — er hatte die Gesellschaft der
„Alleheiligen" zu schildern, und dies war ohne unmittelbar sich ein-
stellende Vorstellungen bestimmter Persönlichkeiten nicht denkbar.
Aber gilt dies ohne Ausnahme für jede Figur? Dazu war Michel-
angelo doch ein zu sehr auf die Darstellung des allgemein Mensch-
lichen bedachter Künstler und, da er als solcher die Kennzeichnung
durch Attribute und Trachten möglichst vermieden hat, erhebt er
selbst dort, wo er an historische Einzelerscheinungen gedacht, das
Individuelle zu Typischem. Hierdurch wird zumeist der Nachweis der
Individualitäten sehr erschwert oder unmöglich gemacht. Rouvier
und Chapon sind zu weit gegangen, und wir müssen uns hüten,
ihnen zu folgen, aber wenn wir bemüht sind, Michelangelos Ge-
danken und Intentionen uns möglichst klar zu machen, ergiebt sich
doch unbestreitbar das Eine, dass der Künstler bei den meisten
Figuren biblische Charaktere im Auge gehabt!
I
Die Gruppenbildung
In fünf Gruppen hat Michelangelo Alle Heiligen angeordnet.
Wenn man will, kann man zwei Gruppen, nämlich die äussersten
links und rechts, jede noch einmal theilen, in welchem Falle wir
also sieben Gruppen anzunehmen hätten. Nach mittelalterlich kirch-
Das Jüngste Gericht
2. Gruppe rechts von Christus: Petrus, Stephanus, Johannes d. T.,
Elisabeth, Matthäus, Simon, Anna, Paulus, Lukas, Markus,
Johannes Ev., Bartholomäus, Martha, Laurentius, Andreas.
3. Gruppen ganz links: Eva mit einer ihrer Töchter, Persische,
Erythräische, Delphische, Libische, Kumäische Sibylle, Hagar
und Ismael, die Tochter Pharaos, Mutter und Schwester des
Moses. Hinten: Äakus, Minos, Rhadamantys und Virgil, der
das Echo der ersten Offenbarung hört.
4. Gruppen ganz rechts: Jakob, Esau, Benjamin, Kaleb, Josua,
Moses, Hiob, Tobias, David, Mutter der Makkabäer, Magda-
lena, Veronika, Simon von Kyrene, Joseph von Arimathia. —
Darunter die Märtyrer.
Es frägt sich nun vor Allem, in wie weit der Versuch einer
solchen Einzelbenennung berechtigt ist. Hat Michelangelo selbst
bei jeder einzelnen Figur an eine bestimmte Persönlichkeit gedacht?
Daran, dass er den einzelnen Gruppen einen besonderen Charakter
verlieh, dass er, wie ich meine, an die traditionellen „Chöre"
der Heiligen anknüpfte, ist nicht einen Augenblick zu zweifeln.
Aber auch daran nicht, dass er bei den hauptsächlicheren Gestalten
seine Gedanken gehabt haben muss. Denn so sehr ihn auch die
formalen Motive beschäftigten und für die Anordnung und die Be-
wegungen maassgebend waren — er hatte die Gesellschaft der
„Alleheiligen" zu schildern, und dies war ohne unmittelbar sich ein-
stellende Vorstellungen bestimmter Persönlichkeiten nicht denkbar.
Aber gilt dies ohne Ausnahme für jede Figur? Dazu war Michel-
angelo doch ein zu sehr auf die Darstellung des allgemein Mensch-
lichen bedachter Künstler und, da er als solcher die Kennzeichnung
durch Attribute und Trachten möglichst vermieden hat, erhebt er
selbst dort, wo er an historische Einzelerscheinungen gedacht, das
Individuelle zu Typischem. Hierdurch wird zumeist der Nachweis der
Individualitäten sehr erschwert oder unmöglich gemacht. Rouvier
und Chapon sind zu weit gegangen, und wir müssen uns hüten,
ihnen zu folgen, aber wenn wir bemüht sind, Michelangelos Ge-
danken und Intentionen uns möglichst klar zu machen, ergiebt sich
doch unbestreitbar das Eine, dass der Künstler bei den meisten
Figuren biblische Charaktere im Auge gehabt!
I
Die Gruppenbildung
In fünf Gruppen hat Michelangelo Alle Heiligen angeordnet.
Wenn man will, kann man zwei Gruppen, nämlich die äussersten
links und rechts, jede noch einmal theilen, in welchem Falle wir
also sieben Gruppen anzunehmen hätten. Nach mittelalterlich kirch-