Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/thode1908bd2/0296

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
280

Statuen und Entwürfe zu solchen

Bodenerhöhung. Im Marmor hat der Künstler die geknickte Stellung
des Leichnams mit dem herabsinkenden Kopf aufgegeben, die Figur
erscheint fast aufrecht, wodurch erreicht ist, dass der Kopf der
Maria den Kopf Christi berührt.
Robinson, dem Springer folgt, glaubt, Michelangelo habe zu-
erst, etwa 1541 oder 1542, die Rondaninigruppe begonnen, dann
sie zur Seite gestellt und die andere grössere Gruppe angefangen;
erst später sei er zur ersten zurückgekehrt. Der Stil der Zeichnung
und Vasaris Aussage sprechen für diese Annahme. Weiter behauptet
Robinson, der Meister habe, als er den Marmor wieder vornahm, eine
Reduktion der Grössenverhältnisse vorgenommen, ohne sie aber
ganz durchzuführen. „Zuerst scheint er die Figur der Jungfrau fast
durchweg auf die kleineren Verhältnisse reduzirt zu haben, bevor
er sich mit Christus beschäftigte. Dann begann er an Diesem zu
arbeiten, und zwar in unregelmässiger Weise, indem er einzelne
Theile verkleinerte, andere unverändert liess; die Glieder, in Sonder-
heit den einen Arm, liess er, wie sie waren, und sie sind da-
her unendlich viel zu gross für den Kopf und den Körper. Der
allgemeine Eindruck ist in Folge dessen bizarr und auf den
ersten Blick unerklärlich; die Jungfrau scheint einen Giganten zu
halten."
Ist diese Erklärung richtig? Es handelt sich in der That um
Erscheinungen schwer begreiflicher Art. Ausgeführt sind nur die
Beine Christi, mit denen verglichen Oberkörper und Kopf sehr
klein erscheinen. Wie ist das gesamte Motiv? Wem gehört der
seitwärts freistehende Arm an, dessen Oberarm fehlt: Christus oder
Maria? Robinson meint: Christus. Das ist aber der Stellung nach
undenkbar. Ich glaube deutlich zu sehen, dass die beiden Arme
Christi nach hinten zurückgenommen sind. Ebenso undenkbar ist
er als Arm der Maria. Ich kann mir nur vorstellen, dass ursprünglich
die Stellung der Figuren anders geplant ward, dass nämlich, wie es
in den Oxforder Skizzen der Fall, Christi Körper stärker zur Seite
geneigt und nach vorne gesenkt gedacht war: dann wäre der Arm
als sein rechter denkbar. Hierauf aber verhaute Michelangelo den
Block an dem rechten Oberarm und sah sich nun gezwungen,
wollte er noch Etwas aus dem Block zu machen versuchen, den
Leichnam aufrechter zu geben, und es blieb jener Arm als Rudi-
ment der ersten Idee stehen. Nun drückt Maria den Leichnam
eng an ihre Brust, was eine Zurückdrängung der Arme Christi nach
hinten zur Folge hatte, zugleich aber auch dies, dass die Arme
thatsächlich nicht wohl auszuführen waren und auch Marias rechter
Arm keine Stelle mehr fand.
Und trotz aller dieser Verstümmelung, welch' ein Eindruck,
den diese Gruppe hervorbringt!
 
Annotationen